Corinne Winters (Katja). Foto: Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele.
Salzburger Festspiele, Felsenreitschule, 7. August 2022 – PREMIERE
Leoš Janáček „Katja Kabanova“
Oper in drei Akten (1921)
Libretto von Leoš Janáček nach dem Schauspiel Das Gewitter (1859) von Alexander Nikolajewitsch Ostrowski in der tschechischen Übersetzung von Vincenc Červinka
Inszenierung Barry Kosky
von Dr. Klaus Billand
Gestern Abend ging mit großem Erfolg die fünfte Opern-Premiere bei den Salzburgern Festspielen 2022 über die Bühne. Die Inszenierung der „Katja Kabanova“ von Leoš Janáček durch Barrie Kosky im rein aus Menschen bestehenden Bühnenbild von Rufus Didwiszus, den Kostümen von Victoria Behr und im genialen Licht von Franck Evin stellte unter schlagenden Beweis, wie stark und emotional gutes Operntheater sein kann, wenn es von Kennern der Materie und aus der Musik heraus konzipiert wird. Kosky und sein Team sind genau solche Kenner und beherrschen das Handwerk der Opernregie aufs Feinste. Und darauf kommt es letzten Endes immer noch an, wie auch in einem Symposium bei den Bayreuther Festspielen mit dem Titel „Tendenzen und Perspektiven der Wagner-Regie“ herausgearbeitet wurde.
Kosky schafft es, ohne eine einzige Requisite die riesige Bühne der Felsenreitschule intensiv zu bespielen mit einem Stück, das eigentlich eher wie ein mährisches Kammerspiel konzipiert ist. Er und Didwiszus stellen viele Puppen in Kostümen im tristen Grau des Dorfalltags auf die Bühne gegen die Hinterwand, während in den vorderen Reihen echte Statisten mit vermummten Gesichtern agieren. Das wirkt, als würden sie ständig auf die weite Wolga schauen, die ja im Stück eine wichtige Rolle spielt, andererseits aber dem Geschehen wie in Nichtakzeptanz der Handlungen Katjas und Boris’ den Rücken zuwenden. Nach und nach treten die Protagonisten aus diesem Menschenpulk hervor und beginnen zu spielen. Am Ende treten sie wieder in diesen hinein und verschwinden so aus dem Blick…
Die weite restliche Bühne wird auch choreografisch durch Katja und Varvara, Ziehtochter der Kabanicha, gekonnt miteinbezogen, während ein riesiger Bühnenvorhang sich in die Aktübergänge schiebt, der teilweise transparent ist und von Dorfgeräuschen wie Glocken oder Grillenzirpen, sowie am Ende von dem ominösen Gewitter begleitet wird. So entsteht das Stück ohne umständliche Verwandlungen, aber mit einer wie immer bei Kosky exzellenten Personenregie wie aus einem Guss. Katja spürt somit „den Druck von etwas Größerem“, wie Kosky im Programmheft formuliert, während gleichzeitig die Problematik ihrer familiären Situation und der Fluchtversuch aus dieser Enge mit Boris in starken Bildern gezeigt wird.
Die US-amerikanische Sopranistin Corinne Winters ist eine Katja der Sonderklasse und erinnert an Asmik Grigorian zu ihrem Karriere-Beginn. Winters spielt unglaublich engagiert und emphatisch und verfügt über einen leuchtenden einnehmenden Sopran, mit dem sie alle Facetten der Rolle ausloten kann. Die slowakische Mezzosopranistin Jarmila Balážová ist als Varvara eine Partnerin auf Augenhöhe, vokal und darstellerisch mit ebenfalls klangvollem Organ. Evelyn Herlitzius gibt eine eiskalte und ultradominante Kabanicha mit bestechenden vokalen Momenten. In einer kurzen Szene mit Dikoj, der prägnant von Jens Larsen verkörpert wird, offenbart sie die ganze Falschheit und Verlogenheit der Figur – und das liegt der Herlitzius gegen Ende ihrer eindrucksvollen Karriere! Wann kommt die Klytämnestra?!
Jaroslav Březina gibt den Tichon als jämmerliches, aber auch gewalttätiges Muttersöhnchen der Kabanicha und Ehemann Katjas, dem man seine vermeintliche Liebe zu ihr nicht abnehmen kann. David Butt Philip ist ein Boris mit kernigem Tenor, nicht durchgängig schön timbriert, was aber zur Zerrissenheit der Rolle passt. Benjamin Hulett spielt den Liebhaber Varvaras, Kudrjáš, mit charaktervollen Lauten.
Die Konzertvereinigung Wiener Staastopernchor unter der Leitung von Huw Rhys James singt die Töne der riesigen Wolga mystisch aus dem Off, und Jakub Hrůša findet am Pult der Wiener Philharmoniker genau die slawischen Linien, die dieses wunderbare Stück mit großem Erneuerungspotential der Oper als Kunstform im 20. Jahrhundert so auszeichnen. Dabei stellte Hrůša stets eine intensive Beziehung zwischen Orchester und dem lebhaften Geschehen auf der Bühne da.
Ein Abend in Salzburg, der vor allem nach dem überaus enttäuschenden neuen „Ring des Nibelungen“ durch Valentin Schwarz in Bayreuth dokumentierte, wozu Oper in der Lage ist, wenn Plot und Ideen des Komponisten ernst genommen und kenntnisreich aus der Musik heraus umgesetzt werden. Und ganz nebenbei wurde einmal mehr die Mähr widerlegt, dass Regisseure immer nur dann glücklich sein können, wenn sie besonders heftig ausgebuht werden. Das Publikum feierte die Sänger ohnehin, aber auch das leading team mit begeistertem Applaus. Kein einziges Buh! Und auch Kosky freute sich, ganz ehrlich…
Dr. Klaus Billand, www.klaus-billand.com , 8. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weitere Termine 11., 14., 21., 26. und 29. August – Besuch dringend empfohlen!
Leoš Janáček, Katja Kabanowa, Komische Oper Berlin, 27. November 2021 (PREMIERE)
Leoš Janáček, JENUFA, Theater Bremen, Theater am Goetheplatz, 9. April 2022 PREMIERE
„Dadurch wandeln sich die Interpretationen seit etwa den 1970er-Jahren zunehmend von hermeneutischer Exegese zu diskursiver Projektion und postmodernem Dekonstruktivismus.“
Ein Zitat aus dem verlinkten Text. Entweder bin ich ein ungebildeter Prolet oder der Satz ist wirklich ein Monster aus Fremdwörtern. Ich verstehe zumindest nur Bahnhof!
Jürgen Pathy