Am Ende steht das Publikum trotzdem!

Măcelaru & Mahler, Wiebke Lehmkuhl  Kölner Philharmonie, 3. und 4. November 2023
Cristian Măcelaru © Thomas Brill


Mahlers zweite Sinfonie ist schon ein Gigant der Orchestermusik. Sein Werk über Tod, Lebensflucht und Auferstehung ist bis heute eine seiner beliebtesten Sinfonien, obwohl sie wegen ihres religiösen Inhalts und Mahlers eigener Interpretation vom christlichen Heilsgedanken heute schwer vermittelbar ist. Vermutlich steht sie auch deshalb nicht so oft auf den Programmen, wie seine anderen Werke. Eine Aufführung ist also immer etwas Besonderes. So sehr, dass es sich der Rezensent nicht nehmen lässt, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen dasselbe Konzert zu besuchen.

WDR Sinfonieorchester

Rundfunkchor Berlin
WDR Rundfunkchor

Cristian Măcelaru, Dirigent
Nicolas Fink, Einstudierung
Hanna-Elisabeth Müller, Sopran
Wiebke Lehmkuhl, Alt

Alma Mahler/Clytus Gottwald – „Die stille Stadt“ aus „Drei frühe Lieder“ transkribiert für Chor a cappella

Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 2 in c-Moll für Sopran, Alt, Chor und Orchester – „Auferstehungssinfonie“

Kölner Philharmonie, 3. und 4. November 2023

von Daniel Janz

Ungewohnte Töne erklingen jeweils zu Beginn der Vorstellungen. Das Lied „die stille Stadt“ von Alma Mahler, Ehefrau von Gustav Mahler, kann dabei nur einen Beitrag im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit darstellen. Inhaltlich bietet dieses für a cappella Chor transkribierte Werk kaum etwas Bemerkenswertes. Der Gedanke, Mahlers gewaltige Auferstehungssinfonie insofern abzurunden, indem der das Ende bestimmende Chor auch den ersten Ton setzen darf, ist grundsätzlich kreativ. Und wie die beiden gemischten Chöre dieses Lied darbieten, offenbart auch große Klasse.

In der Konzeption des Abends wirkt dieses Lied aber unpassend. Der Rezensent fühlt sich sogar so sehr gestört, dass er es am zweiten Aufführungstag aktiv ignoriert. Denn die verschiedenen Stimmen überlagern sich derart, dass kaum ein Wort zu verstehen ist. Und da, wo man Textfetzen versteht, wirkt es platt. Da hilft auch die künstlerisch perfekte Darbietung der Chöre nichts. Denn die Konzentration ist so sehr auf den Versuch gerichtet, diesen Text zu erfassen, dass der direkt folgende „attacca“-Einstieg in Mahlers zweite Sinfonie komplett seine Wirkung verfehlt – lange Strecken des ersten Satzes erreichen den Rezensenten am Freitag emotional überhaupt nicht. Vielleicht ist der Vergleich zur Aufführung von Mahlers zweiten Sinfonie von vor nicht einmal zwei Monaten unter den Münchner Philharmonikern noch zu frisch?

Foto: WDR / Tillmann Franzen

Am zweiten Spieltag werden jedenfalls Gründe klar, warum Freitag der Funke nicht überspringt. Denn diese ohnehin episodische Musik wird von Orchester und Dirigent Cristian Măcelaru (43) eher zerstückelt, als zusammengehalten. Es wirkt oft abgehackt und eruptiv, aber weder fließend, noch (bei den zu Tamtam-Schlägen absteigenden Bassfiguren) gemächlich schreitend. Dazu kommen ein paar unsaubere Einsätze.

Auffällig verhalten fällt weiterhin das Englischhornsolo aus. Und auch die Hörner scheinen matt. Ob schwach auf der Brust oder zu sehr zurückgedrängt, bleibt unklar. Da es aber ab Satz 3 passt, geht der Rezensent von einer unglücklichen Dirigieranweisung aus. Dazu kommen am zweiten Tag noch ungewohnt viele Störgeräusche aus dem Orchester. Das klang bei den Münchnern souveräner.

Der Vergleich hat aber auch sein Gutes. Der zweite Satz beispielsweise gefällt dem Rezensenten an beiden Tagen besser, als bei den Münchnern im September. Zunächst kommt ihm der Einstieg von Dirigent Cristian Măcelaru zwar etwas hastig vor. Kaum hat aber eine Gewöhnung eingesetzt, erzeugt der stete und immer wieder stark pointierte Wechsel zwischen elegantem Violinenzirpen, Tanzfiguren in den Bässen oder feierlichen Bläserakkorden eine wahre Gänsehaut. Die deutlichen Akzente, die Măcelaru hier setzen lässt, bereichern diesen Satz enorm. Spätestens jetzt sind Orchester und Zuhörer also doch noch in der Sinfonie angekommen!

Und auch der dritte Satz trägt an beiden Abenden zur Steigerung bei. Geradezu auf Weltklasse-Niveau fallen die Trompeten um Stimmführer Martin Gribl auf. Auch was von den Streichern und Holzbläsern kommt, kann nun bezaubern. Und das Schlagzeug, die einzige Gruppe, die wirklich von Note eins an perfekt da war, liefert ausnahmslos klangliches Gold in allen Schattierungen: Stark und mächtig, wo es krachen soll, fein und sensibel an anderen Stellen. Einfach fabelhaft! Am Samstag fangen sich zu diesem Satz dann auch die Hörner und liefern wieder Wohlgefühl ab – am Freitag gelang dies erst später, da merkte man, dass aktuell Stellen vakant sind.

© DR; Quelle: https://www.opera-online.com/de/items/performers/wiebke-lehmkuhl)

Ganz vorne mit von der Partie ist dann Wiebke Lehmkuhl (40) aus Oldenburg, die den vierten Satz prägt. Im September war der das Alt-Solo begleitende Choral noch aus der Ferne gespielt worden, was die Idee einer ans Himmelreich gerichteten Musik unterstützt hatte. Hier erklingen die Instrumente stattdessen aus dem Orchester, was ebenfalls gut wirkt, aber die Gefahr birgt, die Solistin zu überdecken. Doch Wiebke Lehmkuhl strahlt richtig. Obwohl ihr Beitrag zu diesem Werk klein ist, verzaubert sie ungemein. Ihre Stimmkraft ist wie von einem anderen Stern – sensibel, wo es Ausdruck verlangt und einfühlsam in den von Sehnsucht geprägten Passagen. Im Finale außerdem schön kräftig, wo sie mit Orchester und Chor eine Einheit bildet. Dazu stets klar in der Aussprache, wobei ihre beste Leistung am Freitag war. Im Vergleich dazu lag Okka von der Damerau im September gleich mehrere Level zurück.

Hanna Elisabeth Müller © Chris Gonz

Dicht dahinter, wenn auch nicht ganz so klar in der Aussprache, liegt Hanna-Elisabeth Müllers (38) Einsatz im Finalsatz. Auch die aus Mannheim kommende Sopranistin kann durch einen sehr gefühlsgeladenen Ton überzeugen und ihren kleinen Einsatz zu einer Sternstunde verzaubern. Was hier am Textverständnis fehlt, prägt sie dafür durch ihre Sensibilität. Insgesamt gute bis sehr gute Leistungen also.

Gut bis sehr gut präsentiert sich zum Finale hin auch das Orchester an beiden Tagen. Der eruptiv-hektische Stil, der Măcelarus Dirigat seit jeher (nicht immer erfolgreich) auszeichnet, entfaltet bei dieser Musik eine prächtige Wirkung, wobei am Samstag dieser Part sogar noch ein Quäntchen schärfer und damit überzeugender gelingt. Die Signale aus der Ferne sind schön kräftig und sauber. Auch die Steigerung zur „Weltuntergangs“-Fuge hat richtig Feuer und dürfte gerne öfter so zackig gespielt werden. Strahlkräftig auch das gesamte Blech, allen voran Trompeten und Posaunen, die mit dem Schlagzeug um den Titel der besten Orchestergruppe kämpfen.

Und zum Schluss endet das Ganze dann in einem derart mächtigen Finale, dass es wohl jeden ergreifen dürfte. Hier sitzt dann endlich alles durch die Bank weg. Einzig Details, wie Glocken und Orgel hätten noch prächtiger herausgearbeitet werden können. Doch das schmälert nicht den kraftvollen Ausklang dieser Aufführung. Genial ist auch die Idee, zum fulminanten Finale die jeweils 4 Hörner und Trompeten, die aus der Ferne spielen durften, ebenfalls auf die Bühne zu holen. Wenn da 10 Hörner und Trompeten zur alleserschütternden Chorhymne „Sterben werd’ ich, um zu leben!“ losschmettern, verleiht das dem Finale eine ganz eigene Wucht.

WDR Rundfunkchor Köln © WDR / Andreas Möltgen

Obwohl der Rezensent im (frischen) Vergleich der Aufführung vom September den Vorzug geben würde, darf er feststellen, dass dieses Konzert an beiden Abenden in Summe ebenfalls eine gute Leistung war, wobei die Aufführung am Samstag ein Quäntchen besser gelang. Bezeichnend ist besonders der an beiden Abenden lange und mit unzähligen Jubelbekundungen gespickte Schlussapplaus in fast durchgängig Stehenden Ovationen. Wunderbar, wie diese Aufführung eingeschlagen hat. Mahler 2 ist aber auch immer ein Erlebnis. Und seien wir ehrlich: Egal, ob man sie nun einmal, zweimal oder zehnmal hintereinander hört, das Finale beeindruckt doch jedes Mal!

Das Konzert kann für weitere Tage noch auf der Homepage des WDR nachgehört werden. Eine Aufzeichnung des Konzerts wird außerdem am 18. November ab 20:15 Uhr auf 3Sat ausgestrahlt.

Daniel Janz, 6. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 2 in c-Moll Kölner Philharmonie, 11. September 2023

Münchner Philharmoniker, Mirga Gražinitė-Tyla  Dirigentin, Gustav Mahler Symphonie Nr.2 Philharmonie Berlin, 12. September 2023

WDR Sinfonieorchester, Cristian Măcelaru, Kian Soltani Kölner Philharmonie, 20. Oktober 2023

Wiener Philharmoniker, Frank Peter Zimmermann (Violine), Daniel Harding Kölner Philharmonie, 6. Oktober 2023

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