Foto: Maurizio Pollini, © Christoph Riccius
Salzburg, Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 19. August 2018
Johannes Brahms, Drei Intermezzi op. 117
Robert Schumann, Concert sans orchestre f-Moll op. 14
Frédéric Chopin, Zwei Nocturnes op. 62; Polonaise fis-Moll op. 44; Berceuse Des-Dur op. 57; Scherzo cis-Moll op. 39.
Maurizio Pollini, Klavier
von Raphael Eckardt
Mit Pianistenlegenden kennt man sich aus bei den Salzburger Festspielen: Nach furiosen Gastspielen der größten Klavierkünstler unserer Zeit (Kissin, Trifonov, Schiff, etc.) war am vergangenen Sonntag im Rahmen der diesjährigen Sommerfestspiele auch der seit Jahrzehnten auf den Weltbühnen brillierende italienische Tastenpriester Maurizio Pollini zu hören. Pollini, mittlerweile stolze 76 Jahre alt, hat mit seinen Chopin-Aufnahmen Generationen junger Pianisten geprägt. Seine legendären Etüdeneinspielungen des polnischen Komponisten aus den 1970er-Jahren sind bis heute unübertroffen, sein künstlerischer Mythos umhüllt die großen Konzertbühnen dieser Welt seit mittlerweile beinahe sechs Dekaden. Als Pollini 1960 den renommierten Warschauer Chopin-Wettbewerb gewann, war man sich in Expertenkreisen schnell einig, dass da ein neuer Stern am Pianistenhimmel entstanden war, der sein strahlendes Vermächtnis mittlerweile auf nicht weniger als 56 CDs und tausenden Solokonzerten zu repräsentieren wusste.
Da überrascht es umso mehr, dass sich Pollini im Rahmen der diesjährigen Salzburger Sommerfestspiele mit einem Programm vorstellte, das neben seiner Paradedisziplin, den Klavierwerken Frederic Chopins, vor allem durch zwei große (und verhältnismäßig relativ unbekannte) Werke zweier Komponisten bestach, die Chopin in höchsten Tönen verehrten und maßgeblich von dessen kompositorischer Sprache beeinflusst wurden: Johannes Brahms und dessen Quasi-Mentor Robert Schumann.
Mit Brahms’ drei Intermezzi op. 117 begann dann ein Abend mit einem technisch hoch anspruchsvollen Werk, dem Pollini leider nicht vollends gerecht wurde. Sanfte Achtelketten verschmelzen da zwar ungewöhnlich sauber artikuliert mit weichen Klangwolken aus unterschiedlichen Farbtönen, das große Ganze bleibt dennoch vorerst unentdeckt. Pollini gibt sich als Kreator einer riesigen Herbstlandschaft, deren bunte Farben dynamisch zu immer neuen Mustern verschwimmen. Seicht melodiös aufschimmernde Momente legen sich wie Spinnweben um polternd abphrasierte Laufwerke. Alles wirkt harmonisch, idyllisch und authentisch romantisch, der letzte pianistische Glanz lässt dennoch missen.
Dass Pollinis technische Zuverlässigkeit nicht mehr jederzeit gegeben ist, ist in Fachkreisen eigentlich nichts Neues. Besonders die linke Hand des Italieners sündigt seit einiger Zeit gerne und oft durch arge Vergreifer und ungewollt plumpe Akzentuierungen. Das geht auch diesmal vor allem im zweiten Intermezzo auf Kosten der Dramatik und Spannung. Immer wieder enden da eigentlich weite Spannungsbögen viel zu abrupt und ungestüm. Freilich, für fein angerichtete Abphrasierungsdelikatessen war Pollini noch nie bekannt, ob die erratischen und teilweise ungeduldig wirkenden Akzente vor allem in zurückhaltenden Pianopassagen aber tatsächlich so gewollt waren, darf zumindesten angezweifelt werden.
Ähnliches gilt dann für Robert Schumanns Concert sans orchestre op. 14: Das fortreißend Dramatische, das Pollinis Klavierspiel über Jahrzehnte hinweg von dem anderer Pianistengrößen unterschieden hat, scheint zunehmend schwerfällig zu werden. Gesplissene Tonkanten und krächzend polternde Akkorde ziehen sich wie ein unheilbares Virus durch die eigentlich intelligent interpretierte Musik Schumanns. Die fabulöse Durchleuchtung dieses einzigartigen Pianisten scheint zunehmend erloschen, seine spezifische musikalische Wortgewandtheit bleibt erstaunlicherweise dennoch erhalten. Auch aus diesem Grund kann Pollinis Sprödheit an diesem Abend durchaus als angemessenes Interpretationsinstrument von Schumanns non-orchestralem Klavierkonzert verstanden werden. Das ist einerseits clever, legt andererseits aber die motorischen Wunden offen, die vor allem Pollinis linker Hand im Laufe dieser einzigartigen Pianistenkarriere zugestoßen zu sein scheinen. Schade!
Einzelne Passagen sind dennoch großartig vorgetragen, obwohl sich das fortreißend Wahnsinnige, das manisch Depressive in Schumanns Musik nicht konsequent realisieren lässt. Großartig in ihrer thematischen Disposition, feinfühlig in ihren Interessen für rhapsodischen Non-legato-Klang. Die Wiederkehr von thematischen Elementen in verschiedenen Stimmen unter gewaltig fortströmenden Fortissimi gelingt Pollini auch im hohen Alter noch mit stiltypischer Erhabenheit und keinerlei musikalischer Kompromissbereitschaft. Herrlich!
Mit Frederic Chopins zwei Nocturnen op. 62 beginnt dann Pollinis eigentlicher Paradeblock. Der wäre sicherlich weitaus höher zu genießen gewesen, hätte er nicht so schonungslos offenbart, welch technische Probleme sich da in Pollinis Klavierspiel über all die Jahre partiell eingeschlichen haben. Diese würden wohl deutlich unerheblicher erscheinen, wäre Pollini nicht seit jeher (und allen voran seit besagten Etüdeneinspielungen) als Pianist mit überragender Technik bekannt. Etliche falsche Töne vor allem in der zweiten Nocturne hinterlassen beim kritischen Salzburger Publikum einen irritierten Eindruck, in der fis-Moll Polonaise (op. 44) patzt dann vor allem Pollinis Linke bei großen Sprüngen folgenschwer.
Diesen, stellenweise leicht schludrig wirkenden Passagen stehen dann – noch irritierender – äußerst anspruchsvolle und versierte Stellen im cis-Moll Scherzo (op. 39) gegenüber, die Pollini blitzsauber und mit einer derartig souveränen Leichtigkeit bewältigt, als wäre das Schwerste für ihn auch mit 76 Jahren noch ein pianistisches Kinderspiel; nur um dann wieder von Abschnitten abgelöst zu werden, die schlampig wirken und bei denen Pollini teilweise zum wenig beliebten Mittel des schwammigem Pedalspiels greifen muss, um technische Unsicherheiten zielsicher zu überdecken. Kaum hat man sich dann von jenem Wechselbad der Gefühle erholt, strahlt und betört der Klavierklang von Chopins Des-Dur Berceuse (op. 57) wieder so hell und frisch, als säße der polnische Komponist persönlich dort auf der Bühne.
Es bleibt an diesem Abend überwiegend die Frage, wie lange Pollini noch auf den großen Bühnen dieser Welt agieren kann, ohne einen künstlerischen Absturz zu provozieren, der diesem Ausnahmekönner in keinster Weise zu wünschen ist. Wohin Pollinis musikalischer Weg in den kommenden Jahren führen wird, ist neben dessen musikalischer Feinarbeit vor allem davon abhängig, wie gut und konstant ihm früher erworbene technische Fähigkeiten auch in hohem Alter noch erhalten werden.
Raphael Eckardt, 20. August 2018, für
klassik-begeistert.de
So beinhart es klingt: Pollini sollte sich von den großen Konzertbühnen zurückziehen. Fragwürdige Auftritte werden leider zur Regel, anstatt zur Ausnahme. Damit setzt er nur seine Reputation aufs Spiel. Bereits 2015 im Wiener Konzerthaus war nichts zu spüren von Dynamiken, von Spannungsbögen, ganz zu schweigen von Drama bei der Schumann’schen Kreisleriana. Ich würde keinen einzigen Cent für einen Pollini-Klavierabend ausgeben! Aber solange das Publikum zahlt…
Jürgen Pathy
Auch ich war im Konzert – dass nicht alles perfekt war, ist Tatsche. Pollini ist sicher nicht auf einer Ebene mit Kissin, Sokolov oder Wang. Aber: Es war ein durchaus ordentliches Konzert, gelegentlich falsche Noten gab es bei Rubinstein, Arrau, Schnabel und allen Pianisten der Jahrhundertwende und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Wenn man nicht im Kopf hat, dass Pollini einmal den Ruf des genialen Technikers hatte – für viele war er der technisch beste Pianist der Welt –, dann wird die Kritik wohl viel freundlicher ausfallen.
Turbauer