Elbphilharmonie: Lukáš Vondráček begeistert mit Leidenschaft, der eleganteste Pianist ist er nicht

Lukáš Vondráček Klavier
Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal, 30. November 2017
Johannes Brahms Klaviersonate Nr. 1 C-Dur op. 1
Scherzo es-Moll op. 4
Robert Schumann Arabeske C-Dur op. 18
Carnaval op. 9

von Sebastian Koik

Lukáš Vondráček hat beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel 2016 den ersten Preis und außerdem noch den Publikumspreis des flämischen Rundfunksenders VRT erhalten. Das Publikum und die Jury feierten ihn mit begeisterten Ovationen. Der heute 31-Jährige spielte beim Preisträgerkonzert Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 und wurde damit auf ARTE übertragen.

Der Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel hat einen hervorragenden Ruf, Gewinnerin im Jahre 2007 war die wunderbare Künstlerin und Hamburger Professorin Anna Vinnitskaya. Beim Blick auf die Liste der Sieger des Wettbewerbs fällt allerdings auf, dass es nur sehr wenige der Gewinner zu größerer Bekanntheit schafften.

Das Konzert an diesem Abend ist das erste in der neuen ProArte-Konzertreihe „Talente entdecken“. In Kooperation mit der sehr löblichen Initiative „Steinway Prize Winner Concerts Network“ werden viel versprechenden jungen Pianisten Auftrittsmöglichkeiten in großen Häusern organisiert. Das Publikum bekommt die Möglichkeit den ein oder anderen Star von morgen in einem frühen Stadium der Karriere zu erleben. Ist dieser Lukáš Vondráček ein zukünftiger Star?

Die erste Hälfte des Konzerts steht Johannes Brahms auf dem Programm, sie beginnt mit der Klaviersonate Nr. 1 C-Dur op. 1 des Hamburger Komponisten. Sofort fällt das sehr lebhafte und körperliche Spiel des jungen Tschechen auf! Er spielt mit Leidenschaft und ist mit Feuer dabei. Doch seine Bewegungen und vor allem seine Gesichtsakrobatik wirken etwas übertrieben.

Aber hier zeigt sich ein Künstler mit sehr großer Präsenz, in erster Linie musikalisch, was durch seine Gestik und Mimik noch gesteigert wird. Es ist hier wirklich enorme Unmittelbarkeit im musikalischen Vortrag. Vondráček spielt wuchtig, packend, mitreißend. Er begeistert mit enormer Musikalität, Tiefe und Klasse. Erst lässt er es im ersten Satz krachen und die Funken sprühen, dann wieder trägt der junge Tscheche im zweiten Satz die schöne Komposition Brahms‘ mit sehr viel Zärtlichkeit und Feingefühl vor und erzeugt wunderbar musikalische Spannung.

Bis hierher überzeugt Lukáš Vondráček vollauf! Doch im dritten Satz lässt er nach und es wird deutlich, dass er nicht der eleganteste Pianist ist. Der junge Mann präsentiert sich als ein Künstler, der über Leidenschaft und Gefühl kommt. Er kann sehr große Energie ins Spiel und die Musik bringen. Perfektion, durchgehend präzises Timing und allzeit geschliffene Töne gibt es bei ihm nicht – anders als bei den jüngeren Kit Armstrong und Daniil Trifonov, die kürzlich in Hamburg auftraten und mit enormer Eleganz und künstlerischer Reife überzeugten. Dafür hat er Vondráček Stärken.

Die zeigt er dann auch im zweiten Brahms-Stück, dem Scherzo es-Moll op. 4. Es ist eine wilde, kraftvolle, leidenschaftliche Komposition mit plötzlichem massiven Aufflammen und wahnwitzigen, abrupten Abbrüchen. Es ist Musik, die Lukáš Vondráček am meisten zu gefallen und liegen scheint. Hier ist er in seinem Element und weiß zu glänzen und zu begeistern. Nach dem Stück scheint der leidenschaftliche Künstler emotional ganz überwältigt zu sein von der Musik, die er gerade spielte.

Im zweiten Teil beginnt der Tscheche mit Robert Schumanns Arabeske C-Dur op. 18. Das kurze Sechsminuten-Stück macht Vondráček zu einem Kraftakt. Viel intensiver als er das hier tut, kann man sechs Minuten nicht verleben! Er steigert sich mit allem, was er hat, in die Musik rein. Er ist sichtlich stark bewegt, fiebert, schnauft, schwitzt.

In Schumanns Carnaval op. 9 fehlt es dem Pianisten wieder an Eleganz. Das Brachiale in der Brahms-Hälfte des Konzertabends stand ihm deutlich besser. Sein Timing ist nicht ganz so gut. Es fehlt ihm an Esprit und Frische. In schnelleren Passagen ist er etwas schludrig. Auch trifft er den Geist der Musik Schumanns nicht so gut. Brahms liegt ihm viel mehr. Er vermag hier die halbe Stunde Spieldauer des Stückes meist nicht wirklich zu packen und langweilt anspruchsvollste Hörer.

In den wenigen lauten, massiven, wild-wahnsinnigen Passagen ist er wieder in seinem Element. Leider viel zu selten. Als großer Feingeist präsentiert er sich nicht in Hamburg. Auch in seiner Zugabe nicht. Da fehlt ihm ein bisschen etwas zur Komplettheit eines wahrhaft großen Pianisten. Und dann: Über die Länge des Abends können seine so häufig herausgestreckte Zunge und die weit aufgerissenen, verdrehten Augen doch etwas nerven.

Vondráčeks Passion und Liebe für Musik und das was er tut sind allerdings sehr authentisch und begeisternd bei diesem sehr sympathischen jungen Mann – und er kommt mit seiner vielen Energie und Lebendigkeit extrem gut beim Publikum an.

Sebastian Koik, 1. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de

Lukáš Vondráček, Klavier, Wiener Konzerthaus

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert