Pathys Stehplatz (22) – „Figaro" an der Wiener Staatsoper: Barrie Koskys zweiter Streich, folgt so gleich

Pathys Stehplatz (22): „Figaro“ an der Wiener Staatsoper: Barrie Koskys zweiter Streich, folgt so gleich

Foto: Barrie Kosky © Jürgen Pathy

Bühne frei für Glamour pur. Das heißt es ab 11. März 2023 an der Wiener Staatsoper. Da lässt Barrie Kosky nämlich seine Deutung des Da Ponte-Mozart-Meisterwerks „Le nozze di Figaro“ von der Leine. Erwarten darf man viel: Nicht nur optische Reize, die da womöglich wieder über die Bretter flitzen könnten. Kosky ist bekannt für seine ausgefeilte Personenführung. Auch vielversprechende Stimmen, wie die Susanna der Neuproduktion, die bereits im Vorfeld eine Kostprobe geboten hat.

von Jürgen Pathy

Welcome to the Kosky jungle

„Wie Priscilla Presley, die gerade zu Elvis in den jungle room geht.“ Bei der Sonntagsmatinee offenbart Bogdan Roščić seine Assoziationen zu dieser Neuproduktion. So deutet zumindest er die Szene, wenn der Graf im „blauen Samtanzug“ erscheint. Den trägt Andrè Schuen zu Schau. Der italienische Bariton, der in die Rolle des Grafen schlüpft und auf sein Recht des Grundherrn pocht. „Ius primae noctis“ – das Recht der ersten Nacht. Die steht beim Figaro im Mittelpunkt des Geschehens.

Viel mehr möchte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić dann auch nicht preisgeben. „Damit verrate ich schon zu viel.“ Von der Figaro-Neuproduktion, mit der man nun die zweite Runde der Da Ponte-Opern einläutet. Den „Don Giovanni“ hat man schon unter Dach und Fach gebracht. Nächste Saison soll dann der letzte Streich folgen. „Così fan tutte“, Mozarts Ensemblewerk, mit dem seine erfolgreiche Kooperation mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte enden sollte. Für die Neudeutung aller drei Werke hat man Barrie Kosky verpflichtet.

Pubertäre Lust in Reinform

Von Kosky erfährt man dann auch nicht viel mehr. Drei Paare stünden im Mittelpunkt. Graf und Gräfin, Figaro und Susanna, Cherubino und – ehrlich gesagt, mit wem Kosky den explizit in Verbindung setzt, ist mir wieder entfallen. Ein wandelnder Hormonhaufen sei der Cherubino auf jeden Fall. Einer, der mit einer „Dauererektion“ durchs Leben wandle. Blatt nimmt Kosky sich keines vor den Mund. Hat er noch nie.

Schon eine Woche zuvor hat er sich dem Regieportrait gestellt. Dabei gegen andere Regiekonzepte gewettert, einige wiederum gelobt und zumindest allgemein ganz tief blicken lassen. In seine Art und Weise, wie der gebürtige Australier eine Oper generell auf die Beine stellt. „Entrance“ als auch „Exit“, habe er „nie vorbereitet.“ Das sei ein Prozess, der sich in den sechs Wochen der Proben ergeben muss. „Ich muss in dem Monat während der Probe mit den Sängern was finden.“

Dieser Prozess braucht natürlich Zeit und Erfahrung. Die hat Kosky sich nun seit über 32 Jahren hart erarbeitet. So lange macht er bereits Musiktheater. Den ersten Figaro hat er mit 21 Jahren gemacht. Den zweiten 2005 an der Komischen Oper Berlin, wo er bis Ende der Spielzeit 2022 auch als Intendant aktiv war. Sein Ansatz für die dritte Auslegung nun in Wien ist klar.

„Ich komme aus der Felsensteinschule.“ Der habe nie Oper gesagt, sondern Musiktheater. „Oper ist Musik-Fetischismus.“ Das gäbe es noch in Verona. Auf die Rampe stellen, den Mund aufmachen und darstellerisch eine Null sein, das spielt es bei Kosky nicht. Das wissen auch alle, die in seine Vorstellungen gehen. „Wer das sehen will, kauft kein Ticket für Kosky.“ Bei ihm müssen „Musik und Theater gleichberechtigt sein.“

Tradition verpflichtet

Der „Figaro“ kann in Wien schon eine Bürde sein. So eine Neuproduktion, sei da „keine kleine Sache“, betont Bogdan Roščić. Hier wurde das Werk 1786 uraufgeführt, im Hofburgtheater. Im alten Haus am Michaelerplatz. Eine kleine Plakette erinnert dort heute noch daran. Unzählige Male wurde die Oper seitdem an der Wiener Staatsoper aufgeführt. Mal öfter, mal seltener. Mit Spitzen während der Direktion Richard Strauss, der das Haus von 1919 bis 1924 geleitet hat. Oder in den Nachkriegsjahren, wo das legendäre „Mozart-Ensemble“ unter Josef Krips zu Höhenflügen ansetzen konnte.

Damit diese Neuauslegung auch musikalisch kein Reinfall wird, hat sich der Chef persönlich der Sache angenommen. Leiten wird die Neuproduktion, wie schon viele zuvor, Philippe Jordan. Der Musikdirektor des Hauses, der die Wiener Staatsoper mit Ende der Saison 2025 verlassen wird, greift dabei zu Superlativen. Es sei bestimmt mit das Schönste, „was Mozart je komponiert hat.“ Die Schlussszene, wo der Graf letztendlich um Verzeihung bittet. Beinahe würde man es ihm auch abkaufen, „zumindest in diesem einen Moment“.

Oder die letzten zwanzig Minuten des zweiten Akts, wo sich musikalisch alles unglaublich rasant zuspitzen würde. „Prestissimo“, ein Tempo, das man bei Mozart nur „ganz selten erlebt“, sagt Jordan. Überhaupt sei das Ende des zweiten Akts fast schon revolutionär, lässt er so zwischen den Zeilen mal durchklingen. Zwanzig Minuten, so gut wie durchkomponiert. Das hat es vor dem Figaro noch nicht gegeben.

Große Hoffnungsträgerin aus Asien

Wer jetzt vor Neugierde noch immer nicht platzt, dem sei die Susanna der Produktion ans Herz gelegt. Gänsehaut pur, die liefert Ying Fang bereits zu Mittag. Mit einem kurzen Auszug aus dem „Figaro“, mit dem die blutjunge Asiatin, die ihr Hausdebüt feiert, große Hoffnungen erweckt. Auf eine Susanna, wie man sie schon seit langem vielleicht nicht mehr gehört haben könnte.

Dass Mozart und Strauss aber noch immer zwei Paar Schuhe sind, muss auch sie sich eingestehen. Mit „Morgen“ von Richard Strauss, den man ihr noch aufbürdet, hat man ihr nicht unbedingt einen Gefallen getan. Passt halt zum Konzept der Matinee, die auch Gustav Mahler nicht aus den Augen verliert. Immerhin feiert man in dieser Saison ein Jubiläum. 125 Jahre ist es her, dass Gustav Mahler die Führung des Hauses übernommen hatte. Von 1897 bis 1907 war er Direktor der Wiener Staatsoper. Eine prägende Zeit für dieses Haus. Auf eine solche, wenn auch einer ganz anderen Art, darf man nun in Wien wieder hoffen.

Die Tür steht offen für ein neues Mozartzeitalter

Auf in eine neue Zeitrechnung. Pre-Kosky und After-Kosky, könnte man die nennen. Seit seiner „Don Giovanni“-Show weht in Wien ein frischer Wind. Gefragt sind da natürliche andere Talente als noch im Jahre Schnee, wo man in diesem stecken bleiben konnte und dennoch eine gute Figur aufs Parkett gelegt hat. Goldkehlchen alleine reicht nicht mehr.

Das dürfte allen Beteiligten der Neuproduktion auch nicht fremd sein. Bariton Andrè Schuen, der bereits jetzt schon zu den großen seines Fachs zu zählen ist. Wolfgang Bankl, im Haus am Ring seit Jahrzehnten eine Bank, darf dabei nicht fehlen. Ebenso wenig Patricia Nolz, die zwar noch zum Frischfleisch zählt, ihrem Namen aber bereits alle Ehre gemacht hat. Oder Stefan Czerny, der an der Wiener Staatsoper leider viel zu selten Gast ist. An seinem Stammhaus, der Volksoper Wien, ist der schlanke Wiener mit der tiefen Stimme nicht mehr wegzudenken.

Großer Abwesender bei der Matinee: Peter Kellner, der Figaro der Produktion, dem man eine „Stimmschonung verordnet hat“. Bei Kosky kann die schon mal notwendig sein. Personenführung ist sein Credo, um nicht „Konzept“ zu sagen. Ein Wort, das Kosky hasst. Die Musik, der Text und der Körper, müssten zusammenarbeiten wie in „einem virtuosen Tanz“. Das treibt er auch Mal gerne an die Spitze. Davon wird man sich bei dieser Neuproduktion möglicherweise überzeugen können.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 10. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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