Photo: Jean-Nico Schambourg, vlnr: Karina Gauvin, Karine Deshayes, Christophe Rousset, Ante Jerkunica
Die Oper “Fausto” der französischen Komponistin und Poetin Louise Bertin wurde 1831 am Théâtre-Italien in Paris uraufgeführt. Einen ersten Entwurf hatte Bertin schon 1826 fertiggestellt. Es handelt sich somit um die erste lyrische Vertonung von Goethes Faust, da die Werke von Berlioz, Gounod, Schumann und Boito alle erst später zur Aufführung kamen. Nach nur drei Aufführungen verschwand das Werk allerdings aus dem Programm. Das Théâtre des Champs-Elysées in Paris hat, in Zusammenarbeit mit dem Palazzetto Bru Zane Paris, die Oper jetzt wieder zu neuem Leben erweckt. Ein überragendes Gesangensemble, angeführt von Karine Deshayes in der Titelrolle, brilliert unter der musikalischen Leitung von Christophe Rousset.
Konzertante Aufführung
Paris, Théâtre des Champs-Elysées, 20. Juni 2023
Louise-Angélique Bertin (1805-1877)
FAUSTO
Opera semi-seria in vier Akten
(Libretto von der Komponistin selbst verfasst, ins Italienische übersetzt von Luigi Balocchi)
Musikalische Leitung Christophe Rousset
Fausto Karine Deshayes
Margherita Karina Gauvin
Mefisto Ante Jerkunica
Valentino Nico Darmanin
Catarina Marie Gautrot
Les Talens Lyriques
Vlaams Radiokoor
von Jean-Nico Schambourg
Louise Bertin stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Ihr Vater, ein einflussreicher Zeitungsdirektor, unterstützte ihre musikalische Karriere vollends, genauso wie ihre Mutter, die selbst Pianistin war. Sie erhielt ihre musikalische Ausbildung bei François-Joseph Fétis, einem belgischen Komponisten, Kritiker und Musikologen, sowie bei dem bekannten französischen Komponisten und Musiklehrer Antoine Reicha.
Sie komponierte insgesamt vier Opern: “Guy Mannering” (1825), “Le Loup-Garou” (1827), “Fausto” (1831), sowie “Esmeralda” (1836), ihre bekannteste Oper.
Als Komponistin bekam Louise Bertin nie die Anerkennung, die die Qualität ihrer Werke verdiente, da sie eine Frau und zudem behindert war: wegen einer Kinderlähmung ging sie mit Krücken. Taktlose Kritiker bezeichneten ihre Kompositionen als “Trost für ihre körperlichen Gebrechen”! Berlioz hingegen bezeugte in seiner Korrespondenz ihren Werken musikalischen Reichtum und harmonische Neuheiten. Ihre Werke beschrieb er als “männlich, stark und neu”. Seine Wertschätzung kann man daran erkennen, dass er ihr seine erste Fassung für Gesang und Klavier seines Liederzyklus “Les Nuits d’été op. 7”, im Jahr 1841, widmete.
Die Uraufführung der Oper “Fausto” von Louise Bertin fand statt am 7. März 1831 am “Théâtre-Italien” in Paris. Dies erklärt, weshalb es sich um eine italienische Oper handelt. Die Komponistin hatte das Libretto selbst erstellt. Es wurde dann vom “Hauslibrettisten” des Opernhauses ins Italienische übersetzt. Hier sah sich ihre Oper der Konkurrenz der Werke großer und berühmter italienischer Meister wie Rossini, Mayr und Pacini ausgesetzt.
Einen ersten Entwurf hatte Louise Bertin schon 1826 fertig gestellt. Es handelt sich somit um die erste lyrische Vertonung von Goethes Faust, da die Werke von Berlioz, Gounod, Schumann und Boito alle erst später zur Aufführung kamen.
Eigentlich sollte die Oper schon 1830 zur Aufführung kommen mit Rosmunda Pisaroni, dem führenden Contralto jener Zeit, in der Rolle des Fausto und mit der großen Maria Malibran in derjenigen der Margherita. Die Aufführung wurde allerdings verschoben, wahrscheinlich weil die Malibran sich weigerte, dieses Werk aufzuführen.
Ein Jahr später kam es dann zur Uraufführung von Fausto am Théâtre-Italien, aber mit veränderter Stimmbesetzung: die Titelrolle war jetzt einem Tenor zugedacht: Domenico Donzelli. Obschon die Aufführung von einem Teil der Kritik gut aufgenommen wurde, verschwand sie nach nur drei Aufführungen vom Programm und fiel dann definitiv in Vergessenheit. Außer der Kritik an der Partitur, war es auch der Zeitpunkt der Programmierung der ein Überleben der Oper zunichte machte: am Ende der Opernsaison hatten die Sänger, wie die Sopranistin Henriette Méric-Lalande, teilweise schon andere Verpflichtungen angenommen, so dass sie nicht für weitere Abende zur Verfügung standen.
Allerdings schaffte Bertin sich mit dieser Oper ein gutes Renommee, die ihr die Gunst von Victor Hugo einbrachte, der ihr das Tor zur Opéra de Paris öffnete, wo 1836 ihre letzte Oper “Esmeralda” (nach Victor Hugos Roman “Notre-Dame de Paris”) zur Aufführung kam. Da diese aber bei der Kritik durchfiel, gab Bertin das Komponieren von Opern auf. Sie widmete sich daraufhin der Poesie und veröffentlichte zwei Sammlungen, die von der “Académie Française” ausgezeichnet wurden. Ihr Gedicht “Si la mort est le but” (Wenn der Tod das Ziel ist) wurde von Gounod vertont.
Das Libretto von “Fausto” ist geschrieben im Genre semi-seria. Wie später bei Gounod konzentriert die Handlung sich dabei hauptsächlich auf die Geschichte der Margherita.
Der alte Doktor Fausto will mittels Gifttrank aus dem Leben scheiden, wird davon aber von einem religiösen Chorgesang abgehalten. Die junge Margherita kommt zu ihm und bittet ihn um eine Medizin für ihre kranke Tante Catarina. Fausto verliebt sich sofort in das junge Mädchen und ruft den Teufel an, ihm die Jugend wiederzuschenken. Mefisto erscheint und bietet ihm seine Hilfe an, wenn er sich ihm im Gegenzug verschreibt. Fausto nimmt den Pakt an.
Die nächste Szene spielt im Garten von Margherita, wo diese sich in den jungen Fausto verliebt, ihre Tante Catarina in dessen Begleiter, Mefisto.
Margherita hat Gewissensbisse und geht in die Kirche um zu beten. Ihre Nachbarinnen verhöhnen sie. Da kommt Valentino, ihr Bruder, von der Armee zurück. Er erfährt von der unseligen Verbindung seiner Schwester zu Fausto und fordert diesen zum Duell heraus, in dessen Verlauf er von Fausto, mit Hilfe von Mefisto, niedergestochen wird.
Margherita wurde wegen des Todes ihres Kindes ins Gefängnis gesperrt und erwartet, in geistiger Beneblung, ihr Urteil. Fausto verflucht Mefisto für seine Intrigen und will den Vertrag zerreissen. Da erfährt er, dass Margherita zum Tode verurteilt wurde. Verzweifelt bittet er Mefisto noch einmal um Hilfe, auch wenn dies seinen eigenen Untergang bedeutet. Beide dringen ins Gefängnis ein. Margherita lehnt es jedoch ab mit Fausto zu flüchten. Dieser ist endgültig den Qualen der Hölle ausgeliefert, während ein Engelchor die Erlösung von Margherita verkündet.
Die Partitur von “Fausto” ist heute dahingehend adaptiert, dass sie sowohl von einem Tenor gesungen werden kann als auch von einem Sopran (mittels Transposition um eine Oktave nach oben) als auch von einer tiefen Frauenstimme, die die Partitur der Ur-Version für die Pisaroni singt. In Paris wird die Ur-Version der Oper aufgeführt, also mit einem Mezzosopran in der Rolle des Fausto.
Dieser Mezzosopran heißt in Paris Karine Deshayes. Als große Spezialistin der Opern des Bel Canto vereint sie die idealen Vorgaben für diese Rolle: Stimmfarbe, Ausdruck und Koloraturagilität passen perfekt zu ihrem Fausto. Auch Katarina Gauvin schließt mit ihrem Portrait der Margherita lückenlos an die stimmliche Leistung von Karine Deshayes an. Ante Jerkunica verleiht dem Mefisto seine tiefe, runde Bassstimme. Er weiß aber ebenso die sarkastische und ironische Seite seiner Rolle stimmlich überzeugend über die Rampe zu bringen. Der Bruder von Margherita, Valentino, ist in dieser Oper ein Tenor. Die Rolle ist zwar sehr kurz, beinhaltet aber eine der wenigen spektakulären, virtuosen Arien (im Stile von Rossini) dieser Oper. Diese wird von Nico Darmanin großartig gemeistert. Maria Gautrot vervollständigt mit prägnantem Mezzosopran das Quartett der Gartenszene. Auch die Rollen des Wagners (Thibault de Damas) und der Marta / Hexe (Diane Axentii) werden kompetent vorgetragen.
Der Chor des Flämischen Rundfunks besticht durch seinen ausgeglichenen Chorklang. Sowohl die Frauenstimmen als Engelschor oder Chor der Nachbarinnen, als auch die Männerstimmen als Vertreter der Hölle bestechen durch präzisen Chorgesang.
Die ersten Akkorde der Ouverture erinnern an die Dramatik von Mozarts ersten Klängen zu seinem Don Giovanni. Auch Rossini und andere großen Meister dieser Zeit hört man gelegentlich in der Partitur wieder. Aber wie schon Hector Berlioz erwähnte, beinhaltet die Partitur manche erwähnenswerte Eigenart des Kompositionsstils von Louise Bertin.
Christophe Rousset führt das Orchester “Les Talens Lyriques” auf seinen historischen Instrumenten mit strammer Hand durch die Aufführung. Das Orchester überdeckt dabei manchmal leider ein wenig die Sänger. Die Rezitative begleitet er selbst am Hammerklavier.
Ob die Oper sich wirklich im Repertoire etablieren wird, bezweifle ich: zu sehr hat unser Musikverständnis sich an die späteren Kompositionen von Berlioz, Gounod, Boito und Schumann gewöhnt. Aber eine interessante Wiederentdeckung ist diese Werk alle Mal. Man darf gespannt sein auf die szenische Aufführung mit Tenorbesetzung, die das Aalto-Musiktheater Essen für die nächste Saison plant!
Jean-Nico Schambourg, 21. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schammis Klassikwelt 13: Der Bösewicht regiert die Opernwelt! klassik-begeistert.de, 9. April 2023
Charles Gounod, FAUST Oper Halle, 17. September 2022 (Premiere)