Es hat mich zutiefst berührt, wie Klaus Lang bis zu seinem selbstbestimmten Tod unermüdlich für Furtwängler kämpfte. Nur eines schaffte er nicht mehr: einen Intendanten oder Regisseur zu finden, der sein Stück auf die Bühne bringen würde. Bislang schlugen in der Fortsetzung zwar auch meine Bemühungen fehl. Aber ich bin ja noch da.
von Kirsten Liese
Im Frühjahr haben die Berliner Philharmoniker eine imposante Box mit den vielleicht wichtigsten Aufnahmen ihrer Geschichte veröffentlicht: sämtliche Konzertmitschnitte für den Rundfunk unter Wilhelm Furtwängler. Vieles darunter ist bis heute unübertroffen.
Leider hat sich jedoch in den Köpfen zahlreicher Menschen ein falsches Bild von dem größten deutschen Dirigenten festgesetzt: Sie sehen in ihm einen Opportunisten, Mitläufer, gar einen Kollaborateur der Nazis.
Der Dramatiker Robin Harwood, der das Stück „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“ schrieb, das 1995 uraufgeführt, weltweit an vielen Bühnen nachgespielt und von István Szabó unter demselben Titel verfilmt wurde, hat dazu beigetragen. Furtwänglers Entnazifizierung trug sich anders zu. Der Musikjournalist Klaus Lang sollte 17 Jahre später den Beweis dafür erbringen.
Da mir die Wahrheit am Herzen liegt, widme ich mich an dieser Stelle noch einmal dem 2012 erschienenen, viel zu unbeachtet gebliebenen Buch, einem der wichtigsten der vergangenen Jahre: „Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung“.
Zuvor ein paar Notizen zu seinem Autor: Lang war eine Instanz im Hörfunk des damaligen Sender Freies Berlin, dem heutigen RBB und Furtwängler-Experte. Er machte unzählige Sendungen über ihn, interviewte alle großen Musiker und Dirigenten seiner Zeit, war Initiator der legendären Russenbänder, die ohne ihn nicht den Weg von Moskau zurück ins Archiv in die Berliner Masurenallee gelangt wären, und verfügte als ehemaliger Tonmeister der Freien Volksbühne in den 1960er Jahren über Theatererfahrung. Anfang der 1990er Jahre lernte ich ihn während meiner Hospitanz beim SFB kennen. Er war bis zu seinem Tod mein Mentor, Vorbild, Weggefährte, Kollege und Freund.
Ihm verdankte ich es auch, Furtwänglers Witwe Elisabeth Furtwängler persönlich kennengelernt zu haben, es muss 2010 oder 2011 gewesen sein. In ihrer Villa in der französischen Schweiz durfte ich sie besuchen. Meine damalige befreundete Begleitung war übrigens Claire Erlanger, langjährige Sekretärin des britischen EMI-Plattenproduzenten Walter Legge. Einen Nachmittag verbrachten wir bei Kaffee und Kuchen mit der eleganten, geistig noch regen Frau Furtwängler, die schon ein hohes Alter von Ende 90 erreicht hatte. Es war für sie ein „furchtbarer Tag“, wie sie uns erzählte, weil der erste, an dem sie ihrer besorgten Kinder wegen freiwillig nicht mehr Auto fuhr.
Aber zurück zum Eigentlichen: Im Juli 2008 entdeckte Klaus Lang zufällig im Berliner Landesarchiv die Entnazifizierungsakte Furtwänglers, die auf 104 Schreibmaschinenseiten wörtlich wiedergibt, was am 17. Dezember 1946 in der Berliner Schlüterstrasse 45 geschah. Das Protokoll erschien nie im Druck, ließ aber seinen Entdecker ordentlich staunen, taugten doch die wortwörtlichen Äußerungen von Furtwängler, der Kommission und 16 Zeugen tatsächlich für ein außerordentlich spannendes, wenngleich auch gänzlich anderes Theaterstück:
Zwei junge, zuvor noch im Widerstand aktive deutsche Widerstandskämpfer, einer darunter jüdischer Herkunft, führten die Verhandlung und nicht etwa ein amerikanischer, ordinärer Major wie der von Harwood frei erfundene. Knapp hundert Leute, Journalisten, Musiker, Abonnenten und Neugierige hörten zu.
Das Verfahren ging in Würde vor sich, in Respekt vor dem größten deutschen Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Furtwängler erschien mithin nicht als ein Angeklagter, sondern als ein Appellant, der sich freiwillig der Kommission gestellt hatte und erfolgreich um seine vollständige Rehabilitierung kämpfte: Unter großem Beifall und stolz erhobenen Hauptes verließ er nach seinem einhelligen Freispruch aufrecht den Saal.
Frei von jedweden Zweifeln an seiner Unschuld, hatte die Kommission begriffen, dass Furtwängler Deutschland deshalb nicht verlassen hatte, weil er dem Orchester, vielen Verfolgten, der Musik und seinem Publikum helfen wollte und dies auch tat.
In seinem Buch liefert Lang zudem viele wichtige Hintergrundinformationen. Da geht es beispielsweise um das berüchtigte Hitler-Geburtstagskonzert im April 1942 in der alten Berliner Philharmonie, bei dem jenes Foto entstand, auf dem Furtwängler Goebbels die Hand reicht, das immer wieder als vermeintlicher Beweis für Furtwänglers Mitläufertum bemüht wird.
Die Umstände, die zu diesem Handschlag führten, sind indes kaum bekannt: Ursprünglich war nämlich kein Hitler-Geburtstagskonzert geplant, vielmehr wollte Furtwängler mit Beethovens Neunter am 19. April den 100. Geburtstag der von Otto Nicolai 1842 ins Leben gerufenen Sinfoniekonzerte feiern. Goebbels und Gauleiter Baldur von Schirach sabotierten aber diese Pläne, in dem sie das „Nicolai“-Konzert auf den 22. April verschoben. Damit trieben sie den Dirigenten in die Ecke, dem somit keine andere Wahl blieb, das kurzfristig anberaumte Hitler-Konzert am 19. zu leiten, ohne sein Leben zu gefährden. Als der Minister dann im brandenden Schlussapplaus aufsprang und die Hand zum Podium hinaufstreckte, war klar, dass Furtwängler sie keineswegs ausschlagen konnte, ohne sein Leben zu gefährden.
Es hat mich zutiefst berührt, wie Klaus Lang bis zu seinem selbstbestimmten Tod unermüdlich für Furtwängler kämpfte. Immerhin konnte er erwirken, dass der RBB das neue reale „Theaterstück“ mit Schauspielern als Lesung für den Hörfunk aufnahm. Nur eines schaffte er nicht mehr: einen Intendanten oder Regisseur zu finden, der sein Stück auf die Bühne bringen würde. Es harrt immer noch seiner Uraufführung. Bislang schlugen in der Fortsetzung zwar auch meine Bemühungen fehl. Aber ich bin ja noch da.
Kirsten Liese, Berlin, 18. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .