Cristian Măcelaru und das WDR Sinfonieorchester erwecken den holzgeschnitzten Prinzen zum Leben

Matthias Goerne, WDR Sinfonieorchester, Cristian Măcelaru  Kölner Philharmonie, 1. September 2023

Bariton Matthias Goerne (Foto: Marie Staggat)

Von den drei Bühnenwerken Béla Bartóks ist „Der holzgeschnitzte Prinz“ das am seltensten aufgeführte. Zu unrecht, finden wir nach dem heutigen Abend. Dieses Stück gehört ebenso ins Repertoire wie beispielsweise „Le Sacre du printemps“. Der Reichtum an Klangfarben und Rhythmen dieses Werks sucht ihresgleichen. Farbenreich ist auch  Matthias Goernes Interpretation der Wunderhorn-Lieder Gustav Mahlers. Unter der Leitung des Chefdirigenten Cristian Măcelaru gelingt dem WDR Sinfonieorchester ein musikalisch spannender Saisonauftakt.


Kölner Philharmonie, 1. September 2023

Gustav Mahler/Detlev Glanert
Ausgewählte Lieder und Gesänge aus „Des Knaben Wunderhorn“
im Original oder bearbeitet für Orchester von Detlev Glanert

Béla Bartók
Der holzgeschnitzte Prinz. Tanzspiel in einem Akt von Béla Balázs, op. 13

Zugabe:

Johannes Brahms
Ungarischer Tanz Nr. 5 g-Moll

Matthias Goerne (Bariton)

WDR Sinfonieorchester
Leitung: Cristian Măcelaru

 

von Petra und Dr. Guido Grass

Gustav Mahler hat insgesamt 24 Lieder aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ vertont. Die ersten neun Lieder komponierte er für Singstimme und Klavier. Diese erschienen als Teil einer Liedersammlung noch schlicht unter dem Titel „Lieder und Gesänge“. In den nächsten Jahren vertonte Mahler 12 weitere Lieder, diesmal für Gesang und Orchester. Diese erschienen namensgebend als „Des Knaben Wunderhorn, Gesänge für Singstimme und Orchester“. Eine zyklische Auffassung aller Lieder war indes nie intendiert. Vielmehr sollen sich die Künstler aus dem Schatz bedienen und nach eigenem Gusto ein Programm zusammenstellen. Insgesamt 15 der 24 Lieder existieren in einer von Mahler selbst orchestrierten Fassung.

Detlev Glanert hat kongenial die Klangwelt Mahlers nachempfunden und die „fehlenden“ neun Lieder orchestriert, so dass Matthias Goerne und Cristian Măcelaru aus insgesamt 24 Orchesterliedern nach „Des Knaben Wunderhorn“ auswählen konnten. Mit Bedacht haben sie ein abwechslungsreiches Programm aus neun Liedern zusammengestellt. Dabei ist es ihnen gelungen, die einzelnen Teile in einem Spannungsbogen zu verbinden.

Goerne umarmt uns mit seinem außerordentlichen Stimmumfang

Treffsicher und weich singt der Bariton auch die herausfordernden Höhen. Das Textheft, das der WDR dankenswerterweise kostenlos verteilte, braucht man eigentlich nicht. Goerne singt die Texte leicht verständlich. Die im Liedgut enthaltenen vielschichtigen Emotionen vermag er exzellent zu transportieren. Ob verliebtes Säuseln im „Rheinlegendchen“, ein bitteres „Gute Nacht!“ in „Der Tambourg’sell“ oder ironisch gebrochenes „Tralali, Tralaley“ in „Revelge“, Goerne bringt dies in allen Schattierungen zum Ausdruck.

Das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten erweist sich als idealer Begleiter. Cristian Măcelaru balanciert die Lautstärke gut aus. In gleichem Atem folgt er mit dem Orchester den natürlichen Rubati des Sängers.

Wenn die Trompeten in „Wo die schönen Trompeten blasen“ gestopft die Militärmusik anstimmen, gefriert das scheinbare „Hurra!“ zum Militär in den Adern.

Begleitet von den Tiefen der Kontrabässe künden die Pauken in „Nicht wiedersehen!“ vom Unheil. Sowohl Goerne als auch das Orchester steigern sich ebenso allmählich wie wirkungsvoll in ihrer Verzweiflung, bevor ein letztes „Adé!“ gegen das Fortissimo des Orchesters gerufen wird. Wir sind geradezu erschüttert, als Goerne in „Das irdische Leben“ uns das auf der Totenbahre liegende Kind vor Augen führt.

Mahlers „Wunderhornlieder“ haben ganz überwiegend das Elend und die Verzweiflung menschlichen Daseins zum Inhalt. Goerne und Măcelaru haben hieraus passend zur Zeit überwiegend die Lieder mit antimilitaristischem Inhalt ausgewählt. Lediglich in „Urlicht“ liegt Trost in der Gewissheit, dass Gott auf dem letzten Wege ein Licht geben wird. Diesen Trost spendet heute Goerne, wenn er in herrlich abschattierter Höhe uns „das ewig selig’ Leben“ leuchtet.

Vor der Pause führt uns das Programm jedoch nochmals mit „Revelge“ und „Der Tambourg’sell“ ins Militärische. Goerne entlässt uns als zum Tode verurteilter Soldat mit einem ironisch-bitteren „Gute Nacht!“. Das Publikum schweigt erschüttert einen Moment, bevor es jubelnd Goerne, Măcelaru und dem Orchester mehr als berechtigten Applaus spendet.

Béla Bartóks „Der holzgeschnitzte Prinz“ ist ein zu selten aufgeführtes Meisterwerk

Béla Bartók komponierte diese hoch komplexe Tanzsuite zur Märchenerzählung des Dichters Béla Balázs. Die Handlung wird in sieben Tänzen erzählt: Ein Prinz verliebt sich in eine Prinzessin, die zu seinem Leidwesen von einer Fee bewacht wird, die es ihm unmöglich macht, zur Prinzessin zu gelangen. Der Prinz erschafft daraufhin einen hölzernen Prinzen, mit dem er die Geliebte zu sich locken möchte. Die Fee durchkreuzt jedoch seinen Plan; sie haucht dem Holz Leben ein, so dass die Prinzessin sich in den falschen Prinzen verliebt. Als die Verzweiflung des Prinzen ins Unermessliche steigt, hat die Fee doch Mitleid. Der hölzerne Prinz verliert seine Kraft und die Prinzessin erkennt ihren Fehler.

Nach den Mahler-Liedern kommt jetzt Christian Măcelaru richtig in Fahrt

Das Vorspiel beginnt ähnlich wie bei Wagners Rheingold mit einem tiefen Orgelpunkt in den Kontrabässen, auf den sich nach und nach die anderen Instrumentengruppen setzen. Wenn das erste Horn so einsetzt wie heute, ist dies ein Gänsehautmoment par excellence.

Cristian Măcelaru © Sorin Popa

Doch Bartóks Klangfarben malen ganz andere Impressionen der erwachenden Natur, herber und schriller. Während bei Wagner die Natur das Gute und Reine ist, aus dem alles kommt und zu dem alles wieder werden wird, zeigt sich die Natur im hölzernen Prinzen durchaus auch von ihrer feindlichen Seite. All dies ist wie im Ring bereits in der Einleitung angelegt.

Die Partitur scheint Măcelaru mit ihrer besonderen Rhythmik wie auf den Leib geschneidert. Mit ihm gelingt der ständige Wechsel von tänzerischer Bewegung und Träumerei, die dann wieder jäh von aufbrausenden Naturgewalten oder rasenden Dämonen zerstört wird. Sein Dirigat zeigt Prägnanz in den Einsätzen und Pausenzeichen sowie gefühlvolle Unterstützung bei den zauberhaften Klängen.

Das Ballett ist unbeschreiblich reich an Melodien, Klangfarben und Rhythmen. Und oft passiert fast alles gleichzeitig im Orchester. Dieses ist hier ebenso wie der Dirigent stark gefordert. Măcelaru kann sich aber auf sein Orchester verlassen.

Am heutigen Abend fällt es schwer, aus den hervorragenden Solisten und Instrumentengruppen einzelne hervorzuheben. Ohne die Leistung anderer schmälern zu wollen: Lewin Kneisel kommt als Soloklarinettist beim hölzernen Prinzen eine zentrale Rolle zu, die er mit Bravour meistert. Er spielt die rhythmisch vertrackten schnellen Figuren mit sicherem, warmen Ton.

Faszinierend klingt die Celesta. Mit ihren sphärischen Klängen versetzt sie uns in die Märchenwelt. Außergewöhnlich und schön, dass sie teils zu vier Händen gespielt wird. Eine tragende Rolle übernimmt auch das Schlagwerk, das Bartók auf 8 Instrumente erweiterte. Das exakte vierhändige Zusammenspiel der Musiker am Xylophon bringt das Holz zum tanzen.

Auch die Violinen zeigen ihre vielen Facetten, heute singen sie nicht nur, sondern werden auch zum Rhythmusinstrument, das mit dem Bogen geschlagen wird. Beim Wellentanz werden wir von den rauschenden Wassermassen geradezu überspült. Beim Kampf der Naturgewalten steigern sich die Instrumentengruppen, wozu auch Saxophone gehören, in einem irren Tempo bis ins Fortefortissimo.

Nach allen Irrungen und Wirrungen bringt der exzellent warme Klang des Horns das Happy End. Der Prinz verzeiht und beide sind in Liebe vereint.

Dieses Meisterwerk ist komplex, es verlangt danach, öfter gehört zu werden. Besonders wünschen wir uns, es einmal als Tanzspiel zu erleben. Nach der hervorragenden, fast schon szenischen Aufführung der Oper „Das Rheingold“ können wir uns das auch in der Philharmonie vorstellen. Will man die heute leider recht leeren Ränge füllen, braucht man vielleicht auch den Einsatz aktueller Video- und Lichttechnik. Der WDR ist sich dieser Problematik wohl schon bewusst und hat als Konzerteinführung ein interessantes Video zugänglich gemacht.

Diese Wünsche schmälern aber nicht das Erlebnis des heutigen Abends! Selbst wenn man das Märchen des holzgeschnitzten Prinzen überhaupt nicht kennt, durchlebt man beim Hören die Gefühlswelten von Verzweiflung, Stärke, Zweifel,  und Liebe. Wenn sie so erstklassig wie heute vom WDR Sinfonieorchester unter Măcelaru gespielt wird, spricht Bartóks Musik für sich, ihre Magie dringt direkt ins Herz.

Brahms’ Ungarischer Tanz Nr. 5 entlässt uns beschwingt nach Hause

Măcelaru und das WDR Sinfonieorchester bedanken sich beim begeisterten Publikum mit Brahms’ Ungarischem Tanz Nr. 5 g-Moll. Einmal mehr zeigen beide ihr Können. Măcelaru wählt ein zügiges Tempo, bei dem andere Orchester vielleicht ins Schwimmen gerieten. Beim WDR Sinfonieorchester bleibt alles rhythmisch exakt, und auch die schnellen Figuren verwaschen nicht. Die  abrupten Wechsel im Charakter, Tempo und Dynamik werden von Măcelaru präzise eingefordert und ebenso präzise vom Orchester geliefert.

Dabei haben Dirigent und Orchester offensichtlich viel Spaß, der sich sofort auch auf uns überträgt. Beschwingt machen wir uns auf dem Heimweg.

Petra und Dr. Guido Grass, Köln, 4. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Budapest Festival Orchestra Cristian Măcelaru, Rudolf Buchbinder  Wolkenturm, Grafenegg, 24. August 2023 

Dvořák, Bartók und Mahler im letzten Programm der Saison, WDR Sinfonieorchester Cristian Măcelaru, Dirigent Kölner Philharmonie, 16. Juni 2023

Orchestre National de France, Daniil Trifonov, Klavier, Cristian Măcelaru, Dirigent Elbphilharmonie, Hamburg, 29. November 2022

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