Besonders bitter – der Videomitschnitt des Konzertes steht in einem krassen Gegensatz zu dem hier geschilderten Konzerterlebnis und unterstreicht noch einmal die gute musikalische Leistung aller Beteiligten, die dem Rezensenten aber größtenteils vorenthalten wurde.
Concerto Köln, Kölner Dom, 29. Oktober 2021
Foto: https://www.harrisonparrott.com/artists/kent-nagano ©
Kent Nagano, Dirigent
Valentina Farcas, Sopran
Rachel Frenkel, Mezzosopran
Werner Güra, Tenor
Andreas Wolf, Bassbariton
Vokalensemble Kölner Dom, Eberhard Metternich, Einstudierung
Concerto Köln
Karlheinz Stockhausen – “Gesang der Jünglinge im Feuerofen”, Elektronische Musik 1955/56
Ludwig van Beethoven– Messe für vier Solostimmen, Chor, Orchester und Orgel D-Dur op. 123 “Missa solemnis” (1819 – 23)
von Daniel Janz
Das Beethoven-Fest Bonn ist als nationale Institution eine der wichtigsten Einrichtungen zur kulturellen Pflege. Jedes Jahr findet die Musik des rheinischen Komponisten-Genies zu diesem Anlass erneut zahlreiche Aufführungen und Zuhörer. Zum Anlass von Beethovens 250. Geburtstag sollte eigentlich schon für das Jahr 2020 seine „Missa solemnis“ im Kölner Dom den strahlenden Höhepunkt bilden. Corona ist es zu verschulden, dass diese Aufführung damals nicht stattfinden konnte. Jedoch wurde mit dem 29. Oktober 2021 ein Ersatztermin gefunden, an dem nun mit viel Medienrummel, strengen Platzanweisungen, Verhaltensmaßnahmen und Live-Aufzeichnung im Fernsehen dieses Ereignis nachgeholt werden konnte.
Beethovens Messe für Orchester und Gesang, ein Spätwerk des rheinischen Meisters, gilt gemeinhin als eine seiner Schlüsselkompositionen. Er selber – zur Komposition dieses Werks bereits vollständig ertaubt – soll es als sein bestes Werk bezeichnet haben. Was könnte also angemessener sein, als dieses Werk im Kölner Dom – selbst ein Bauwerk architektonischer Meisterkunst – aufzuführen? Dazu auch noch zum Anlass von Beethovens 250. Geburtstag. Das ist eine Mischung, die kaum schief gehen kann, die kaum schief gehen darf. Ein besonderes Privileg auch, das sich hier allen Beteiligten bietet und die Kathedrale an diesem Abend auch komplett füllt.
Dieser herausragenden Stellung ist man sich wohl auch mehr als bewusst. Denn an positiver Presse scheint das Management entweder kein Interesse oder keine Notwendigkeit zu haben – anders lässt sich die Entscheidung, einen Rezensenten in der hintersten Ecke des rechten Querhauses direkt hinter einer Säule zu platzieren nicht einordnen. Das Konzerterlebnis hier fasst sich etwa wie folgt zusammen: Klanglich verwaschen und gesanglich durch den natürlichen Nachhall des Kölner Doms gänzlich unverständlich, von optischer Partizipation kann erst gar keine Rede sein. Dass unter solchen Bedingungen eine Rezension überhaupt angefertigt werden kann, ist nur der produktiven Zusammenarbeit mit den Technikern vom Kamerateam zu verdanken, die dem Rezensenten während der Aufführung ausnahmsweise erlaubten, aufzustehen und im Seitenschiff umherzugehen, um wenigstens zeitweise andere Eindrücke zu sammeln. Dennoch ein ernüchterndes Erlebnis, oder um es mit den Worten eines Kameramanns auszudrücken: „Das ist doch Scheibenkleister !“
Runtergebrochen ließe sich die Rezension hier nun beenden. Glücklicherweise aber ist dieses Fazit im Bezug zur Aufführung selbst doch zu relativieren. Denn ein solcher Verriss wäre den Musikern gegenüber unangemessen. Beginnen wir also bei ein paar positiven Dingen: Das Concerto Köln beweist sich durchweg als fähiges Orchester unter der Führung von Kent Nagano (69). Dem US-amerikanischen Dirigenten mit japanischen Wurzeln lässt sich an diesem Abend vor allem ein sensibler Zugang zu Beethovens größter Sakralkomposition attestieren. Denn die besondere Kulisse des Kölner Doms verlangt auch einen sensiblen Orchestereinsatz, damit die einzelnen Stimmen nicht gänzlich im Hall untergehen. Die Mischung der Stimmen gelingt.
Bedauerlich ist zwar, dass viele Stellen der Messe und auch der Einsatz der Orgel leiser erscheinen, als sie vermutlich an anderen Aufführungsorten geklungen hätten. Doch transportiert sich immerhin eine einfühlsam sakrale Atmosphäre, die ergreifen kann. Und das sogar, obwohl bei dem ausschließlich aus historischen Instrumenten zusammengesetzten Ensemble ein schwieriger, unscharfer Ansatz zu erwarten ist. Ab und an brechen hier auch unsaubere Klänge durch, doch solche Einschnitte halten sich in Grenzen, sodass die eigentliche sakrale Wirkung bestehen bleibt.
Unverständlich erscheint die Entscheidung, diesen Genuss nach dem Gloria abrupt durch den „Gesang der Jünglinge“ von Karlheinz Stockhausen zu unterbrechen. Das Einsetzen der Live-Elektronik wirkt im ersten Moment als einschneidender Kontrast, wenn nicht sogar als Irritation. Dies als „Musik“ zu bezeichnen fällt ebenso schwer, wie einen Gesang hierin zu erkennen. Viel eher handelt es sich dabei um eine Raum-Klang-Gemisch-Komposition aus Fragmenten eines 1956 aufgenommenen „Benedicta“-Gebets von einem zwölfjährigen Jungen. Die räumlich aufgeteilten Audio-Fragmente spickte Stockhausen mal mit elektronisch verzerrten Klängen, mal mit aufdringlichem Dröhnen. Dass er den Text dabei bis zur Unkenntlichkeit verzerrte, erzeugt neben futuristisch anmutenden Klangwelten einerseits unfreiwillige Komik. Andererseits ermüdet es im Höreindruck sehr schnell. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die meisten Zuhörer im Zuge der Beethovenschen Messe unfreiwillig hiermit konfrontiert wurden, anstatt sich bewusst dafür zu entscheiden.
Und auch dieses Konzerterlebnis wird von der Sitzposition maßgeblich getrübt. Denn Stockhausens Komposition setzt eine mittige Zuhörerplatzierung voraus, weil viele der Klangelemente hierin als Echos, als sich gegenseitig ergänzende Einflüsse und als räumliche Gesamteindrücke auftreten. Selbst wenn man kein Freund solcher Kompositionen ist, kann man dem Werk eine grundsätzliche Wirksamkeit nicht absprechen – vorausgesetzt man befindet sich an einer Position im Raum, an der es seine Wirkung entfalten kann. Der weit abseitige Sitzplatz des Rezensenten erwies sich hierbei als besonders ungünstig und trübte das Klangerlebnis in derart einschneidender Weise, dass man von einer ruinierten Erfahrung sprechen muss – insbesondere im direkten Vergleich beim Anhören auf der eigenen Heimanlage. Eine Rezeption im Sinne des Komponisten sieht jedenfalls anders aus.
Darüber hinaus erwies sich die Einbettung in Beethovens Missa solemnis konzeptionell für den Rezensenten als ernsthafte Störung. Wäre diese Komposition zu Beginn der Gesamtaufführung gekommen, wäre eine getrennte Betrachtung und Distanz beider Werke zueinander möglich geworden, wodurch beiden die notwendige Aufmerksamkeit hätte geschenkt werden können. Aber die Mischung, Stockhausens Arragement als Zwischenpart zu Beethovens Missa solemnis aufzuführen, sorgte nicht nur dramaturgisch für einen Einbruch, sondern erzeugte auch atmosphärisch einen regelrechten Riss, der sowohl Stockhausens Werk, als auch dem darauffolgenden Credo von Beethovens Messe nachhaltig schadete.
Undankbar ist das vor allem den Musikern und Dirigent Kent Nagano gegenüber, die für Stockhausen zu bloßen Statisten degradiert werden. Denn ansonsten lässt sich – soweit beobachtbar – festhalten, dass alle Beteiligten ihr Bestmögliches gegeben haben. Nagano sticht besonders durch seine Maßregelung des Orchesters hervor, die den erwünschten Gesamtklang auch für abseits sitzende Zuhörer erzielt. Auch in den einzelnen Instrumentengruppen lassen sich keine großen Fehler erkennen, wenngleich viele Details dem Rezensenten vorenthalten wurden und erst nachträglich im Online-Videomitschnitt erkennbar wurden. Die herausragend spielende Konzertmeisterin sei hier ebenfalls erwähnt, deren Solopartie gegen Ende den Gesang der Solisten noch zusätzlich verzaubern kann.
Gesanglich kann man dem Vokalensemble Köln eine gute Leistung bescheinigen. Sowohl als Einzelstimmen als auch gemischt erzeugt der Chor einen dem Dom angemessenen, fülligen Klang. So kennt man Kirchenmusik.
Auch die Solisten überzeugen weitgehend. Valentina Farcas (46) begeistert mit ihrem starken Sopran besonders in der Höhe, ohne dabei zu pressen oder schrill zu werden. Das nicht zu aufdringliche Vibrato der rumänischen Sängerin unterstützt sie auch in der Mischung mit Tenor Werner Güra (57). Die tragende, sonore Stimme des Müncheners beweist sich als klanghafte Stärke – auch unter den Solisten. Geradezu wuchtig kann er sich damit immer wieder sowohl gegen das Orchester, als auch den Hall im Kirchengebäude durchsetzen und wirkt damit am klarsten in der Textverständlichkeit. Rachel Frenkel (40) aus Wien überzeugt ihrerseits durch die besondere Beweglichkeit ihrer Stimme in ihren Passagen und eine besondere Wärme in der Mittellage. Auch im Gloria sticht sie positiv heraus.
Einzig der Bassbariton Andreas Wolf ist durchgängig so gut wie nicht zu hören. Aber auch hier wird nicht klar, ob es am Sänger selbst oder an der ungünstigen Sitzposition des Rezensenten liegt. Erst beim Nachhören der Life-Aufnahme vom Konzert relativiert sich dieser Eindruck.
So muss man abschließend festhalten, dass es eine Aufführung war, deren Potenzial maßgeblich von der Position der Zuhörer abhing. Der Rezensent verließ sie jedenfalls mit einer gewaltigen Mischung aus Frust dem Eventmanagement vom Beethovenfest gegenüber auf den Lippen. Besonders bitter – der Videomitschnitt des Konzertes steht in einem krassen Gegensatz zu dem hier geschilderten Konzerterlebnis und unterstreicht noch einmal die gute musikalische Leistung aller Beteiligten, die dem Rezensenten aber größtenteils vorenthalten wurde. Dementsprechend möchte er den Lesern dieses Beitrags auch raten: Sparen Sie sich solche Enttäuschungen in Zukunft lieber, wenn Sie sich nicht einen der guten mittigen Plätze ergattern. Gerade auch, wenn solch ein Event live im Fernsehen übertragen wird, haben Sie zuhause ansonsten definitiv mehr davon!
Das Konzert kann noch bis zum 27. April 2022 auf arte.tv unter folgendem Link angeschaut werden:
https://www.arte.tv/de/videos/106066-000-A/beethoven-missa-solemnis/
Daniel Janz, 29. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Es lässt sich für mich aus den Ausführungen von Kollegen Janz schließen, dass paradoxerweise sakrale Musik nicht für Gotteshäuser geeignet ist, sondern für Konzertsäle oder für einen ganz bestimmten Kirchenraum.
Lothar Schweitzer
Ja, diese Frage könnte man einerseits stellen. Andererseits scheint da aber auch beim Veranstalter so Einiges schief gelaufen zu sein. Schon die Kommentare des Kamerateams ließen tief blicken… wenn ich dann auch noch die absolute Fehlkalkulation des Managements im Bezug auf die Akustik und die Aufführung von Stockhausen berücksichtige, dann möchte ich nicht wissen, wie der Rest der Organisation oder die Proben abgelaufen sind. Da spricht für mich schon eine gewisse Naivität, wenn nicht sogar Ahnungslosigkeit heraus.
Aber ich muss sagen, das passt leider ins Bild meiner bisher eher schlechten Erfahrungen mit dem Bonner Kulturmanagement. Dabei wäre ich durchaus offen dafür, auch einmal positiv überrascht zu werden.
Daniel Janz
Eine gute Freundin, die dort war, berichtete mir mit Begeisterung. Hat’s am Sitzplatz gelegen? Die Akustik im Dom ist an sich ausgezeichnet.
Margot Krajewski
Ja, ich bin felsenfest überzeugt, dass die meisten der hier geschilderten Probleme den Sitzplätzen geschuldet sind, denn der Videomitschnitt ist recht gut anhör- und sehbar. Der lohnt sich meiner Meinung nach.
Daniel Janz