Voll geirrt oder Quelle Surprise!

LGT Young Soloists, Leitung: Alexander Gilman, Solist: Alexey Stadler (Violoncello)  Elbphilharmonie, 25. Februar 2024

LGT Young Soloists © LGT Young Soloists

Elbphilharmonie, 25. Februar 2024

LGT Young Soloists

Leitung: Alexander Gilman
Solist: Alexey Stadler (Violoncello)

Kurt Atterberg:
Suite Nr. 3 für Violine, Viola und Streicher
Mit: Clarissa Bevilacqua (Violine) und Anuschka Pedano (Viola)

Pēteris Vasks:
Konzert für Violoncello und Orchester „Presence“
Solist: Alexey Stadler (Violoncello)  

Gustav Holst:
St Paul’s Suite op. 29

Max Bruch:
Kol Nidrei / Adagio über hebräische Melodien für Violoncello und Orchester op. 47
Mit: Caterina Isaia (Violoncello)

Maurice Ravel:
Tzigane / Konzertrhapsodie für Violine, Harfe und Streichorchester
Mit: Haeun Honn


von Harald Nicolas Stazol

Als ich das Handy des Komponistensohnes von Pēteris Vasks auf den heiligen Boden der Elphi schmettere, als ich dem Meister des neuen Tons für sein wundersames, wunderschönes, WUNDERVOLLES Cellokonzert gratulieren möchte, mit einem Handschlag in die Linke, in der Rechten hält er seine rote Rose, von der Schwiegertochter mitgebracht, da denke ich noch, absolut beseelt, man verzeihe mir hoffentlich meine Peinlichkeit und schiere Pein, und ja, mir wurde verziehen.

Unverzeihlich aber meine Unkenntnis über die „LGT Young Soloists“, die heute Abend aus der Schweiz angereist sind, und da was aufführen, das, für solches Jungvolk – der jüngste Cellist, Lyam Chenaux, ist 14, (in Worten: Vierzehn) – schlicht und einfach ein wundersames, wunderschönes, WUNDERVOLLES geben, dass man der TheaterGemeinde Hamburg e.V. in Verbindung mit TONALi sich tiefverbeugt nur danken kann, ähnlich, wie der Vierzehnjährige, fast bis zum Boden hinab!

Das vom Gründer Alexander Gilman zusammengesuchte Streichorchester ist auch Augenweide: Zehn Grazien sind auf der Bühne, vor von Honorationen und vermutbaren Spendern vollbesetzten Saal, eine jede gertenschlank, in wunderbaren, bodenlangen, prächtigen Abendkleidern, im Falle der Harfenistin Tannaz Beigi – unfassbar elegant in Gestus und Klang, und der Geigerin Huaen Honney Kim, silberbestickt – bei Ravels „Tzigane“ – die eine Leidenschaft verströmen, dass man einfach nur dankbar sein kann, eines solchen Abends Zeuge zu sein.

Vorangestellt direkt nach der Pause die St. Paul’s Suite des Gustav Holst – von ihm ja die epochale Suite „The Planets“, die ja nur bis zum Jupiter geht, weil Pluto und die anderen Planeten noch gar nicht entdeckt waren – hier alles auswendig und im Stehen! Und was hatte ich Sorge, meinem Begleiter Rocco Felicé nur ein „Schulorchester“ bieten zu können: Ach, was habe ich mich glücksvoll geirrt!

Das Ganze beginnt mit allerleisesten Tönen des Kurt Atterberg, eines mir Unbekannten, den kennenzulernen ich Jedermann nur empfehlen kann: „Die Suite Nr. 3 op. 19 für Violine, Viola und Streichorchester, die der schwedische Komponist 1917 als Bühnenmusik zu Maeterlincks „Syster Beatrice“ schrieb.“

Und später, zum gesamten Ende, eben Maurice Ravels „Tzigane“ für Violine, Harfe und Streichorchester, dass virtuos mit dem Idiom ungarischer Volksweisen spielt: Allein, da sind die Dauerhuster, und ich erinnere nur an Sir John Eliot Gardiner, der seinen Donnerblick nach oben warf – nun wirklich, bleibt doch bei Husten daheim!

Zum Cellokonzert: Denn da gibt der überragende Cellist, Alexey Stadler, mittlerweile Professor in Hamburg, eine ergreifende Rede: „Ich habe mit dem Komponisten lange telefoniert, auch über den Angriffskrieg“, erstaunlicherweise, kommt er selbst doch aus Leningrad, und er weist uns an, „das Stück ist erst zu Ende, wenn wir alle aufstehen, wir spielen en suite.“ Und weiter: „Man hört zunächst im ersten Takt“ – leis-leisest – „den Beginn des Auferstehens eines Lebens. Dann eine reine Aggressivität“ – etwas zu atonal? – „und das endet mit dem neuen Aufstieg einer Seele!“ – da ist im oberen Rang eine unterstützende, federführende Sopranistin.

Ich sage ja, ich habe das Handy in der Gratulation des Komponisten nicht umsonst fast geschrottet. Nein, in der Tat, im grauen Wollpulli steht da an der Bühnenseite ein Genie im besten Alter, dem Solisten applaudierend, zurückhaltend und von beeindruckender, tiefer Bescheidenheit – eines längeren Applauses kann ich mich in der Philharmonie kaum erinnern, zuletzt vielleicht bei Hamelin oder Vengerov.

Das Ganze dirigierend mit erhobenem Bogen und bis in die Knie sich biegenden, Alexander Gilmann, dem man für die Zusammenstellung dieser Truppe – ein kleiner Junge, und vier andere Streicher und zehn Grazien – nur danken kann.

Da hat man einen Import aus der Schweiz, der einen nun und nur hinwegträgt. Wie eine Tafel Schweizer Schokolade, auf dem Gaumen geradezu dahinschmelzend… man ist eingespielt, voller jugendlicher Verve und Hingabe – sie machen alles richtig, und das Rund der Hörer ist hin- und weggerissen! Kein Wunder, bei der Ohren- und Augenweide?

Ein vollends unerwarteter Abend – und darob im Sinne des Wortes auf das Äußerste bemerkenswert – das kann man mir nun WIRKLICH glauben!

Harald Nicolas Stazol, 27. Februar 2024,  für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

LGT Young Soloists, Philharmonie Berlin, 29. Oktober 2019

Kirill Petrenko, Dirigent, Lisa Batiashvili, Violine, Berliner Philharmoniker Elbphilharmonie, 23. Februar 2024

Klein beleuchtet kurz Nr 17: Berliner Philharmoniker Elbphilharmonie, 23. Februar 2024

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