Philippe Jordans Klangvorstellung

Philippe Jordans Klangvorstellung

Foto: Philippe Jordan im Orchestergraben der Wiener Staatsoper, wo er als Generalmusikdirektor seit dieser Saison tätig ist © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

von Jürgen Pathy

„Ja, meins ist des alles net!“, wie es bei uns in Wien so schön heißt. Was genau? Erstens: Das Kasperletheater rund um Jonas Kaufmann, das dieser Tage wieder herrscht, wie selten zuvor. Und zweitens, was mich als Wiener viel mehr tangiert und direkt betrifft: die Klang-Vorstellung Philippe Jordans, der seit Beginn der Saison als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper agiert.

Denn, den Kaufmann, den muss ich mir nicht geben, wenn ich nicht will. Egal, ob er neue CDs rausbringt, als Marionette im Puppentheater spukt oder was auch immer. Der singt einmal, wenn’s hochkommt vielleicht fünfmal pro Saison an der Wiener Staatsoper. Und das auch nicht jedes Jahr. Seit seinem Hausdebüt 2006 gab es Spielzeiten, da hatte der deutsche Startenor keinen einzigen Auftritt im „ersten Haus am Ring“.

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Philippe Jordan hingegen, um den gibt es erstmal kein vorbei. Den haben wir in Wien jetzt mal für längere Zeit gepachtet. Mindestens für fünf Jahre. Zumindest ist das die Dauer einer „Legislaturperiode“, die er unter Bogdan Roščić als Direktor des Hauses überstehen muss. Sollte es zu keinen Zerwürfnissen kommen, wie zwischen Alt-Direktor Dominique Meyer und Franz Welser-Möst. Der musste 2014 als GMD frühzeitig abdanken. Wegen „künstlerischer Differenzen“, wie es hieß.

Die Arbeit des Generalmusikdirektors

Weshalb wurde Jordan als Musikdirektor an die Wiener Staatsoper geholt? Um das zu verstehen, benötigt es erstmal ein paar Eckdaten. Was ist überhaupt die Aufgabe eines Generalmusikdirektors? Er soll erstens: die Geschicke eines Orchesters leiten. Soll eine Richtung vorgeben, in die es das Orchester zieht. Eine sogenannte „musikalische Heimat“ bilden. Er ist der ranghöchste Dirigent. Er dirigiert in der Regel die Hauptwerke, die die sogenannte „DNA eines Hauses“ bilden, wie Jordan es selbst formuliert. In Wien sind das Mozart, Wagner und Richard Strauss.

Mit einer festen Anstellung hat der GMD außerdem die Pflicht, das musikalische Programm langfristig zu gestalten und zu planen. Darüber hinaus kann er Personalvorschläge einbringen – für Solisten und Gastdirigenten. Aber auch bei Vertragsverlängerungen von Musikern kann er mitentscheiden. Theoretisch zumindest. So steht es in der Berufsbeschreibung des GMD geschrieben.

Vieles davon mag der gebürtige Schweizer vielleicht umsetzen. Als Dirigent konnte Philippe Jordan, Spross des berühmten Dirigenten Armin Jordan, bislang jedoch kaum überzeugen. Da nutzt es auch nichts, wenn man seine Lesart mit „Transparenz und wahrhaft stürmischem Zug“ relativiert, nachdem man zuvor treffend analysiert hat: „Da war wenig Platz für sentimentale Schwelgereien.“ So erst kürzlich in einer Kritik gelesen. Auf den Punkt gebracht, heißt das so viel wie: „Mein lieber Freund – das war jetzt nicht so berauschend!“ Das weiß jeder, dem klar ist, wie Kritikerdeutsch funktioniert. Tacheles wird da viel zu selten geredet. Als Kritiker heißt es nämlich, ehrlich sein und sich keinen Gefälligkeiten unterwerfen, nur um gern gesehener Gast zu sein. Da gehört Mut dazu. Wer keinen Mut hat, der sollte lieber Buchhalter oder Steuerberater werden, formulierte es einst Marcel Reich-Ranicki.

Jordans Klang: Transparent, flüssige Tempi, aber ohne Tiefgang

Um es sachlich und reflektiert zu umschreiben: Jordan hat eine eigene Klangvorstellung. Die kann man, muss man jedoch nicht mögen. Obwohl es ihm einige Größen seiner Zunft gleichtun, ist die nämlich nicht Jedermanns Sache. Denn: Nur, weil die Musik transparent, glatt-gebügelt und ohne Ecken und Kanten fließt, heißt das noch lange nicht, dass sie schön ist. Ganz im Gegenteil! Wer die Musik ihrer Natur beraubt, ihrer Höhen und Tiefen, ihrer Geheimnisse, der poliert sie zwar auf Hochglanz, läuft jedoch Gefahr, sie stark zu beschneiden. Jordans Dilemma. Der verspricht zwar Sauberkeit, lässt im Umkehrschluss jedoch Tiefgang und Emotionen schwinden. Großes Kino und Magie, die klingen anders.

Philippe Jordan, der seit 2014 in Wien vermehrt aktiv ist, unter einer Brücke des Wienfluss © Johannes Ifkovits

Das hat Jordan bereits bei den Wiener Symphonikern gezeigt, bei denen er von 2014 bis 2020 als Chefdirigent aktiv war. Dasselbe verfolgt er nun an der Wiener Staatsoper, wo ihm mit dem Staatsopernorchester große Teile der Wiener Philharmoniker zu Füßen sitzen. Wer das mag, na bitte schön! Immerhin hat Jordan mit seiner Art und Weise Musiktheater zu machen, der Pariser Oper zu ungeahnten Höhenflügen verholfen. Seit 2009 hatte er dort dieselbe Position als GMD inne. In Bayreuth hat er ebenfalls schon dirigiert. Die „Meistersinger“ und den „Parsifal“, Wagners einzige Oper, die wirklich fürs Bayreuther Festspielhaus komponiert wurde. Mit durchwachsenen Kritiken. Bemängelt werden sein fehlender Hang zum Pompösen, zum Fetten. Für viele ist das vielleicht der Weisheit letzter Schluss. Für andere eher unbefriedigend.

Wer also Wert darauf legt, dass „Fleisch mit ordentlich Soße“ serviert wird, wie Christian Thielemann es formuliert, der wird mit Jordan nur schwer seinen Frieden schließen.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 27. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Don Carlos Wiener Staatsoper, 27. September 2020

2 Gedanken zu „Philippe Jordans Klangvorstellung“

  1. Wenn man einen Tenor nicht mag (ich kenne auch solche, die ich mir nicht einmal anhören würde, wenn man mich dafür bezahlt), soll man einfach den Mund halten.
    Es wird für den Schreiberling ganz schlimm werden in den nächsten 5 Jahren: nicht nur dass es keinen GMD gibt, der Musikdirektor aber Herr Jordan ist, sondern der Direktor hat schon in der ersten Saison den verabscheuten Tenor mit zwei Produktionan am Haus und das wird sich so fortsetzen!!!

    Waltraud Riegler

  2. „Sentimentalität ist ja immer der Tod echter Emotion“.
    (Philippe Jordan in seinem Buch „Der Klang der Stille“, Seite 82)

    Was immer das auch genau heißen soll, es untermauert doch ein wenig meine These. Zwar beruft er sich mit dieser Aussage explizit auf die Oper „Suor Angelica“, ein Einakter Puccinis, dennoch sagt es viel aus. Vor allem da er im Satz zuvor schreibt: Der Schluss, der Tod von Angelica, kann sehr schnell verkitscht werden und muss daher schlicht musiziert und mit fein dosierter Dramatik gestaltet werden.

    Auf so ähnliche Aussagen trifft man auch zuvor im Buch. Wie erwähnt, verstehe ich den Sinn der Aussage zwar nicht wirklich. Ein Freund meint jedoch, das sei eine Kritikerfloskel. Sie ziele daraufhin, dass die Schönheit der Musik auch im Intellekt erfahrbar sei. Nicht nur auf der Gefühlsebene.

    Wenn das wirklich Jordans Quintessenz ist, dann hoffe ich, er übertreibt es damit nicht. Die Musik primär auf der intellektuellen Ebene wahrzunehmen, ist für mich eine Horror-Vorstellung.

    Jürgen Pathy

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