„Allein schon Bernsteins sich Verströmen in der Musik, sein körperlicher, bis zur Ekstase und Erschöpfung gehender Einsatz für den Komponisten, der ihm von seinem extremen Antisemitismus her eigentlich zuwider sein müsste, ist es wert, der Nachwelt überliefert zu werden.“
Leonard Bernstein dirigiert Tristan und Isolde von Richard Wagner (Unitel BR 746 304)
von Peter Sommeregger
Die erst kürzlich, fast vierzig Jahre nach ihrer Aufzeichnung auf DVD und Blue-Ray Disc erschienene halbszenische Produktion des Tristan hat ihre eigene, interessante Geschichte. Leonard Bernstein, der Zeit seines Lebens ein kompliziertes Verhältnis zur Musik Richard Wagners hatte, bewunderte aber speziell den Tristan sehr und wollte ihn eines Tages unter besonders günstigen Bedingungen aufführen und gleichzeitig für die Schallplatte einspielen. Nach langer Vorlaufzeit wurde das Projekt im Jahr 1981 realisiert. Mit dem durchaus opernerfahrenen Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sowie einer prominenten Sängerbesetzung sollte die Oper für das Label Philips bei einer konzertanten Aufführung mitgeschnitten werden.
Bernstein hatte die gute Idee, jeweils nur einen Akt des kräftezehrenden Werkes auf einmal aufzuführen, um für jeden Akt ausgeruhte Sänger zur Verfügung zu haben. Diese Rechnung ging durchaus auf. Für die Titelrollen konnten die damals führenden Wagner-Sänger Hildegard Behrens und Peter Hofmann gewonnen werden, wobei es für Hofmann ein Rollendebüt war. Yvonne Minton als Brangäne, Bernd Weikl als Kurwenal und Hans Sotin als König Marke gehörten damals ebenfalls zur ersten Garde der Wagnersänger.
Aufführungsort der Konzerte war der Herkulessaal der Münchner Residenz. Die Philharmonie am Gasteig, die als Bau leider gehörig misslang, war damals noch Baustelle. Die sofort ausverkauften Konzerte fanden im Januar, April und November 1981 statt. Eine semi-szenische Aufführung war damals noch ziemliches Neuland, die optische Umsetzung auf dem eher engen Podium des Herkulessaals mutet mit der zeitlichen Distanz doch etwas unbeholfen an. Alle Sänger trugen leicht stilisierte Kostüme, als Hintergrund diente jeweils ein abstraktes Aquarell, das von der Stimmung des jeweiligen Aktes inspiriert war. Für die Ausstattung zeichnete Gerd Krauss verantwortlich, ein wenig unglücklich geriet die angedeutete Inszenierung, ein wenig mehr Aktion auf dem Podium wäre schon möglich gewesen.
Warum die Veröffentlichung des optischen Teils dieses Projektes trotzdem zu begeistern vermag, ist schnell offenkundig. Allein schon Bernsteins sich Verströmen in der Musik, sein körperlicher, bis zur Ekstase und Erschöpfung gehender Einsatz für den Komponisten, der ihm von seinem extremen Antisemitismus her eigentlich zuwider sein müsste, ist es wert, der Nachwelt überliefert zu werden. Zudem ist die Gesamtatmosphäre im Münchner Herkulessaal, der mit einem begeisterten Publikum randvoll ist, auch in den Kamerafahrten gut eingefangen.
Für mich das eigentliche Ereignis ist aber die Isolde von Hildegard Behrens, die sich zum Zeitpunkt der Aufführung auf dem Zenit ihrer Karriere befand. Ich hatte das Glück, sie auch in Everdings Tristan-Inszenierung am Nationaltheater in München zu erleben. Behrens, die das hochdramatische Fach ihrer Stimme förmlich abgetrotzt hatte, nutzte die lyrischen Qualitäten ihres Soprans, um farbenreiche Zwischentöne in die Partie einzubringen, ohne den dramatischen Passagen etwas schuldig zu bleiben. Auch in ihrem nur angedeuteten Spiel gelang es ihr, ein eindrucksvolles Porträt der irischen Königstochter zu zeichnen.
Ein wenig problematischer lag der Fall beim Tristan Peter Hofmanns, einer Partie, die ihm viele seiner Kritiker gar nicht zugetraut hätten. Tatsächlich hatte er im dritten Akt als einziger Sänger ein Notenpult vor sich, aber auch er bemühte sich erfolgreich, den geringen Spielraum für eine authentische Darstellung seiner Rolle zu nutzen, die er später auch bei den Bayreuther Festspielen verkörperte.
Yvonne Mintons Brangäne konnte als stimmlicher Gegenpol zu Isolde überzeugen, ebenso wie Bernd Weikl als warm timbrierter Kurwenal. Hans Sotins Marke war ein gestandener Bass mit durchaus königlicher Statur. Als jungem Seemann begegnete man Thomas Moser, der viele Jahre später selbst zum Tristan wurde, Heinz Zednik überzeugte als eindringlicher Hirte.
Ein Missgeschick bei der Aufführung des dritten Aktes am 10. November 1981 konnte noch nachträglich korrigiert werden: Ausgerechnet während des Liebestodes befiel Hildegard Behrens ein Hustenreiz, der den krönenden Abschluss der Aufführung doch sehr beeinträchtigte, aber das ließ sich später durch eine Nachaufnahme eliminieren.
Die von Philips veröffentlichte Aufnahme ist durchaus ein Highlight der Tristan-Discographie, aber die optische Komponente gibt der Aufführung erst den besonderen dokumentarischen Wert. Bernstein, Behrens und Hofmann, die alle längst verstorben sind, werden hier noch einmal eindrucksvoll lebendig, auch ein Teil des Publikums und des Orchesters weilen sicher nicht mehr unter den Lebenden, aber der Mitschnitt ermöglicht diese reizvolle Zeitreise.
Peter Sommeregger, 23. April 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at