Koskys einzigartige Regiekunst triumphiert auch in Wien... und Roščić sollte dringend mal auf dem Stehplatz für Ruhe sorgen

Le Nozze di Figaro, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart  Wiener Staatsoper, 11. März 2023 PREMIERE

Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Ein Abend der Superlative beherrscht die Bühne, es ist mal wieder ein Triumphzug der Barrie Kosky-Regiekunst. Einerseits zum Brüllen komisch, andererseits hochspannend und viel zum Nachdenken. Herausragende Stimmen komplettieren einen perfekten Abend… nur die Stimmung in der Galerie ist mal wieder verbesserungswürdig.

Le Nozze di Figaro
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto von Lorenzo Da Ponte

Philippe Jordan   Dirigent
Barrie Kosky   Inszenierung
Rufus Didwiszus   Bühne
Victoria Behr   Kostüme
Franck Evin   Licht
Jan Freese   Bühnenbildassistenz

 

Wiener Staatosper, 11. März 2023 PREMIERE

von Johannes Karl Fischer

Sorry, liebes Orchester, liebe SängerInnen, in jeder anderen Inszenierung wäre die Musik das Spektakel schlechthin. Philippe Jordan scheint den Mozart’schen Dirigentenberuf kapiert zu haben und dirigiert vom Hammerklavier aus ein schlagsahneleicht spielendes Orchester. All das könnte zum Highlight des Abends werden.

Aber was dieser australische Ausnahme-Regisseur auf die Bühne bringt, ist ein völlig neues Werk mit allen alten Noten. Als hätten Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo Da Ponte diese Oper 2023 geschrieben. Samt all den wunderbaren, zeitlosen Arien und Duetten mit fröhlichen Harmonien des 18. Jahrhunderts.

Denn diese Commedia per musica ist zum Brüllen – sorry, zum Lachen – komisch. Facette Nummer eins. Facette Nummer zwei: Die ganzen drei Stunden lang wird ein bitterernstes Thema nach dem anderen thematisiert. Der Conte ist hinter allen her – Susanna, seiner Frau Rosina, selbst Cherubino bleibt von seinen Annäherungen nicht verschont. Kosky stellt mal wieder Fragen – wer ist dieser Page, mag der Graf vielleicht auch Männer – und suggeriert Antworten.

Barrie Kosky © Jan Windszus

Das ist keine Komödie nach dem Motto „Ein Abend zum Lachen“. Es wird gelacht. Viel. Aber es wird auch nachgedacht. Werden. Hoffentlich. In den kommenden Wochen und Monaten, vielleicht im Kaffeehaus oder am abendlichen Esstisch. Allein in der Schlussszene des ersten Akts erzählt Kosky mehr als andere Regie-Teams in drei Opern!

Die sängerische Siegerin des Abends heißt Hanna-Elisabeth Müller in der Rolle der Gräfin. Wie eine Königin steht und singt sie auf der Bühne, ihr packender Sopran strahlt bis hoch hinauf in die Galerie. Mozart hatte auch für Dramatik einiges übrig, man denke an die Königin der Nacht. Mindestens genauso mitreißend gelingt ihr die Parade-Arie „Dove sono i bei momenti“. Das sind die schönsten bei momenti dieser Kunst! Und schon ist das Publikum völlig aus dem Häuschen!

© Guido Werner (Andrè Schuen) & Chris Gonz (Hanna-Elisabeth Müller)

Koskys Komödie kennt auch Helden. In dieser Oper heißt er Figaro. Er ist der Strippenzieher, wagt es, das Recht des Stärkeren – pardon, Vorgesetzten – zu hinterfragen. Peter Kellner spielt nicht nur den Helden, er ist ein Held in dieser Partie. Schon in seiner Parade-Arie „se vuol ballare“ merkt man: Der kam um zu siegen, nicht um zu spaßen. Sein stimmstarker Bass – samt falsettartigen Einschüben in der Höhe –  tanzt mit einer Lockerheit, die dem Humor glatt in die Hände fällt.

Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Seine Geliebte – Susanna – hatte leider einen unschönen Zwischenfall: Diagnose Stimmbandblutung. Maria Nazarova springt für die Sopranistin im Graben ein, Ying Fang – eigentlich für diese Partie vorgesehen – spielt szenisch auf der Bühne. Von der Regie in eine Nobelhotel-Putzfrau samt Sakko und Staubsauger transformiert tanzt auch sie ihre Partie wie eine flotte Polka durch den Abend. Im ganzen Geschehen findet sie sich bestens zurecht, hat mit ihrer Vorgesetzten mächtig Spaß daran, den Grafen und sein Verhalten aufs lächerliche vorzuführen. Ich wünsche Frau Fang eine gute Genesung!

Der Graf Almaviva (Andrè Schuen) selbst möchte gerne den hohen Hausherrn spielen, blamiert sich dabei aber bestens wie ein Baron Ochs. Der ladinische Bariton scheint das zu genießen und spielt die Komödie freudig mit. Auch Patricia Nolz kann mit ihrem runden Mezzo einen äußerst überzeugenden Cherubino auf die Bühne bringen. Mit warmer Stimme kommuniziert sie rührend die ganze Bandbreite an Emotionen, die in dem jungen Pagen vorgehen. Und meistens nicht erfüllt werden.

Die restlichen – sehr zahlreichen – Nebenrollen sind alle auf Vordermann besetzt, ein Markenzeichen dieses Hauses. Stefan Cerny gelingt ein stimmstarker Dr. Bartolo, Josh Lovell spielt als Don Basilio einen äußerst amüsanten Musiklehrer.  Nur Stephanie Houtzeel als Marcellina kann leider mit den anderen Rollen nicht ganz mithalten, da kommt etwas zu wenig Stimme und etwas zu viel Schauspiel durch.

Ein Abend der Superlative beherrscht also die Bühne. Weniger gut ist die Stimmung in der Galerie… Denn nicht nur scheinen einige ZuschauerInnen das Stillsitzen in einer Oper nicht zu raffen. Sondern es gibt mindestens genauso viele, die sich über jedes Flüstern der Stehplatzgäste lautstark aufregen. Das macht es nicht besser!

Und dann auch noch dieses Personal… das mitten während des Aktes die Galeriegänge im Saal auf und ab spaziert. Was soll das denn? Etwa die paar Hanseln mit laufenden Handykameras finden? Das Filmverbot ist ja schön und gut. Aber es wäre deutlich wichtiger, wenn neben den Stehplatz-Dauerquatschern nicht auch noch die eigenen Platzanweiser mit der Vorstellung interferieren würden!

Für die Intendanz wäre es eine der drängendsten Aufgaben, endlich für Ruhe auf dem Stehplatz zu sorgen. Stattdessen fällt Herrn Roščić nichts Besseres ein als jeden Monat – pünktlich zum Vorverkaufsstart – eine neue Folge seiner YouTube-Serie „Bogdans Kartenkaufempfehlungen“ zu drehen.

Dieser Intendant scheint offensichtlich mehr Interesse an seiner eigenen Profilierung als an einer anständigen Auslastungsquote zu haben! Denn auch in Wien gibt es mittlerweile einige – künstlerisch herausragende  – Vorstellungen, bei denen noch viel zu viele Plätze frei sind!

Johannes Karl Fischer, 12. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD-Rezension: Franz Schubert, Schwanengesang, André Schuen, Daniel Heide klassik-begeistert.de 23. Dezember 2022

CD-Rezension: „Sinnbild“ von Hanna-Elisabeth Müller klassik-begeistert.de

Pathys Stehplatz (22): „Figaro“ an der Wiener Staatsoper: Barrie Koskys zweiter Streich, folgt so gleich

3 Gedanken zu „Le Nozze di Figaro, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Wiener Staatsoper, 11. März 2023 PREMIERE“

  1. Ich verstehe Ihr Roščić-Bashing nicht! Warum sollte der Chef des Hauses nicht für die kommenden Vorstellungen werben? Und ich kenne kein Opernhaus, das so gut durch die Pandemie mit all ihren Schließungen geführt wurde, wie die Wiener Staatsoper. Ich bin eine relativ eifrige Besucherin des Hauses, Bogdan Roščić ist es gelungen, das Publikum wieder zurück zu holen und – ganz wichtig – vielen jungen Menschen einen Opernbesuch zu ermöglichen.

    Inge Grabner

  2. Herrn Roščić steht es frei, Werbung in eigener Sache zu machen. Nur löst das keins der Probleme im Haus am Ring. Schauen Sie einmal auf die derzeitige Auslastung der nächsten Premiere „Il ritorno d’Ulisse in patria“ im Webshop. Auch für die herausragende Ariadne auf Naxos mit Nylund/Cutler (November 2022) gab es an der Abendkasse noch sehr viele Karten.

    Das Stehplatz-Dilemma ist nur die Spitze des Eisbergs. Publikumsgeplauder ist in den meisten Partituren nicht vorgesehen! Und die Angebote für junge Leute hinken weit hinter vergleichbaren Initiativen in München oder gar Berlin her.

    An der einzigartigen künstlerischen Exzellenz dieses Hauses kann auch Herr Roščić nicht rütteln. Dennoch scheint seine Intendanz vor allem auf kurzfristige Einnahmensmaximierung und persönliche Publicity zu setzten.

    Johannes Fischer

  3. Vor Roščić gab es einen guten Livestream-Service für Liebhaber der Wiener Staatsoper, die aufgrund ihres aktuellen Wohnsitzes meist nur so mit dem Haus ständig verbunden bleiben können.
    Mit grosser Spannung habe ich die nach dem Führungswechsel angekündigten Service-Verbesserungen erwartet.

    Das Ergebnis:
    1. Die 2014 noch als Pionierleistung eingeführte Hochauflösung (UHD/4K) ist 2023 von der Bildfläche verschwunden, obwohl heute weit mehr TV Geräte diese beherrschen würden: 2014 waren es noch weniger als 3% der Haushalte, heute sind es über 30%.
    2. Den Doppelstream, bei dem ich vorher selbst jederzeit zwischen der gesamten Bühne und Details (Zoom) umschalten konnte, gibt es nicht mehr.
    3. Als Abonnent konnte ich vorher mehrere Vorstellungen pro Monat sehen, jetzt überträgt der Livestream maximal eine pro Monat.
    4. Vorher gab es ein paar ständig wechselnde Opernaufzeichnungen, die im Abo inkludiert waren. Jetzt zeigt die Livestream-App seit Jahren in der Rubrik „Diesen Monat kostenlos für unsere Abonnenten“ einzig den Falstaff aus 2019 (habe ich live und aufgezeichnet mehrfach gesehen).
    5. Weitere 23 Opernaufzeichnungen kann man „kaufen“ (die korrekte Bezeichnung wäre eigentlich „mieten“), schade, dass es nicht mehr sind. Vorher waren es in einer Saison so viele live im Abo.
    6. Bei der Tontechnik fällt auf, dass die heute leider immer mehr verbreitete Todsünde der Nivellierung der Dynamikunterschiede auch hier Einzug gefunden hat. Wozu haben die grossen Komponisten Bezeichnungen von ppp bis fff in ihre Noten geschrieben, wenn ein Tontechniker ein leises Solo auf denselben „wohnzimmertauglichen“ Dezibel-Pegel schraubt wie ein Orchester/Chor-Tutti im Fortissimo?!
    7. Vor Herbst 2020 gab es regelmässige Updates der Livestream App (ca. 3 pro Jahr), seither keine einzige.
    Fazit: in meinem Freundeskreis gibt es einige wie mich, die gerne die Abo-Gebühr gezahlt haben, jetzt ist der Livestream zwar gratis, aber dafür ist die Technik und der Umfang viel schlechter. Schade! Ob man so mehr Junge anspricht, die selbst auf YouTube heute 4K Qualität gewohnt sind?

    Vielleicht könnte man mit einem verbesserten Livestream auch die Unart des Handy-Filmens leichter abstellen. Vermutlich wird es nicht funktionieren, wenn man es einfach toleriert. Es ist eine Zumutung für alle, die in der unmittelbaren Umgebung bzw. dahinter sitzen und es sollte beim Kartenkauf eine Klausel geben, die eine sofortige Entfernung der zuwiderhandelnden Störenfriede aus dem Opernhaus ermöglicht.

    Harald Hofmann

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert