Madama Butterfly: Bis das Rotkehlchen wieder nistet, so lautet sein Versprechen, dann käme er zurück

Giacomo Puccini, Madama Butterfly, Tragedia giapponese in drei Akten  Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 1. Mai 2024

Fotos: Archiv © Gianmarco Bresadola

Madama Butterfly
Tragedia giapponese in drei Akten von Giacomo Puccini
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Basierend auf der Erzählung von David Belasco

Premiere am 27. April 1991

Musikalische Leitung:  Giuseppe Mentuccia
Inszenierung:  Eike Gramss
Bühne, Kostüme:  Peter Sykora
Szenische Einstudierung: Katharina Lang
Choreinstudierung:  Gerhard Polifka

Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 1. Mai 2024

von Kathrin Beyer

Madama Butterfly ist eine der bekanntesten und meistgespielten Opern.

Ich habe sie schon einige (ehrlich: viele) Male erleben dürfen und die Musik hat mich noch jedes Mal sehr berührt, ebenso die Handlung, die leider nichts an Aktualität verloren hat. Diese nüchterne Feststellung allein macht schon traurig und ein bisschen fassungslos, denn immerhin gingen seit der Uraufführung 1904 ganze einhundertzwanzig Jahre ins Land.

Kommt dann am Opernabend noch die herzergreifende, dramatische, berührende Musik hinzu, sind Tränen vorprogrammiert. Frau oder Mann tut also gut daran, wasserfesten Mascara zu benutzen und Taschentücher zur Hand zu haben.

Mit beidem ausgestattet und voller Vorfreude machte ich mich also auf den Weg zur Madama Butterfly.

Die Fahrt mit den Öffentlichen lässt mir die Gelegenheit, das Handlungsgeschehen Revue passieren zu lassen. Ich gehe davon aus, dass Sie im Bilde sind, darum lasse ich Sie nur ganz kurz, zur Auffrischung, an meiner Rekapitulation teilhaben.

Pinkerton, ein amerikanischer Leutnant, der sich für drei Monate in Nagasaki aufhält, hat sich in die bezaubernde, als Geisha arbeitende Cio-Cio-San verliebt. Um sie besitzen zu können, heiratet er sie. Das japanische Gesetz erlaubt es ihm, die Ehe jederzeit für beendet zu erklären. Pinkerton fühlt sich nicht ernsthaft an Butterfly gebunden. Diese jedoch liebt ihn wahrhaftig, tritt für ihn zum Christentum über, nimmt den Bruch mit ihrer Familie in Kauf, und fühlt sich als glücklichstes Mädchen der Welt.

© Gianmarco Bresadola

Kurz nach der Hochzeit verschwindet er; bis das Rotkehlchen wieder nistet, so lautet sein Versprechen, dann käme er zurück.

Es folgen drei lange Jahre des Hoffens, Wartens und Kindererziehens…

…nur um dann zu erleben, dass der Geliebte und Ehemann mit seiner amerikanischen Ehefrau angereist kommt.

Die Geschichte nimmt ein sehr tragisches Ende.

Die Inszenierung von Eike Gramss aus dem Jahre 1991 nimmt keinen expliziten Bezug zur modernen Zeit, aber dank des Librettos hat wohl so mancher im Saal an Sextourismus, Kinderehen und Pädophilie gedacht.

Ich fühlte mich erinnert, aber nicht belehrt, eine schöne Erfahrung.

Das Bühnenbild ist traditionell, Raumteiler im Bambusstil bilden auf einem Podest das Haus, der Hintergrund ist wahlweise tagheller blauer Himmel oder sternenfunkelnder Nachthimmel, manchmal mit Vollmond. Kitschig? Vielleicht, aber doch auch schön.

Der Vorhang ist sehr wirkungsvoll gestaltet. Während der Ouvertüre öffnet er sich nicht sofort, sondern wird so beleuchtet, dass eine Transparenz entsteht, durch die der gewünschte Teil des Geschehens auf der Bühne sehr wirkungsvoll sichtbar wird.

Auch die Kostüme sind klassisch, alles andere hätte keinen Sinn ergeben.

Anna Princeva ist eine wunderbare Cio-Cio-San.

Eine der großen Herausforderungen dieser Rolle ist es, das Zarte, Kindliche, Scheue glaubhaft darzustellen, ohne kitschig oder gar albern zu wirken. Dies ist der Sopranistin sehr gelungen. Auch die Entwicklung vom jungen Mädchen zur jungen Frau und Mutter überzeugte. Anna Princeva legt eine Ernsthaftigkeit in die Figur der Butterfly, die die Frage nach Naivität gar nicht aufkommen lässt. Sie ist eine Frau, die schlicht, ehrlich und aufrichtig liebt. In ihr ist kein Zweifel und kein Betrug, wie soll sie da auf Täuschung eingestellt sein?

Ihr Sopran klingt klar, kraftvoll und (über)strahlend schön. Scheinbar mühelos kommt sie gegen das Orchester an. Den sehr wechselhaften Zustand ihres Gemütes transportiert sie sehr gekonnt über die Stimme.

Meine Begleitung, die das erste Mal eine Oper besuchte, sagte zu mir:“ Weisst du, selbst wenn ich den Text nicht mit lese, höre ich immer, was in ihr ist und heraus muss.“ Das ist eigentlich höchstes Lob.

© Gianmarco Bresadola

Die Rolle des B.F. Pinkerton ist keine sympathische und so ist Giorgio Berrugi nicht zu beneiden. In dieser Inszenierung ist Pinkerton ein überzeugter Yankee, der bei Einzug in sein japanisches Haus nichts Eiligeres zu tun hat, als die amerikanische Fahne hissen zu lassen. Schauspielerisch nimmt man ihm die Leichtfertigkeit, mit der er die Grundlage für kommendes Unglück legt, ab. Er ist kein Sympathieträger, meine Schwester hatte einen deutlicheren Ausdruck für ihn, dieser ist wohl wahr, aber nicht salonfähig.

Stimmlich bin ich zunächst etwas enttäuscht. Sein Tenor klingt wenig kraftvoll und zu leise, so dass er sich gegen das, zugegebenermaßen sehr kraftvolle, Orchester nicht durchsetzen kann.  Er punktet in den leisen Tönen und Duetten mit Anna Princeva, die wunderbar sanft, mit dem nötigen Schmelz in der Stimme bei mir für Gänsehaut sorgen.

Das erste Mal dankbar für wasserfesten Mascara bin ich bei dem Duett: „Vogliatemi bene, un bene piccolino“.

Arttu Kataja singt einen sympathischen Konsul Sharpless, der, wenn man so will, das Gewissen Pinkertons ist, das diesem scheinbar abhandengekommen ist.

Sein samtener warmer Bariton ist ein Hörgenuss. Seine Verzweiflung angesichts des nahenden Unheils nehme ich ihm ab.

Katharina Kammerloher ist die nahezu perfekte Suzuki.

© Gianmarco Bresadola

Ich bin von ihrem szenischen Spiel ebenso begeistert, wie von ihrer klaren und warmen Mezzosopran-Stimme, die sich mühelos gegen das Orchester und auch andere Stimmen durchsetzt.

Besonders beeindruckend sind die Duette mit Anna Princeva; die beiden Stimmen harmonieren perfekt miteinander und man möchte eigentlich „Zugabe“ rufen.

Auch die SängerInnen in kleineren Rollen tragen dazu bei, dass dieser Abend sehr erfreulich ist.

Allerdings verspüre ich Irritation über die Körpersprache der Kate Pinkerton.

Diese ist so gar nicht in Einklang zu bringen mit ihren Worten. Sie vermittelt den Eindruck einer Frau, der jegliche Empathie für das Leid der Butterfly fehlt.

Der Chor der Staatsoper agiert auch an diesem Abend auf hohem Niveau.

Das Orchester unter der Leitung von Giuseppe Mentuccia hat mir gut gefallen und in so manchen Momenten für Gänsehaut gesorgt.

Die Geschehnisse auf der Bühne werden mit Wucht untermauert, überspannt oder emotional begleitet.

Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass der Dirigent dafür Sorge trägt, dass der Tenor gehört und nicht vom Orchester nieder gerungen wird.

© Gianmarco Bresadola

Sofort nach dem letzten Ton bricht stürmischer Beifall aus.

Den größten Applaus und die lautesten „Bravo“ Rufe heimst, allemal verdient, Anna Princeva ein.

Als ich den Besuch dieser Oper plante, überlegte ich kurz, ob ich wirklich am 1. Mai im Zentrum Berlins sein möchte.

Meine Antwort: Ja, ich will! Unbedingt! Und jeder Zeit wieder!

Kathrin Beyer, 2. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Cio-Cio-San:  Anna Princeva
Suzuki:  Katharina Kammerloher
Kate Pinkerton:  Ekaterina Chayka- Rubinstein
Benjamin Franklin Pinkerton:  Giorgio Berrugi
Sharpless:  Arttu Kataja
Goro:  Gonzalo Quinchahual
Yamadori:  Taehan Kim
Onkel Bonze:  Grigory Shkarupa
Kommissar:  Dionysios Avgerinos

Giacomo Puccini (1858 – 1924), Madama Butterfly Staatsoper  Unter den Linden,  Berlin, 21. Februar 2024

Giacomo Puccini, Madama Butterfly Staatsoper Hamburg, 24. Januar 2024

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