Ladas Klassikwelt 99: Eine Fledermaus fliegt durch das Festspielhaus

Ladas Klassikwelt 99: Eine Fledermaus fliegt durch das Festspielhaus  20. Oktober 2022

klassik-begeistert: Wie finden Sie das, dass die Bayreuther Musiker diese Fledermaus „Cosima“ nennen?

Markus Melber: Das gibt der ganzen Veranstaltung einen sehr positiven Charakter. In diesem Zusammenhang ist der Name sehr treffend. Ich finde das schön, weil das zeigt, wie wohl gesonnen die Musizierenden oder andere Mitarbeiter der Bayreuther Festspiele  Fledermäusen gegenüber sind. Dies ist heute leider nicht üblich, weil Fledermäuse nach wie vor mit vielen Mythen und Legenden zu kämpfen haben. Man unterstellt ihnen Vampirismus, dass sie menschliches Blut trinken oder in anderem Sinne gefährlich sind. Die Fledermaus „Cosima“ fühlt sich von der Musik Richard Wagner nicht gestört. Ganz im Gegenteil, sie scheint sich mit ihr gut zu arrangieren und ist dadurch vielleicht kulturell mehr aufgeschlossen als der Großteil der Bevölkerung. Sollte sich eine Stechmücke über dem Orchestergraben herumtreiben, schnappt „Cosima“ sie gerne, als kleinen Snack auf dem Weg aus dem Gebäude.

Zeichnung: Die Fledermaus „Cosima“ von Dominika Farley, nach einer Idee von Jolanta Łada-Zielke ©

„Durch den Orchestergraben fliegt manchmal eine Fledermaus – wir nennen sie Cosima – das hat etwas Surreales, beide Welten berühren sich“, sagte der Konzertmeister des Festspielorchesters Juraj Cizmarovic in einem Interview für den Nordbayerischen Kurier [1].

„Keiner weiß, wo diese Fledermaus im Gebälk lebt“, erzählt ein Mitglied des Festspielchors.Uns erheitert es immer, wenn sie auftaucht, und natürlich denkt dann jeder, dass Richard oder Cosima nachschauen, ob hier noch alles mit rechten Dingen zugeht.“

von Jolanta Łada-Zielke

Ich selbst habe die Fledermaus vom Zuschauerraum aus gesehen, als sie bei Aufführungen von „Tristan“ und „Lohengrin“ über die Bühne flog, deren Bühnenbild recht dunkel ist. Das Hauptgebäude des Festspielhauses ist aus Holz, nicht klimatisiert und neun Monate im Jahr passiert dort nichts, außer Führungen. Sind das ideale Lebensbedingungen für Fledermäuse?

Ich habe den Chiropterologen Markus Melber [2] eingeladen, uns über die Anpassungsfähigkeit dieser Tiere zu unterhalten.

„Fledermäuse nutzen im Verlauf eines Jahres unterschiedliche Örtlichkeiten, da sie in einem Jahreszyklus leben“, so Melber. „Im Winter halten sie Winterschlaf von etwa November bis April und im Sommer leben sie in Wäldern oder eben auch an und in Gebäuden. Alte Gebäude, die häufig noch nicht thermoisoliert sind, wie das Festspielhaus in Bayreuth, bieten sowohl an der Fassade als auch im Inneren häufig viele Rückzugsorte für Fledermäuse. Ebenfalls aus diesem Grund sollte man solche historischen Gebäude erhalten.“

klassik-begeistert: Die Fledermaus „Cosima“ fliegt über der Bühne oder durch den Orchestergraben. Hat sie die Musik angelockt, oder ist das ein reiner Zufall, dass sie dort aufgetaucht ist? 

Markus Melber: Aus der Ferne und ohne genauere Kenntnis des Gebäudes, ist es schwer, diese Frage direkt zu beantworten. Wenn „Cosima“ jedoch abends bei den Vorstellungen oder den Proben zu sehen ist, lebt sie wahrscheinlich im Festspielhaus, hat dort also ihr Quartier. Das heißt, sie verbringt den Tag schlafend, zum Beispiel im Dachstuhl und fliegt mit der Abenddämmerung nach außen, um Insekten zu jagen. Beim Verlassen des Festspielhauses fliegt sie quer durch den Saal, weil das vielleicht der kürzeste Weg ist. Dadurch, dass im Festspielhaus die meiste Zeit des Jahres „Ruhe“ herrscht, hat sich die Fledermaus sicher diesen Weg angewöhnt und lässt sich dann auch nicht von der Aufführung stören. Einen Anlockeffekt hat die Aufführung auf die Fledermaus wohl eher nicht. „Cosima“ lebt einfach in dem Festspielhaus mit seinen anderen Bewohnern zusammen. Übrigens sind Fledermäuse häufig ebenfalls lärmresistent an gewohnten Quartieren.  Einmal habe ich eine Kolonie von ihnen in einer Autobahnbrücke entdeckt. Deutlich sensibler reagieren diese Tiere auf Beleuchtung ihrer Unterkünfte, was zum dauerhaften Verlassen dieser führen kann.

Leider fällt es schwer, die im Festspielhaus lebende Fledermausart zu bestimmen, da sie nur kurz und aus der Ferne zu sehen ist. Übrigens gibt es in Deutschland 25 Fledermausarten, von denen sogar 18 in der Region Oberfranken leben.

Nachdem wir nun die Lebensbedingungen der Fledermäuse im Festspielhaus geklärt haben, bleibt die Frage, wie sie auf die Musik reagieren. Der Neurologe Eckart Altenmüller von der Universität Hannover, der zum Thema „Gehirn und Musik“ forscht, zählt die Fledermäuse zu den „Absoluthörern“. „Eine Fledermaus kann man ohne Schwierigkeiten dressieren, ein b von einem Fis zu unterscheiden“ [3] sagte er in einem Gespräch für BR Klassik.

Markus Melber, Foto: privat

klassik-begeistert: Ich frage Markus Melber, was und wie Fledermäuse hören können.

Markus Melber: Anhand der verschiedenen Experimente könnte man klären, wie Fledermäuse Schall – und damit auch Musik – neurologisch verarbeiten“, antwortet der Chiropterologe. „Man kann die Tiere auch gezielt auf bestimmte Tonfolgen – zum Beispiel von einem Musikstück – trainieren und gewisse Verhaltensweisen damit erreichen. Für das Leben in der Natur spielt das jedoch für die Tiere keine bedeutsame Rolle. Auch wenn sie psychologisch einen Oktavensprung im Hörbereich des Menschen unterscheiden können, würden sie damit wenig verbinden. Das Hörvermögen der Fledermäuse ist zudem vornehmlich auf den Ultraschallbereich, also den für uns Menschen nicht hörbaren Bereich angepasst. Die vom Orchester verwendeten Instrumente arbeiten vor allem in dem für Menschen hörbaren Bereich.

klassik-begeistert: Was macht denn das Gehör bei Fledermäusen so besonders?

Markus Melber: Die heimischen Fledermausarten echoorten und hören vor allem im Ultraschallbereich von circa 20 KHz bis ungefähr 150 kHz. Sie „sehen“ also mit ihren Ohren. Manche Menschen können den unteren Ultraschallbereich sogar um 20 KHz mitbekommen. Diese Fähigkeit nimmt mit dem Alter jedoch schnell ab. Die meisten heimischen Fledermausarten haben die hauptsächlich genutzten Frequenzen in einem Bereich zwischen 30 KHz und 50 KHz. Auch wenn klassische Instrumente die Geräusche im Ultraschallbereich, zum Beispiel durch Resonanz ausstrahlen, nehmen Fledermäuse das nicht als ein musikalisches Werk wahr, sondern als einfache, nicht weiter gerichtete Signale, die für sie keinen weiteren Belang haben. Selbst das virtuoseste Geigenspiel oder das Solo einer Sopranistin ist für die Fledermäuse daher vielleicht nur als Rauschen oder wie die Geräuschkulisse einer Baustelle wahrnehmbar. Der Grund dafür ist, dass die Tiere gezielt auf die Echos ihrer speziellen Ultraschalllaute registrieren. Diese Ultraschalllaute sind zudem artspezifisch. Also kann man Fledermausarten anhand ihrer Rufe bestimmen. Insofern sind Fledermäuse im Allgemeinen eher unbeteiligte Konzert- und Opernbesucher.

klassik-begeistert: Wie finden Sie das, dass die Bayreuther Musiker diese Fledermaus „Cosima“ nennen?

Markus Melber: Das gibt der ganzen Veranstaltung einen sehr positiven Charakter. In diesem Zusammenhang ist der Name sehr treffend. Ich finde das schön, weil das zeigt, wie wohl gesonnen die Musizierenden oder andere Mitarbeiter der Bayreuther Festspiele  Fledermäusen gegenüber sind. Dies ist heute leider nicht üblich, weil Fledermäuse nach wie vor mit vielen Mythen und Legenden zu kämpfen haben. Man unterstellt ihnen Vampirismus, dass sie menschliches Blut trinken oder in anderem Sinne gefährlich sind. Die Fledermaus „Cosima“ fühlt sich von der Musik Richard Wagner nicht gestört. Ganz im Gegenteil, sie scheint sich mit ihr gut zu arrangieren und ist dadurch vielleicht kulturell mehr aufgeschlossen als der Großteil der Bevölkerung.

klassik-begeistert: Sie frisst wenigstens Mücken und andere Insekten, die die Musiker stören könnten.

Markus Melber: Das machen unsere heimischen Arten sogar mit großem Genuss. Eine Zwergfledermaus, eine typische stadtbewohnenden Fledermausart, kann in einer Nacht weit über 1000 Steckmücken fressen. Die Tiere jagen aber ihre Beute vor allem in Grünbereichen der Städte oder in Wäldern. Dies wäre ein Grund, die Städte unter ökologischen Gesichtspunkten zu entwickeln. Sollte sich jedoch eine Stechmücke über dem Orchestergraben herumtreiben, schnappt „Cosima“ sie gerne, als kleiner Snack auf dem Weg aus dem Gebäude.

Jolanta Łada-Zielke, 20. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Mehr über die Aktivitäten von Markus Melber erfahren Sie hier:

https://chiropterologie.de/

Und hier ein Beitrag über die Schulung der musikalischen Sensibilität von Fledermäusen mit Heavy-Metall-Musik:

https://www.si.edu/stories/bats-and-heavy-metal-music

[1] Ute Eschenbacher, Musik und Kunst tanzen Tango, Nordbayerischer Kurier, 18.08.2022

[2] Markus Melber ist Vorsitzender des Bundesverbandes für Fledermauskunde Deutschland e.V. (BVF) sowie Technical Expert beim Advisory Committee von EUROBATS. Die Chiropterologie ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit Fledertieren.

[3] Musik und Gehirn, Was Musik mit uns macht, der Beitrag von Annika Täuschel und Marlene Fercher, 23.01.2018, BR Klassik

[1] Basierend auf dem Vortrag von Prof. Dr. Reinhard Kapp „Wagnerprobleme in Nachkriegszeiten“, gehalten beim Wagner-Symposium im Juli und August 2017 im Museum Villa Wahnfried

[2] Ebenda.

Ladas Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Montag.

Jolanta Łada-Zielke, Jahrgang 1971, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anläßlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

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2 Gedanken zu „Ladas Klassikwelt 99: Eine Fledermaus fliegt durch das Festspielhaus
20. Oktober 2022“

  1. Vielen Dank für diese Erhellung, was die Identität des kleinen Boten aus der Düsternis betrifft! In der Tat fragten wir uns 2019 beim „Tristan“, ob es ein reizender, sehr subtiler Regieeinfall war, als über dem sterbenden Titelhelden immer wieder ein kleiner Todesbote flatterte. Die Assoziation an den Schmetterling als Sinnbild der entfliehenden Seele bot sich ebenfalls an, aber, wie wir jetzt wissen, hatte ein anderer Nachtschwärmer die mit Erbs-Tüll halbtransparent verhangene Szenerie besucht: Die Fledermaus Cosima im Festspielhaus hatte es offensichtlich als eine inhaltlich gute Idee befunden, sich in ebendieser Abschiedsszene zu zeigen und einen kleinen Hauch von Transzendenz herbeizuflattern. Weiterhin seien „Cosima“ fette Nachtfalter und angenehme Hochfrequenzen gewünscht!

    Dr. Andreas Ströbl

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