Lieses Klassikwelt 14 / 2019: Pavarotti

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Im Gegensatz zu Pavarotti bin ich der Meinung, dass Oper eine elitäre Kunstform ist und als eine solche auch ohne den ganzen Rummel von Attraktionen, Sensationen und Effekten zu ihrem Recht kommen sollte.

von Kirsten Liese

Seine Stimme wurde als „honigsüß“ beschrieben, die gefürchteten hohen C’s steuerte Luciano Pavarotti mühelos an, problemlos konnte er sie neunmal hintereinander singen. Er war einer der größten Tenöre, wenn nicht der bedeutendste seiner Zeit.

Im Nachhinein und angestoßen durch den viel beworbenen Dokumentarfilm über den italienischen Startenor, der nun an Weihnachten in die Kinos gekommen ist, frage ich mich, warum ich mich mit ihm zu seinen Lebzeiten vergleichsweise wenig beschäftigt habe. Es muss wohl daran gelegen haben, dass Pavarotti aufgrund seiner Leibesfülle auf der Bühne sehr unbeweglich war und im Übrigen vor allem in seinen späteren Jahren überwiegend – ob nun im Ensemble der Drei Tenöre oder in Crossover-Konzerten mit Popsängern – viel Tralala-Musik sang, die mich nicht interessierte.

Nur zwei Mal überhaupt habe ich Pavarotti live auf der Bühne erlebt. Das ist lange her, es muss in den 1970er Jahren gewesen sein. Er gastierte damals an der Deutschen Oper Berlin als Cavaradossi in Tosca in der bis heute bewährten Inszenierung von Boleslaw Barlog. Die schmelzreiche Stimme des Tenorissimo blieb mir damals nicht verborgen, aber so wie er steif mit breit geöffneten Armen dastand, im ersten Akt noch nicht einmal Anstrengungen unternahm, auf das Gerüst des Malers zu steigen, wirkte er in seiner Rolle auf mich zu wenig glaubwürdig.

Mit zehn oder zwölf war ich damals freilich noch viel zu jung, um die Qualitäten ermessen zu können, die dem Sänger seinen Ruhm eintrugen. Dass dieser Mann so stark berührte, weil in seine Interpretationen Emotionen aus seinem eigenen Leben einflossen, wurde mir nun beim Sehen des Filmes erst so richtig bewusst. Stark zugesetzt muss es dem Sänger zum Beispiel haben, dass ihn eine Gesangsschülerin, die zu seiner Sekretärin und langjährigen Geliebten wurde, eines Tages verließ. In so ausgewählten Arien wie Vesti la giuppa aus dem Bajazzo und E lucevan le stelle aus Tosca vermittelten sich solche schmerzreichen Enttäuschungen auf bewegende Weise.

Ohne jetzt näher auf das komplizierte Liebesleben des Sängers eingehen zu wollen: Mutig war der bärtige, korpulente Mann ja schon, wenn man bedenkt, dass er sich von seiner ersten Frau Adua Veroni nach vielen Ehejahren doch noch scheiden ließ, um die 34 Jahre jüngere Nicoletta Mantovani trotz großem moralischen Aufruhr im katholischen Italien zu heiraten. Die meisten Männer, die sich in einem Doppelleben zwischen Ehe und Liebesnest einrichten, hätten einen solchen Kraftakt wohl eher gescheut.

Im Zentrum von Ron Howards Film steht allerdings der Kassenmagnet Pavarotti, der sich zusammen mit seinen Managern anschickte, die Oper zu popularisieren, mit seinen Auftritten vor Massen für spektakuläre Events sorgte, bei denen sich etwa in London auch Prinzessin Diana einfand. Vermutlich war das auch ein gewichtiger Grund, warum sich meine Pavarotti-Faszination in Grenzen hielt.

Meines Erachtens – und so denke ich auch heute noch – gehört die Oper eben doch ins Opernhaus, schon allein im Hinblick auf die räumlichen und akustischen Verhältnisse. Alles Subtile in dieser Kunstform muss doch unweigerlich auf großen Plätzen zu kurz kommen, eine feinstoffliche musikalische Einstudierung lässt sich dort jedenfalls schlechter verwirklichen.

Noch dazu kommt, dass in den großen Freilicht-Arenen der Einsatz von Mikrofonen unerlässlich erscheint. Stimmen können darunter Schaden nehmen. Insbesondere Soprane laufen Gefahr, den Einsatz ihrer, vor allem für zärtliche Pianotöne unerlässliche, Kopfstimme zu vernachlässigen. Die stimmliche Tragfähigkeit verkümmert. Da sind wir wieder einmal bei Elisabeth Schwarzkopf, die sich in ihren Meisterklassen darüber Fransen an den Mund redete. Längst weiß ich, dass das nicht nur eine Manie von ihr war.

Als ich vor einigen Jahren ein aufgezeichnetes Gespräch mit ihrem Tonmeister Johann-Nikolaus Matthes hörte, in dem dieser auf Schwarzkopfs Frage, wie denn die heutigen Sängerstars so wären, antwortete, man höre sie kaum, kam mir das übertrieben vor. Aber als ich dann im vergangenen Jahr in einem hochkarätig besetzten Parsifal in der Bayerischen Staatsoper saß, kam mir diese Behauptung plötzlich wieder in den Sinn: Unter allen prominenten Namen, die sich dort auf der Bühne versammelten, besaß einzig Nina Stemme als Kundry die gebotene Tragfähigkeit, wie ich sie aus früheren Jahrzehnten kannte, alle anderen Stimmen wirkten wenig präsent wie unter einer Glasglocke.

Sollte die Bayerische Staatsoper mit ihren 2100 Plätzen für heutige Opernsänger schon ein Problem darstellen? Oder ist das Münchner Nationaltheater eine der letzten Bastionen, wo das Singen mit Mikroport noch ein Tabu ist? Das Münchner Publikum scheint sich an die mangelnde Durchschlagskraft offenbar schon gewöhnt zu haben. Jedenfalls fiel es zweien meiner Münchner Kollegen, mit denen ich mich darüber austauschte, gar nicht auf.

Dafür höre ich zunehmend hier und da von Insidern hinter vorgehaltener Hand, welche namhaften Sänger sich mittlerweile an anderen Häusern in aller Heimlichkeit verstärken lassen.

Im Gegensatz zu Pavarotti bin ich der Meinung, dass Oper eine elitäre Kunstform ist und als eine solche auch ohne den ganzen Rummel von Attraktionen, Sensationen und Effekten zu ihrem Recht kommen sollte.

Ein wenig beschleicht mich das Gefühl, dass der Fokus auf den Popstar Pavarotti im Film auch der Grund dafür sein könnte, warum Mirella Freni – eine der wunderbarsten lyrisch-dramatischen italienischen Soprane überhaupt und dem Mikrofonsingen gegenüber so kritisch wie Schwarzkopf eingestellt – an der Doku nicht mitwirken wollte. Wiewohl die Sopranistin im selben Jahr wie Pavarotti in Modena geboren, sogar von derselben Amme versorgt wurde und eine seiner wichtigsten Bühnenpartnerinnen war, erwähnt Howard sie in seinem Film mit keiner Silbe.

An solchen Details zeigen sich für mich die Defizite eines Films, der es gleichwohl geschafft hat, mein Interesse für den Sänger anzukurbeln.

Immerhin gibt es ja noch ein paar Opernaufzeichnungen mit ihm. Ich werde mir eine Produktion von La Bohème aus der Oper in San Francisco besorgen, in der Freni und Pavarotti in ihren Paraderollen als Mimì und Rodolfo zusammen auf der Bühne standen. Das müssen, liest man Zeitzeugen, wahre Sternstunden gewesen sein.

Kirsten Liese, Berlin, 26. Dezember, für
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Ein Gedanke zu „Lieses Klassikwelt 14 / 2019
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  1. Sehr geehrte Frau Liese, danke für ihren interessanten Artikel. Was Sie da schreiben, lässt einen aufhorchen. Ich hielt es bisher für unvorstellbar, dass in geschlossenen Opernhäusern Mikroports eingesetzt werden, wenngleich ich davon auch gehört habe, dass betraf aber eher Konzertsäle. Wenn das Opernhaus die Technik für Gesangsverstärkung bereit stellte, hielte ich es für Betrug, gegen den man sich wehren müsste. Pavarotti und Freni hatten das sicher nicht nötig, ich hörte beide 1974 in Hamburg in La Boheme, es war routiniert professionell. 1977 waren beide hier für den Liebestrank engagiert, sie hatten neu geprobt, es war schlicht sensationell. nach Nemorinos Arie geriet das Publikum außer Rand und Band, es dauerte annähernd 20 Minuten, bis der Tenor weiter singen konnte. Pavarotti gelang es, sein statisches Agieren mittels seiner Stimme völlig vergessen zu lassen. Adina musste sich einfach in diese Stimme (und damit in diesen Mann) verlieben. Pavarotti hörte ich in den 1970er-Jahren in Hamburg auch noch als Edgardo (Lucia), Riccardo (Maskenball) sowie als Sänger (!) im Rosenkavalier. Mit den allerherzlichen Grüßen, Ihr Ralf Wegner

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