Foto: Jodie Devos & Philippe Talbot – Lakmé par Davide Garattini Raimondi (© Jonathan Berger / Opéra Royal de Wallonie-Liège)
Nach Aufführungen Mitte September an der Pariser Opéra-comique, steht die Oper von Léo Delibes (1836-1891) jetzt auf dem Spielplan der Opéra Royal in Lüttich. Im Laufe dieser Saison wird die Oper auch noch konzertant an der Deutschen Oper Berlin (27. September 2022) und am Théâtre des Champs-Élysées in Paris (14. Dezember 2022), sowie szenisch an der Oper Zürich (April 2023) aufgeführt werden.
Opéra Royal de Wallonie, Lüttich, 23. September 2022
Lakmé, opéra-comique von Léo Delibes
Frédéric Chaslin, Dirigent
Lakmé: Jodie Devos
Gérard: Philippe Talbot
Nilakantha: Lionel Lhote
von Jean-Nico Schambourg
Im Gegensatz zur Pariser Opéra-comique, die sich für die Aufführung der kaum gespielten Ur-Version mit gesprochenen Texten entschieden hat, spielt die Oper in Lüttich die international gängige Version, in der die wenigen gesprochenen Texte durch Rezitative ersetzt sind.
Auch betreffend der szenischen Umsetzung bleibt die Oper von Lüttich traditionell ihrer Gewohnheit treu und verzichtet auf eine effekthascherische oder aktualisierende Inszenierung. Dieser letzte Aspekt wird nur vom Regisseur Davide Garattini Raimondi angedeutet durch die Hinzufügung einer Rahmenhandlung mit der Figur des Mahatma Ghandi (stumme Rolle). Mahatma Ghandi wird dabei gezeigt als älterer Mann, so wie wir ihn kennen, aber auch als Kind, das aktiv an der Geschichte teilnimmt. Im Laufe der Geschichte werden verschiedene Aussagen Ghandis betreffend seine Philosophie der Gewaltlosigkeit oben auf das Bühnenbild projiziert.
Die Oper von Delibes hat zwar als Hintergrund der Handlung die Kolonisation Indiens durch die Engländer, aber sie ist keine politische Oper, sondern sie erzählt die unglückliche und unmögliche Liebe zweier Menschen aus verschiedenen Kulturen. Sie erinnert in diesem Aspekt natürlich an die Geschichte der Madama Butterfly von Giacomo Puccini. Kein Wunder, da die Grundlage der beiden Geschichten jeweils vom selben Schriftsteller Pierre Loti stammen.
Der Regisseur nutzt in Lüttich die Ballettszene (Choreographie von Barbara Palumbo) am Anfang des zweiten Aktes, um die Unterdrückung der Einheimischen durch den imperialistischen Okkupanten als Schattenspiel auf englischer Flagge zu zeigen.
Die Bühnenbilder sind ebenfalls Balsam für das Auge des Zuschauers. Die Szene des ersten Aktes spielt vor dem Tempel von Nilakantha. Das Bühnenbild von Paolo Vitale und die Kostüme von Giada Masi sind in Tönungen von Safran gehalten. Im zweiten Akt übernehmen Bühnenbild und Kostüme die Farbenpracht eines indischen Gewürzmarktes. Das Regieteam hat den dritten Akt nicht in den Wald verlegt, so wie in der Originalgeschichte vorgesehen. Dieser letze Teil spielt in einem typischen englischen Clubhaus, das aber hier ganz in Grün gehalten ist, als Referenz an die Natur.
Aber nicht nur das Auge des Zuschauers kommt voll auf seine Kosten, nein, auch die Ohren werden durch die musikalischen Leistungen der Aufführenden verwöhnt.
Lakmé wird gesungen von der jungen belgischen Sopranistin Jodie Devos, die seit einigen Jahren eine fulminante Karriere hinlegt, besonders, aber nicht ausschließlich, im französischen Repertoire. Ihre glockenreine, höhensichere Sopranstimme passt natürlich total zur Koloratur-Glockenarie der Lakmé. Aber auch in den lyrischen Momenten und in den Liebesduetten mit Gérard (Philippe Talbot) weiß sie mit gut geführter Stimme und klarer Diktion zu überzeugen. Sehr schön das berühmte Blumenduett mit Lakmés Dienerin Mallika (gesungen mit warmer Stimme von Marion Lebègue), wo sich die Stimmen der beiden Sängerinnen sehr schön vermischen.
Philippe Talbot singt den Gérard, der sich in Lakmé verliebt, sie aber dann schlussendlich doch verläßt wegen seines Ehrgefühls gegenüber seiner Heimat und deren Armee. Talbot besitzt eine typisch französisch timbrierte Tenorstimme und eine tolle Diktion. Es fehlt ihm jedoch manchmal an Volumen, um sich in einigen Forte- und Ensemble-Passagen besser durchzusetzen.
Lionel Lhote, wie Josie Devos Belgier und ehemaliger Preisträger des Brüsseler Gesang-Wettbewerbs “Königin Elisabeth”, gab den Vater von Lakmé, Nilakantha, mit toller Stimme und imposanter Bühnenpräsenz.
Pierre Doyen als Frédéric, Julie Mossey als Elen, Pierre Romainville als Hadji und alle anderen Sänger der kleineren Rollen waren gut besetzt.
Frédéric Chaslin am Dirigentenpult kennt die Partitur und deren Gefahr in zuckersüßen Kitsch abzugleiten. Sein forsches Tempo entgegnet diesem Risiko vom ersten Takt an, auch wenn dies in einigen Passagen ein wenig auf Kosten der lyrischen Melodien geht. Orchester und Chor bestätigen das gute allgemeine Niveau der Oper von Lüttich.
Jean-Nico Schambourg, 25. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at