Bayreuther Festspiele 2022; Lohengrin; Insz. Yuval Sharon © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele
Bericht von dem gestörten LOHENGRIN III bei den Bayreuther Festspielen
von Jolanta Łada-Zielke
Alex Ross, der Autor des Buchs „Die Welt nach Wagner“ nennt „Lohengrin“ die Einstiegsdroge der Wagnerianer. Dem stimme ich voll und ganz zu, denn so war es bei mir, als ich 2003 die Produktion von Keith Warner unter der musikalischen Leitung von Sir Andrew Davis in Bayreuth gesehen habe. Heute, nach dem neunzehnjährigen Befassen mit dem Werk Richard Wagners, brauche ich ab und zu eine neue Dosis dieses „Rauschgifts“. Während der diesjährigen Bayreuther Festspiele hatte ich die Gelegenheit dazu, indem ich die „Lohengrin“– Aufführung am 14. August 2022 unter der Leitung von Christian Thielemann erlebt habe. Leider hat man genau diese Dosis der Droge kontaminiert.
Die Vorstellung selbst war großartig. Christian Thielemann dirigierte sehr kompakt und präzise und gleichzeitig mit außerordentlicher Musikalität. Er brachte die Lyrik und Dramatik der relevanten Fragmente zur Geltung. Seine Tempi waren mir teilweise zu schnell, das ist jedoch Geschmackssache. Zu Krakauer Zeit hörte ich häufig zu Hause eine CD mit der „Lohengrin“-Aufnahme dirigiert von Herbert von Karajan und bin vielleicht an sein „tempo rubato“ gewöhnt.
Klaus Florian Vogt in der Titelrolle und seine Partnerin Camilla Nylund als Elsa verzauberten das Publikum mit großartigen Stimmen und exzellenten darstellerischen Leistungen. Petra Lang als Ortrud und Martin Gantner in der Rolle des Friedrich Telramund waren ebenfalls hervorragend. Georg Zeppenfeld, der diesjährige Rekordhalter mit fünf Rollen, sang ebenso überzeugend den König Heinrich den Vogler. Derek Welton, ein neuer Heerrufer des Königs, war ebenfalls sängerisch und darstellerisch interessant. Abgerundet wird das Ganze wie gewohnt von einem auf dem höchsten Niveau vorbereiteten Festspielchor. All dies zusammen hätte für mich ein großes spirituelles Fest sein können. Leider war das nicht der Fall.
In der Reihe hinter mir saßen zwei ältere Ehepaare, die sich offensichtlich wie im Kino oder zu Hause auf dem Sofa vor dem Fernseher fühlten. Als ich anfing, die Klänge der Ouvertüre zu genießen, wo mir normalerweise die Tränen kommen, hörte ich plötzlich, dass ein Mann hinter mir versucht, die Melodie mitzusummen. Sein Nachbar flüsterte wiederum die Kommentare zu jedem Szenenwechsel und beim Erscheinen einer neuen Figur. Als er das Bühnenbild zu Beginn des zweiten Aktes sah, sagte er: „Oh, die eisige Sturmlandschaft!“ Beim Anblick von dem Frauenoktett des Hochzeitschores, zitschte er: „Das sind keine Kinder!“ Seine Begleiterin, wahrscheinlich die Ehefrau, antwortete ihm mit zustimmendem Gemurmel, und stieß mehr oder weniger leise Überraschungsschreie aus.
Irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen und bat sie um Ruhe. „Mein Gott!“ stöhnte die Frau in solch einem Ton, als hätte sie nicht verstanden, was ich will. Einen Moment lang herrschte die Stille, und dann unterbrach sie ein klapperndes Geräusch. Diese Dame begann sich heftig zu fächern, hörte jedoch damit auf, als jemand anders zu ihr den Kopf zuwandte. Als in der letzten Szene der entzauberte Gottfried in der Gestalt eines Ampelmännchens auftaucht, hielten die beiden Paare nicht aus und begannen hektisch miteinander zu ratschen.
Nach der Aufführung erklang es ein stürmischer, wohlverdienter Applaus für die Künstler. Das Publikum rief sie viermal vor den Vorhang. Meine Nachbarn von hinten klatschten und schrien wie bei einem Pop- oder Rockkonzert. Als der Dirigent vor das Publikum trat, rief einer von ihnen: „O, Thielemann!“ Sie sind nicht dumm, weil sie wissen, wer Thielemann ist, dachte ich. Aber warum verhalten sie sich so ungezogen, als ob sie noch nie ein Opernhaus besucht hätten?
An dem Abend konnte ich meine geliebte Oper wegen störender Geräusche nicht genießen. Übrigens war es im Zuschauerraum bei dieser Aufführung im Allgemeinen unruhig. Im ersten Akt fing ein Handy an zu klingeln. Im zweiten brach jemand zusammen und man brachte ihn nach draußen. Aber solche Dinge passieren, wie auch ein unerwünschter Hustenanfall, und wir haben manchmal keinen Einfluss darauf. Es liegt jedoch an uns, während der Aufführung Mund zu halten und die Bemerkungen erst in der Pause zu teilen.
„Lohengrin“ ist wie „Der fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ musikalisch zugänglicher als Wagners Spätwerke. Seine Ouvertüre, der gesamte erste Akt sowie der Hochzeitsmarsch und die Gral-Erzählung aus dem dritten Akt gehören zu den beliebtesten Stücken der deutschen Klassik. Aber diese Melodien in der Privatsphäre Ihres Zuhauses zu hören, ist etwas anderes, als sie live in einem Operntheater zu erleben. Deshalb wiederhole ich meine Bitte, die ich am Ende der Kritik zu „Der Ring des Nibelungen“ geäußert habe: Lesen Sie bitte vor einem Theater- oder Opernbesuch die Savoir-vivre-Regel, wie man sich dort verhalten soll.
Jolanta Łada-Zielke, 1. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Lohengrin Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 22. August 2022
Richard Wagner, Lohengrin Bayreuther Festspiele, 14. August 2022
Richard Wagner, Lohengrin, Osterfestspiele Salzburg 2022, Großes Festspielhaus, 18. April 2022