Exklusiv-Interview mit dem Wagner-Stern aus Norwegen – Teil I
Lise Davidsen, * 8. Februar 1987 in Stokke, ist eine norwegische Opernsängerin (Sopran).
Sie ist mit Abstand der shooting star am Himmel der Wagner-Sängerinnen und bringt die Besucher der Bayreuther Festspiele derzeit mit ihren Darbietungen als Elisabeth („Tannhäuser“) und Sieglinde („Die Walküre“) aus dem Häuschen. Jetzt nimmt sich die große Sängerin auch andere Meilensteine wie Giuseppe Verdi und Richard Strauss vor. Klassik-begeistert.de-Herausgeber Andreas Schmidt traf die Norwegerin im Restaurant „Bürgerreuth“ in Bayreuth und sprach mit ihr zwei Stunden über Diesseitiges und Jenseitiges in der Klassikwelt. Das Interview erscheint in drei Teilen, heute, morgen und übermorgen.
Klassik begeistert: Hei Lise, Du bist in der 12.000-Einwohner-Kleinstadt Stokke in Südnorwegen großgeworden. Kannst Du mir bitte die Klänge, die Bilder, die Gerüche Deiner Heimat beschreiben?
Lise Davidsen (lacht): Mein Neffe Sebastian Gallis Davidsen war Nummer 10.000 in Stokke… Dort sieht es ungefähr so aus wie die Hügel hinter dem Restaurant „Bürgerreuth“. Wir haben ein kleines Zentrum, und der Zug hält auch bei uns, aber ohne Bahnhof. Wir müssen auch nicht lange zum Meer fahren. Ich bin auf dem Land großgeworden. Es ist ein Ort voller Grün, es ist nicht besonders stressig, und es gibt nicht allzu viele Menschen. Wir haben nicht so viele Wälder wie hier in Franken, und wir haben nicht die hohen Berge, die es anderswo in Norwegen gibt.
Und die Farben und Töne?
Lise Davidsen: Als ich gerade herging von meinem Bayreuther Appartement, dachte ich, das ist ja auch alles so grün wie bei uns in Stokke und ich fühlte mich wie zu Hause. Ich werde sehr ruhig, wenn ich an meine Heimat denke. Manchmal fährt natürlich ein Traktor vorbei (lacht)… Ab und zu mal ein paar Autos und Kinderstimmen.
Deine Familie lebt da noch?
Lise Davidsen: Mein Bruder Øystein Davidsen hat immer in der Gegend gelebt, meine Schwester Elin hat früher in Oslo gelebt, vor einem Jahr ist sie nach Tønsberg gezogen, eine Stadt in der Nähe von Stokke. Meine Eltern sind geschieden und sind aus unserem Haus ausgezogen – aber sie wohnen nicht weit voneinander entfernt in Stokke.
Du hast Deine Stimme in Norwegen und in Dänemark ausgebildet? Wer und was haben Dich am meisten geprägt?
Lise Davidsen: Da war zuerst eine Dirigentin, Runa Skramstad, sie leitete den Mädchen-Chor in Tønsberg – mein klassisches Singen ging 2 Jahre später auf der High School los. Runa Skramstad war mir meine große musikalische Inspiration, meine musikalische Mutter – sie nahm mich mit in ihre Familie auf und führte mich in die klassische Musik ein, besonders in die Barockmusik, die mir den Weg in die klassische Musik ebnete. Sie zeigte mir verschiedene Stimmen und Stücke, die ich singen konnte.
In Kopenhagen am Det Kongelige Danske Musikkonservatorium und an der Königlichen Opernakademie war es dann meine Lehrerin Susanna Eken, die mir alles beigebracht hat, was ich technisch weiß.
Worauf führst Du es zurück, dass Du schon in so jungen Jahren über eine so große Wagner-Stimme verfügst – Gesangstechnik, Training, Instinkt, Naturstimme?
Lise Davidsen: (lacht laut)… ja diese Naturstimme… Viele Leute sprechen auch über Talent. Ich habe ein Buch gelesen, da ging es um Talent für das Talent. So ist das auch mit der Naturstimme… Du kannst eine Naturstimme haben, aber Du musst trainieren und sie entwickeln. Und Du musst lernen, was es bedeutet, ein Opernsänger zu sein. Ich bin sehr dankbar für das, was mir in die Wiege gelegt und mitgegeben wurde. Es ist etwas, mit dem ich arbeiten kann. Aber glaub mir, ich habe viel Arbeit investiert, damit ich da bin, wo ich heute bin. Also das Verhältnis liegt bei 80 zu 20 – 80 Arbeit, 20 Talent.
Träumst Du in Musik oder in Bildern? Oder in Worten?
Lise Davidsen: Gute Frage. Wenn Du die Nachtträume meinst, an die kann ich mich kaum erinnern. Wenn überhaupt, dann Bilder, aber wirklich sehr selten.
Und bei den Tagträumen…
Lise Davidsen: Wirklich eine gute Frage… (lange Pause) ich denke, ich bin mehr und mehr textbezogen in den Tagträumen – wie man betont, zum Beispiel. Und in Melodien, da ist meine Intuition am größten. Wenn ich eine Phrase sehe oder sie bearbeite, kann ich Dir nicht sagen, warum ich tue, was ich tue. Manche Menschen fragen mich manchmal…Ich mache es einfach, wie ich es tun möchte. Ich habe nicht so eine große Phantasie, meine Kopfbilder sind nicht sehr ausgeprägt.
Hast Du ein Ritual vor jedem Auftritt?
Lise Davidsen: Ich versuche nicht zu viele Rituale zu haben, denn ich bin jemand, der ein Ritual für jede Stunde des Tages haben könnte, wenn ich mich nicht beherrschen könnte. Ich mag es, Dinge zu kontrollieren, aber jetzt versuche ich das immer mehr zu vermeiden – life ist life.
Du bist also einer kleiner Kontroll-Freak…
Lise Davidsen: (lacht) Absolut. Ja, es ist also besser für mich Rituale zu vermeiden, aber ich mache Yoga, bevor ich zum Opernhaus gehe, ich habe ein Mittagessen. Ich lese den Text und übe nach einem Warm-up, das fast immer dasselbe ist. Aber ich vermeide es, Dinge zu tun, die ich tun müsste. Früher ging ich zu jeder Aufführung denselben Weg zum Opernhaus, ich aß jeden Abend zuvor das gleiche Essen… das macht keinen Sinn, für uns Opernsänger bleibt ja so wenig freie Zeit übrig.
Apropos Rituale: Ich kann nicht kontrollieren, was auf der Bühne passiert, deshalb versuche ich die Dinge um mich herum zu kontrollieren. Ich versuche die Elemente zu kontrollieren, die man ja nicht kontrollieren kann… (lacht) aber ich werde besser, es ist nicht mehr so schlimm. 100 Prozent Kontrolle ist 100 Prozent Wahnsinn (Lise benutzt das deutsche Wort und lacht)… Sie macht keinen Sinn und hilft in keinster Weise.
Bei Wagner musst Du oft über vier Stunden kontrolliert sein und Du kannst nicht sagen, ich schalte mal kurz eine Minute ab und mein Einsatz kommt später…
Lise Davidsen: Exakt, Du musst Deinen ganzen Fokus auf das Geschehen auf der Bühne lenken. In der Oper gibt es so viele Dinge, die Du nicht kontrollieren kannst – sei es, dass es auf einmal ein anderes Tempo gibt, sei es, dass Dein Kollege was anderes macht… es kann so viel passieren, und Du musst immer offen und wach sein. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass ich in meinem Privatleben kontrollierter bin. Man versucht Dinge herbeizuführen, die eh nicht eintreten werden – also sollte man es lieber sein lassen (lacht)…
Du singst sehr anspruchsvolle Rollen, zumal wenn es um Wagner geht. Wie schonst Du Deine Stimme bzw. wie verschaffst Du Dir die nötigen Erholungs- und Regenerationspausen, zumal Du ja derzeit sehr viel singst?
Lise Davidsen: Ich glaube an die Kombination von Schlaf und körperlicher Aktivität – diese beiden Pole sind für mich sehr wichtig. Schlaf und Bewegung sind für mich nach dem Üben am wichtigsten. Wenn ich zwischen zwei Auftritten nur einen freien Tag habe, singe ich sehr wenig. Ich lese die Partitur. Ich bin aber auch kein Fan davon, drei Tage nicht zu singen, das ist nichts für mich. Auch im Urlaub singe ich jeden Tag.
Wie sieht Deine Bewegung aus?
Lise Davidsen: Ich liebe es zu laufen und zu Hause Übungen zu machen. Yoga mache ich vor allem vor meinen Auftritten.
Gibt es etwas was Du aus Sorge um Deine Stimme niemals tun würdest?
Lise Davidsen: Ich würde niemals etwas tun, was meiner Stimme schaden würde. Restaurants, Night Clubs und Parties besuche ich fast nie, wenn ich arbeite und eine Verpflichtung habe. Wenn meine Freunde in so einer Zeit zu einem Abendessen gehen, wo es sehr laut ist, gehe ich nicht mit. Je lauter die Umgebung, umso lauter wird gesprochen – das ist nicht gut für Stimme und das Immunsystem und ist auch mental gesehen nicht gerade förderlich.
Und wenn Du mal Urlaub hast?
Lise Davidsen: Ja, dann gehe ich auch mal mit aus, wo es etwas lauter ist, da ich meine Freunde so sehr liebe. Ich muss Zeit haben, wenn ich länger aufbleibe oder einen Drink nehme. Aber ich bin keine Partylöwin mehr.
Kjaere Lise, tusen takk for intervjuet!
Interview: Andreas Schmidt © für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Am Montag, 23.8. erscheint Teil II.
Am Dienstag, 24.8. erscheint Teil III.
„Ich kann Dir nicht sagen, warum ich tue, was ich tue.“
Das heißt, jeder gelungene Abend ist als Gnade zu empfinden.
Lothar Schweitzer