Ladas Klassikwelt 87: „Oh, du fröhliche“ und „Hamburg, meine Perle“ klingen im Gleichklang

von Jolanta Łada-Zielke

 Diese Erinnerung stammt aus der Zeit, als der HSV und Werder Bremen noch in der Bundesliga spielten. „Es war einmal“ oder genauer gesagt  im Dezember 2015,  an einem Adventssonntag spielten die beiden Mannschaften gegeneinander in Bremen, und der Carl-Philipp-Emmanuel-Bach-Chor Hamburg gab ein Weihnachtsliederkonzert im Konzerthaus „Die Glocke“. Ich nahm einen früheren Zug nach Bremen als die anderen Sänger, weil ich noch meine Familie auf dem Weihnachtsmarkt treffen wollte. Alle Waggons waren voller HSV-Fußballfans.Zuerst fühlte ich mich ein bisschen seltsam. Die vielen Fans mit ihren blau-weißen-Schals, die im Zug herumsaßen und herumstanden, waren jedoch überhaupt nicht aggressiv, vielleicht nur ein bisschen zu laut. Ein junger Mann sprach mich neugierig an, weil ich offensichtlich sogar nicht zu der Gruppe Fußballfans passte. Wir begannen ein Gespräch, währenddessen er mir die lokalen Fußballfan-Bräuche genau erklärte. Aus dem Lautsprecher ertönten die ganze Zeit Fan-Lieder. Die Passagiere im Zug schlossen sich mit Begeisterung dem Gesang an. Einige sangen sogar sehr sauber, obwohl ich den Eindruck hatte, dass sie eher versuchten, einander zu überschreien.

Als die Fans das Lied „Hamburg, meine Perle“ sangen, berührte mich das sehr. Die Hamburger pflegen ihre Identität wirklich, indem sie mit der lokalen Fußballmannschaft verbunden sind. Wie der Text des Liedes sagt, hier wurden sie geboren, hier fingen sie an, ​​Fußball zu spielen, hier unterstützen sie das lokale Team. Für eine Person wie mich, die häufig den Wohnort wechselte, ist ein solch lokaler Patriotismus etwas Besonderes.

Die Polizisten, die die Fans bewachten, gingen zweimal durch den Zug und schauten, ob niemand Alkohol trank. Meine Sitznachbarn hatten nur Fanta- und Coca-Cola-Flaschen dabei. Ob der Inhalt übereinstimmte, mit dem was auf dem Etikett stand, war eine andere Frage. Nach einer guten Stunde erreichten wir Bremen, wo sich unsere Wege trennten. Als ich aus dem Zug ausstieg, waren meine Ohren noch etwa zehn Minuten lang wie taub.

Nach dem Konzert mit meinem Chor, das sehr schön war, besuchten wir den örtlichen Weihnachtsmarkt, weil wir alle eine Tasse Glühwein verdient hatten. Danach stiegen wir in den Zug zurück nach Hamburg, wie sich herausstellte, zusammen mit den HSV-Fans. Einige befanden sich in demselben Wagen wie wir. Sie waren glücklich, weil die Hamburger Mannschaft  damals 2:0 gewann. Als sie herausfanden, dass wir Chorsänger sind, überredeten sie uns, etwas vorzusingen. Anfangs dachte ich, dass niemand diesen Vorschlag ernst nehmen würde. Einige Mitsängerinnen zogen die Noten von Randall Thompsons „Alleluia“ aus den Taschen. Und alle Chormitglieder in diesem Wagen begannen zu singen. Als wir fertig waren, applaudierten die Fans und dann sangen sie für uns „Hamburg, meine Perle“.

Und dann ging es abwechselnd: zuerst führte der Chor ein Weihnachtsstück und dann die Fans eines ihrer Lieder auf. Die bekanntesten wie „O, du fröhliche“ oder „Stille Nacht“ sangen alle zusammen. Die Stimmung in dem Zug wurde echt festlich. Selbst der Schaffner war voller Bewunderung, denn sonst haatter er sich nach Sieg oder Niederlage gefürchtet,  wie sich die Fans verhalten würden. Gut gelaunt kamen wir in Hamburg an.

Übrigens, vielleicht sollte man die  HSV-Fußballfanslieder für vier, oder mehrere Stimmen bearbeiten, damit ein Chor diese während der Spiele aufführen kann? Meiner Meinung nach könnte dafür sowohl die Fußballmannschaft als auch ein solches Ensemble davon profitieren. Und was die rein musikalische Seite angeht, kann ich mir gut vorstellen, „Hamburg, meine Perle“ in einer Choraufführung erklingen zu lassen.

Jolanta Łada-Zielke, 20. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Jolanta Łada-Zielke, 50, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

Interview: Alice Meregaglia, Dirigentin, Korrepetitorin, Leiterin des Bremer Opernchors und Pädagogin, Preisträgerin des Kurt-Hübner-Preis 2018 klassik-begeistert.de

 

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