Foto: Arno Declair (c)
Ludwig van Beethoven, Fidelio
Staatsoper Hamburg, 4. Februar 2018
Inszenierung, Georges Delnon
Musikalische Leitung, Kent Nagano
von Sebastian Koik
Sängerisch ist dieser Fidelio ein Vergnügen! Christopher Ventris und Mélissa Petit überzeugten noch am 1. Februar als Florestan und Marzeline und waren auch für diese Vorstellung vorgesehen, mussten jedoch krankheitsbedingt kurzfristig von Eric Cutler und Narea Son ersetzt werden. Beide Einspringer machten ihren Job großartig, so wie praktisch alle Sänger auf der Bühne.
Narea Sons Höhen funkeln in Momenten wie schönste Diamanten. Auch sonst macht sie ihre Sache sehr, sehr gut. Der einzige kleine Makel ist, dass ihre Stimme manchmal ein wenig zu klein wirkt. Gelegentlich wird sie vom Orchester übertönt, und man merkt, dass sie sich ihre Kräfte etwas einteilen muss. In ihren besten Passagen singt sie wunderbar und makellos, doch es gibt auch Phasen, in denen sie etwas schwächelt.
Simone Schneider gibt eine sehr starke Powerfrau Leonore! Ihre Stimme ist dicht und sehr groß und überzeugt in allen Lagen. In ihrer großen Rolle beweist sie exzellente Kondition und lässt keinen Moment nach. Man könnte sich kaum eine bessere Leonore wünschen. Wenn sie nicht eine Winzigkeit gedrückt und komprimiert, sondern eine Spur offener und natürlicher klänge, wäre das absolute Weltklasse.
Werner Van Mechelen als Don Pizarro und Falk Struckmann als Rocco sind innerhalb der sehr guten Besetzung die Highlights. Bei den beiden gibt es überhaupt nichts Negatives zu bemerken. Von schönsten Tiefen bis in die Höhen singen die beiden alles jederzeit perfekt, mit großer Stimme, langem Atem und besonders bei Rocco mit virtuoser Nuancierung verschiedenster Stimmungen. Herrlich, wie Werner Van Mechelen sich mit größter Leidenschaft in die Rolle und den Gesang wirft. Es ist eine große Freude den beiden bei der Arbeit zuzusehen.
Der amerikanische Tenor Eric Cutler gibt einen starken Florestan und der türkische Bariton Kartal Karagedik einen sehr guten Don Pizarro.
Der einzige Künstler auf der Bühne, der sängerisch nicht überzeugt, ist der Tenor Thomas Ebenstein. Oft erinnert sein Gesang an unschönes Quaken. Darstellerisch war er allerdings einer der besten und engagiertesten innerhalb eines Ensembles, das durchweg darstellerisch stark agierte. Jeder Einzelne war stark in der Verkörperung seiner Rolle.
Der Chor unter der Leitung von Eberhard Friedrich wusste einmal mehr zu begeistern. Besonders der reine Herren-Gefangenenchor überwältigte mit einer exzellenten Leistung, die zu den Highlights der Vorstellung gehört. Die Herren singen mit kraftvoller Inbrunst, beglücken in zarten Passagen mit schönster Feinheit und machen alles mit größter Präzision und Klangschönheit.
Wenn das Orchester unter Kent Nagano doch auch ein wenig von dieser schönen Leidenschaft hätte! Denn leider vermag dieses nicht zu überzeugen, klingt zu eng und zu blass. Bei Herrn Nagano ist kein Mut zu größeren Gesten da, das Dirigat zu verzagt, mit zu wenig Schwung, Dramatik und Spritzigkeit. Es fehlt Leichtigkeit, Esprit, Witz und es fehlt Leidenschaft. Oft wünschte man sich, dass die Musiker sich ein klein wenig in die Musik reinwürfen. Die Orchesterleistung könnte man als solide bezeichnen, doch leider ist das zu wenig. Das ist zu wenig für Große Oper und das ist zu wenig für die Ansprüche, die man an das Opernhaus der zweitgrößten Stadt Deutschlands stellen darf.
Starke Sänger auf der Bühne, schwaches Orchester unter Kent Nagano, und dann ist da noch die Inszenierung: Wenn man in den Blätterwald schaut, dann wird diese Inszenierung des Intendanten Georges Delnon überall zerrissen und als Totalversagen dargestellt.
Sicher ist dieser „Fidelio“ kein Geniestreich, viele Ideen werden nur zitiert, ohne dass sie konsequent zu einer nachhaltigeren Aussage ausformuliert werden. Doch man kann sich das Ganze durchaus sehr gut ansehen!
Der stärkste Teil der Inszenierung ist der Verweis auf ein Nachkriegsdeutschland, das „funktioniert“, in dem alles in Ordnung zu sein scheint, wo die Leichen sich allerdings im Keller befinden. Ein Nachkriegsdeutschland, das in den Wohnzimmern brav und sauber aussieht, während es im Keller, im Unterbewussten und in der nahen Vergangenheit blutiger und schmutziger zugeht.
Sebastian Koik, 5. Februar 2018, für
klassik-begeistert.de
Bühnenbild, Kaspar Zwimpfer
Kostüme, Lydia Kirchleitner
Licht, Michael Bauer
Video, fettFilm
Dramaturgie, Johannes Blum, Klaus-Peter Kehr
Chorleitung, Eberhard Friedrich
Don Fernando, Kartal Karagedik
Don Pizarro, Werner Van Mechelen
Florestan, Eric Cutler
Leonore, Simone Schneider
Rocco, Falk Struckmann
Marzelline, Narea Son
Jaquino, Thomas Ebenstein
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper