Foto: © Daniel Dittus
Elbphilharmonie Hamburg, 14. Oktober 2020
Ludwig van Beethoven: „Leonore“ oder „Der Triumph der ehelichen Liebe“
Oper in drei Aufzügen op. 72 (1. Fassung)
Konzertante Aufführung in deutscher Sprache (gekürzt)
von Dr. Holger Voigt
Der 1946 im belgischen Gent geborene Dirigent, Countertenor und musikologische Quellenforscher René Jacobs stieß bei seinen Studien auf die fast vergessene Erstfassung des späteren „Fidelio“ Ludwig van Beethovens und war von dieser originären Fassung wegen ihrer musikalischen Leuchtkraft fasziniert. Er entschloss sich deshalb, diese Fassung eingehend zu überarbeiten (inklusive Libretto) und konzertant auf die Bühne zu bringen. Deren Erstaufführung in Paris im letzten Jahr war ein riesiger Erfolg, ebenso deren CD-Einspielung.
Nun kam diese Aufführung in die Hamburger Elbphilharmonie und das leider zu denkbar schlechter Zeit. Um sie überhaupt stattfinden lassen zu können, musste René Jacobs sie entsprechend dem aktuellen Pandemie-Konzept überarbeiten und das hinterließ merkliche Spuren. Der nun auf 1 ½ Stunden „eingedampften“ Version waren beispielsweise Roccos „Gold-Arie“, der Gefangenenchor und das gesamte berauschende Finale zum Opfer gefallen. Einen Hauptmann und einen Don Fernando gibt es gar nicht mehr! Als Abschluss blieb allein die Leonoren-Overtüre, die bereits am Anfang der Aufführung gespielt worden war. Vermutlich hatte sich René Jacobs gesagt, jeder Ton Beethovens in 2020 ist besser als kein Ton Beethovens, womit er zweifellos Recht hätte. Dennoch blieb der Eindruck, dass einfach zu viel fehlte.
Dabei war die Aufführung ganz exquisit und glänzte mit orchestralem Schönklang und hervorragenden Leistungen der Gesangssolisten, die mit aufgeklebten Mikrofonen sangen, um in der Elbphilharmonie mit ihrer kapriziösen Akustik eine korrekte akustische Rückkoppelung sicherzustellen.
Sie standen am Hinterrand des Podiums in Reihe platziert, jeweils mit einer auf dem Boden angebrachten kreisförmigen Markierung, die ihre Bewegungsräume wie in einem Laufgitter festlegten. Davor befanden sich in jeweiligen Sicherheitabständen die OrchestermusikerInnen raumfüllend bis zum Vorderrand des Podiums. Für ein Orchester, das die Akustik der Elbphilharmonie nicht von Grund auf kennen konnte und ihre Tücken ebensowenig, erhob sich dessen ungeachtet ein fabelhafter Klang eines Orchesters, das voll zu überzeugen wusste. Bereits in der Overtüre kam begeisterndes Beethoven-Feeling auf.
Es war allerdings mitunter schwierig zu erkennen, welche Anteile der konzertanten Aufführung dem Kürzungsstrich zum Opfer gefallen waren und welche Anteile überhaupt gar nicht in dieser Erstfassung des Werkes vorkamen. Um dieses besser einschätzen und nachvollziehen zu können, sollte der Interessierte den auf CD festgehaltenen Mitschnitt heranziehen.
Die Gesangssolisten waren durch die Bank hervorragend. Einzig Birgitte Christensen als Leonore fiel im Vergleich zur Originalbesetzung in Paris (Marlis Petersen) deutlich ab. Dieses war besonders auffallend im Duett mit Robin Johannsen (Marzelline). Dieses Duett ist besonders eindrucksvoll, da es in der endgültigen Fassung der Oper als „Fidelio“ gar nicht vorkommt! Hier singen nun zwei Sopranstimmen dialogisch miteinander, wobei Marzelline in etwas schnippischer Weise die Vorzüge der Ehe anpreist, was man natürlich Leonore nicht mehr hätte erklären müssen. Aber Marzelline hat ja keine blasse Vorstellung davon, dass der von ihr so schwärmerisch geliebte Fidelio in Wirklichkeit Leonore ist.
Deren große Arie am Schluss des Duetts schien mir allerdings etwas angestrengt zu klingen, wohingegen Marzellines Erläuterungen sehr leicht, locker und keck daherkamen. Sehr interessant und ein Hochgenuss anzuhören, dass das Duett der beiden Protagonistinnen von einer (ironisch) höher gestimmten Solovioline begleitet wird. Da hat offenkundig Beethovens Sarkasmus einmal wieder zugeschlagen! Leonore, Marzelline und die Solovioline waren im übrigen auf dem Podium in Form eines gleichseitigen Dreiecks platziert, was bedeutet, dass alle drei zusammengehören und eigentlich ein Trio darstellen.
Der lyrische Tenor Joshua Ellicott als Florestan hatte in dieser Oper nicht viel zu singen, doch das, was er vortrug, hatte es in sich. Er überzeugte mit einer wunderschön warm timbrierten, lyischen Tenorstimme mit heldentenoralem Einschlag, was Lust darauf macht, ihn in anderen Partien zu hören.
Christian Immler, Bass, als Rocco und der Tenor Nikolaus Pfannkuch als Jaquino sangen tadellos, wobei Christian Immler leider keine Gelegenheit hatte, seine „Gold-Arie“ erklingen zu lassen.
Den stärksten Eindruck hinterließ für mich Johannes Weisser als Don Pizarro, der die Akustik der Elbphilharmonie fast wie eine Droge zu nutzen schien, um mit durchdringender Maliziosität den Bösewicht zur Geltung zu bringen.
Am Schluss gab es großen Beifall für alle Mitwirkenden, die aus der nahezu amputiert erscheinenden Pandemiefassung das Beste herausholten. Möge baldestmöglich eine Rettungsfanfare erklingen, so schön und ermutigend wie sie heute Abend vom Rang der Elphilharmonie ertönten!
Dr. Holger Voigt, 26. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Rudolf Buchbinder: Ludwig van Beethoven – Klaviersonaten, Elbphilharmonie Hamburg, 13. Oktober 2020
Besetzung:
Freiburger Barockorchester, Leitung: René Jacobs
Johannes Weisser, Bariton (Don Pizarro)
Joshua Ellicott, Tenor (Florestan)
Birgitte Christensen, Sopran (Leonore)
Christian Immler, Bass (Rocco)
Robin Johannsen, Sopran (Marzelline)
Nikolaus Pfannkuch, Tenor (Jaquino)