Lieses Klassikwelt 69: Waltraud Meier

Lieses Klassikwelt 69: Waltraud Meier

Foto: Waltraud Maier und Christian Franz, (c) Staatsoper Unter den Linden

Die Isolde, die sie 2014 zum letzten Mal verkörperte, war ihre Lebensrolle. Aber auch als Kundry, Sieglinde, Waltraute, Fricka und Ortrud setzte Waltraud Meier, Jahrgang 1956, Maßstäbe. Aus Anlass ihres Geburtstags (*9. Januar 1956)  widme ich der wunderbaren Sängerdarstellerin – für mich vor allem im Wagnerfach eine der besten der jüngeren Aufführungsgeschichte – meine heutige Klassikwelt.

Ihre Isolde in der bewährten, viel gespielten Berliner Inszenierung von Harry Kupfer mit dem gestürzten Engel in der Mitte der Bühne, meist unter der Leitung von Daniel Barenboim, habe ich noch ganz genau vor Augen. Mit ihrer schlanken Figur, ihrer auch in reiferen Jahren jugendlichen Ausstrahlung und ihrer langen Haarpracht war sie schon äußerlich eine Isolde wie aus dem Bilderbuch. Ihre Stimme ist „enorm und schwingt frei“, wie einmal ein Kritiker treffend schrieb, dies auch in den Spitzen, wo Soprane oftmals ins Flackern geraten oder leicht metallisch tönen. Zudem verfügte Meier dank ihrer persönlichen Ausstrahlung und ihres Timbres über eine sublime Erotik, mit der sie ihre Auftritte krönte. Auch auf ihren langjährigen Wegbegleiter am Dirigierpult muss das ausgestrahlt haben, sensiblen Antennen entging jedenfalls nicht ein gewisses Prickeln zwischen Bühne und Graben.

Wie ich seit einem 2012 geführten, längeren Interview mit Waltraud Meier weiß, hat Daniel Barenboim diese besondere Beziehung auf wahrlich berührende Weise treffend in Worte gefasst, als er zu ihr nach einem Tristan- Abend einmal gesagt haben soll:  „Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, wir sind so wie Handschuh und Hand, nur weiß ich nie, wer was ist.“

Meiers Karriere begann im Alter von 21 Jahren mit ihrem ersten Engagement in Mannheim. Ihre erste Wagnerpartie war dort die Erda. Bald darauf folgten Fricka und Waltraute in der Ring-Tetralogie. Im Mezzofach war sie eigentlich zu Hause, auch wenn mit der Isolde und auch der Sieglinde zwei Sopranrollen zu ihren begehrtesten wurden. Und es war ihr wichtig, dem Mezzofach treu zu bleiben.  Zu anderen gewaltigen Partien wie Brünnhilde, Turandot oder Elektra ließ sie sich deshalb nicht verführen: „Das war mir ganz wichtig, kein falsches Signal zu geben, anzudeuten, ich würde ins Sopranfach wechseln, ein paar Sopranrollen habe ich in mein Repertoire genommen, aber das war’s dann auch.“

Zu ihrer Sieglinde, als die ich sie neben Plácido Domingo in Bayreuth erlebte, erzählte sie mir eine hübsche Anekdote, die sich vor vielen Jahren in Paris anlässlich einer konzertanten Aufführung der Walküre mit Meier als Fricka und Leonie Rysanek in ihrer Paraderolle der Sieglinde zugetragen haben soll. Im Künstlerzimmer sang sich Meier mit der Sieglinden-Stelle „Oh hehrstes Wunder“ ein, die sie zu ihren Lieblingsstellen aus allen Wagneropern zählt, weshalb sie diese Partie später unbedingt einstudieren wollte. Prompt klopfte es an ihrer Tür. Leonie Rysanek war gekommen und prophezeite ihr: „Sie singen mal die Sieglinde!“

Eine Identifikation mit ihren Figuren ist Meier sehr wichtig. Umso mehr sie sich mit einer Figur befasse und in sie „hineinkrieche“, desto mehr könne sie für diese Empathie aufbringen. Das gilt auch für eine böse Figur wie die Ortrud: „Wenn ich Ortrud singe, dann fühle ich voll und ganz mit ihr und mich total im Recht.“

Wenn eine große Wagnersängerin erzählt, dass sie in Bayreuth, wo sie  17 Jahre lang in Folge auftrat, die „schönsten Zeiten ihres Lebens“ verbrachte, mag das wenig erstaunen.

Manch einer wird sich freilich noch daran erinnern, wie es plötzlich wegen eines Streits zwischen ihr und Wolfgang Wagner zu einer Zäsur kam.  Meier hatte es sich herausgenommen, in der Probenzeit noch einen anderen Auftritt in München zu verabreden. Wagner wollte das nicht dulden, es sah danach aus, als würde Meier nie mehr auf den Hügel wiederkehren. Aber ganz so dramatisch war es wohl doch nicht. Wie von der Sängerin zu erfahren, nahm der Zwist wohl  noch ein versöhnliches Ende. Sie hätten sich Briefe geschrieben und das bereinigt, sagt Meier: „Damit war Friede, wir haben uns dann wirklich auch ausgesöhnt.“

Nach Wolfgangs Tod war sie auch auf dessen Trauerfeier dabei. Und 2018 kehrte sie unverhofft noch einmal für einen letzten Auftritt auf den Grünen Hügel zurück: als Ortrud im Lohengrin unter Christian Thielemann.

Zu den vielen Sternstunden mit Waltraud Meier auf der Opernbühne, die mir unvergessen geblieben sind, zählt eine Vorstellung in Bayreuth, in der sie kurzfristig zwei Rollen verkörperte: Sieglinde und Fricka. Als Sieglinde war sie vorgesehen, als Fricka sprang Meier für eine erkrankte Kollegin ein. Sagenhaft wie sie das meisterte! Ich kann mir wahrlich keine andere vorstellen, die diese beiden konträr gegeneinander stehenden Frauenfiguren in zwei verschiedenen Stimmfächern  an einem Abend hätte bewältigen können. Meier gelang das bravourös, der Beifall dafür wollte kein Ende nehmen.

Unvergessen bleibt mir auch ihre Kundry, eine weitere Rolle, die sie längst abgelegt hat. Man ist versucht zu sagen leider. Aber bekanntlich tut gut, wer dann adieu sagt, wenn es am Schönsten ist. In ihrer letzten Parsifal-Vorstellung in der Tcherniakov-Inszenierung bei den österlichen Berliner Festtagen 2016 präsentierte sie sich jedenfalls noch einmal in Topform. Aber am meisten beeindruckte mich ihre ungemein laszive Kundry in der alten Berliner Kupfer-Inszenierung.

Als Konzertsängerin trat Waltraud Meier sogar noch während Corona Anfang September vergangenen Jahres auf, in einer besonderen Aufführung von Beethovens Neunter unter freiem Himmel anlässlich des 450-jährigen Jubiläums der Berliner Staatskapelle. Wie schön, dachte ich, so lohnt es die Stimme einer Künstlerin, die sie umsichtig gepflegt hat und in ihren Ambitionen nie über die Stränge schlug. Im Alter von 65 Jahren singen schließlich nicht mehr allzu viele Kolleginnen.

Aber klar ist auch: Der endgültige Abschied vom Sängerleben steht irgendwann aus. „Ich habe die Vorstellung, mit Würde aufzuhören“, sagte Meier schon weiland 2012. Ich bin sicher, so wird es auch sein.

Kirsten Liese, 8. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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© Kirsten Liese

Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

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