Beethoven gespielt von Tobias Moretti | Bild: ARD Degeto/WDR/ORF/EIKON Media
„Louis van Beethoven“, Film von Nikolaus Stein von Kamienski (Niki Stein)
Premiere: 27. Oktober 2020, 42. Biberacher Filmfestspiele
Erstausstrahlung TV: 25. Dezember 2020, ARD
von Dr. Holger Voigt
Noch ist das Jubiläumsjahr 2020 in Würdigung des 250. Geburtstages Ludwig van Beethovens noch nicht vorüber, da wartet die ARD mit einer aufwändigen Produktion eines Filmporträts auf, das am ersten Weihnachtstag, dem 25. Dezember 2020, erstausgestrahlt wurde. In der ARD-Mediathek konnte man diesen Porträtfilm bereits ab dem 17. Dezember 2020 ansehen.
Zu Ludwig van Beethovens Leben und Werk gibt es in den Mediatheken und auf Online-Portalen mittlerweile zahlreiche Produktionen, die in vielen Fällen sachkundig, wahrheitsgetreu und historisch wie künstlerisch stimmig sind (beispielsweise „Mythos Beethoven“ von Thomas von Steinaecker, Georg Wübbolt und Carl von Kartstedt, 2016/7). Bei Spielfilmen sieht das allerdings ganz anders aus: Ein Großteil von ihnen muss als misslungen abgeordnet werden. Leider gehört nun auch dieser von dem bekannten Tatort-Regisseur Niki Stein inszenierte Film dazu; er enttäuscht auf ganzer Linie.
Offenbar mit einem satten Budget ausgestattet, beginnt der Film mit Bildern, die das cineastische Herz höher schlagen lassen: Bildgewaltig und plastisch, verknüpft mit einer eindrucksvollen Bild- und Kameraführung (Arthur W. Ahrweiler). Das macht Appetit auf mehr! Wunderbare Kamerafahrten und Schwenks, perfekt ausgereizte Ballhaus-Effekte (kreisförmige Kamerafahrten mit übergangslosem Austausch von Fokusobjekten), geben zum Staunen Anlass. Schon bald aber wirken die Bilder, verstärkt durch eine opulente Kostümausstattung, überzeichnet, fast schon karikaturhaft oder gar grotesk: Zu viel des Guten also.
Der junge Louis wird sehr ansprechend durch Colin Pütz verkörpert, dem die Regie leider oft Worte in den Mund legt, die in ihrer Formulierung aus Kindermund eher nicht geäußert werden würden. Den Beethoven im Teenageralter (17 – 21) spielt Anselm Bresgott durchaus überzeugend. Er beherrscht zudem die rheinische Mundart sehr treffsicher.
Beethoven in seinen letzten Lebensjahren (etwa ab 1823) ist mit dem 61-jährigen österreichischen Burgschauspieler Tobias Moretti hochkarätig besetzt. Moretti, dessen faszinierender „Jedermann“ dieses Jahres noch vielen in Erinnerung ist und der 2021 mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnet werden wird, befindet sich fraglos auf dem Höhepunkt seines schauspielerischen Könnens. Die Rolle des alten Beethovens erschien deshalb auf den ersten Blick sehr reizvoll zu sein.
Nahezu perfekt ist die Maske: Pose und Blick gleichen dem Antlitz Beethovens zahlreicher Gemälde und Zeichnungen. Aber was auf den ersten Blick gelungen erscheinen mag, erweist sich alsbald als trügerisch: Tatsächlich war Beethoven früh ergraut. Seine Haare waren teilweise bereits schlohweiß. Auch hielt er in den letzten Jahren nicht viel auf sein Äußeres: Er trug eher abgewetzte Kleidungsstücke, auf denen sich oft zahlreiche Essensflecke befanden. Dieses ist gut in Berichten von Zeitzeugen und Besuchern dokumentiert. Zu Hause war er damals ein wahrer „Messie“. Oft war er unrasiert und wirkte ungepflegt, so dass es vorkam, dass die örtliche Gendarmerie ihn aufgriff und über Nacht wegschloss, bis er am kommenden Tag von Bruder oder Neffe ausgelöst werden konnte. Nichts davon findet sich in Niki Steins Film: Beethoven trägt (fleckenfreie) Weste und gute, saubere Kleidung.
Aber es kommt noch schlimmer: Wie es auf der eingangs gezeigten Kutschfahrt vom Neffen Karl den anderen Fahrgästen mitgeteilt wurde, war Beethoven zu dieser Zeit völlig taub. Ein Tauber oder Ertaubter hört aber auch seine eigene Stimme nicht, zumindest nicht so, dass er sie in ihrer Lautstärke modulieren könnte. Spricht Beethoven also selbst, so wird er nahezu unverständliche Worte regelrecht herausschreien. Er wird jedenfalls nicht, wie hier im Film dargestellt, leise oder in normaler Lautstärke lediglich „was?“ fragen. Damit verliert die Darstellung Morettis an Glaubwürdigleit. Auch ein Tobias Moretti kann also aus einer Rolle nicht mehr herausholen, als ihm die Personenregie zugedacht hat. Ist denn wirklich niemand auf die Idee gekommen, einen Spezialisten zu konsultieren?
Aber es gibt auch Positives zu vermelden: Ulrich Nöthen als väterlich fördernder Mentor Christian Gottlob Neefe ist ein Hochgenuss. Auch Sabin Tambrea als zur Untermiete in Haus Beethovens lebender Schauspieler Tobias Pfeiffer überzeugt, auch wenn die Gestaltung seiner Rolle etwas überzeichnet wirkt. Von ihm erwirbt der junge Louis das revolutionär-humanistische Feuer, wohingegen Neefe für die Welt etablierter Kleinbürger steht, die sich noch nicht in Opposition zur Elite aus Adel und Militär zu wehren traut.
Manuel Rubey spielt einen im Vergleich zu Louis zu alten Wolfgang Amadeus Mozart, der sich in seiner eigenen Wahrnehmungswelt selbstgefälligen Narzissmusses präsentiert, und das mit einer dick aufgetragenen Portion Wiener Schmähs, gegen den der Rheinländer Louis mit rheinischem Zungenschlag ankämpft. Doch das, was hier im Film gezeigt wird, ist größtenteils bloße Fiktion, bei der man sich fragt, warum sie so zeitaufwändig zur Darstellung gelangt.
In der Adelsfamilie von Breuning erlebte Beethoven eine Atmosphäre familiärer Geborgenheit. Er ging dort ein und aus, weil sie ihm wie eine Ersatzfamilie vorkam. Aus einer Teenager-Freundschaft zwischen Louis van Beethoven und Eleonore von Breuning, dargestellt von Caroline Hellwig, konstruiert Niki Stein eine lebenslange, unerfüllte Liebesbeziehung früher Tage, der Beethoven – Briefe lesend – hinterhertrauert. Eleonore war in Wirklichkeit eine gute kameradschaftliche Freundin für Beethoven, aber sicher nicht seine Geliebte. Wollte Niki Stein die Konflikte zwischen Adel und Bürgertum anhand der Familie von Breuning thematisieren, um zu untermauern, dass Standesunterschiede in der damaligen Zeit nicht auflösbar waren und eine eheliche Verbindung nur auf gleicher Standeshöhe zustande kommen konnte? Warum hat er dann diese Fiktion tiefschürfend ausgestaltet? Stattdessen hätte er doch die Beziehung Beethovens zur Adelsfamilie Brunswick darstellen können, für die doch Gleiches galt und Beethoven verwehrte, mit seiner „unsterblichen Geliebten“ Josephine von Brunswick in den Stand der Ehe zu treten. Der für Beethoven so wichtige Name „Brunswick“ taucht indes im ganzen Film von Niki Stein kein einziges Mal auf.
Der nicht mit Ludwig van Beethoven vertraute Betrachter dieses Films hat durch die extrem häufig aufeinanderfolgenden Orts- und Zeitsprünge Schwierigkeiten, die einzelnen Personen korrekt zuordnen zu können. Durch Fiktionen und Auslassungen wird für jemanden, der sein persönliches Beethoven-Bild erst noch erstellen möchte, nunmehr ein falsches begründet, das ihn davon abhalten könnte, tiefer in die Materie einzudringen.
Dieser Film ist ein biografischer Torso. Er bedient sich stereotyper Klischees (Freiheit, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Verbrüderung), zeichnet Beethoven als aufbrausend-jähzornigen Außenseiter und musikalisch Formen-sprengenden Erneuerer. Seine pianistische Virtuosität wird in epischer Breite dargestellt. Doch Beethoven war eben viel, viel mehr als das!
Der nicht verzeihliche Mangel dieses Films besteht darin, dass an keiner einzigen Stelle ausgeführt oder darauf verwiesen wird, dass Beethoven in der Lage war, mit einem einzigen Ton oder Akkord tiefste Gefühle anzusprechen und resonieren zu lassen. Das, was Millionen in aller Welt noch heute unmittelbar zu Tränen rührt, findet in diesem Film überhaupt nicht statt, so als wäre es gar nicht existent. Das kann es nun wirklich nicht sein!
Schade, schade – was hätte man mit diesem Budget erschaffen können!
Dr. Holger Voigt, 27. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Buchrezension: Christian Thielemann. Meine Reise zu Beethoven
Rollen und Darsteller:
Beethoven: Tobias Moretti
Christian Gottlob Neefe: Ulrich Noethen
Ludwig (17 – 21 Jahre): Anselm Bresgott
Louis (8 – 12 Jahre): Colin Pütz
Helen von Breuning: Silke Bodenbender
Eleonore von Breuning (17 – 21): Caroline Hellwig
Johann van Beethoven: Cornelius Obonya
Therese von Beethoven: Johanna Gastdorf
Jean van Beethoven: Ronald Kukulies
Karl: Peter Lewys Preston
Pfeiffer: Sabin Tambrea
Mozart: Manuel Rubey
Magdalena: Tatiana Nekrasov
Waldstein: Dominik Maringer
Susanne Neef: Gabriela Lindl
Holz: Sebastian Straub
Amalie: Noemi Krausz
Kanonikus: Hubertus Hartmann
Magdalena Wellmann: Angela Braun
Caspar Belderbusch: Jürgen Hartmann
Konstanze Mozart: Lisa Fertner
Madame Grossmann: Marie Schöneburg
Ignaz Schuppanzigh: C. C. Weinberger
Kamera: Arthur W. Ahrweiler
Buch und Regie: Niki Stein