Meine Lieblingsoper 20: "Die Teufel von Loudun" von Krzysztof Penderecki – teuflische Zeiten mal wieder mit passender Musik

Meine Lieblingsoper 20: „Die Teufel von Loudun“ von Krzysztof Penderecki

Die Oper “Die Teufel von Loudun” von Krzysztof Penderecki
Foto: P. Andersen / music-unites.com (c)
Krzysztof Penderecki 1999

von Teresa Grodzinska  

Die Oper “Die Teufel von Loudun” von Krzysztof Penderecki (1934 – 2020) entstand 1968 im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper für das 43. Welttreffen der Neutöner. Penderecki beendete gerade zweijährigen Lehrauftrag an der Folkwangschule in Essen, als ihn dieser Auftrag erreichte. Er komponierte seine erste Oper (oder so etwas in der Art) in 28 Tagen. Das Libretto (oder so etwas ähnliches)  schrieb er gleich mit. Auf Deutsch.

Ich hörte rein und staunte: erst Kakofonie – dann Wonne. Der damals 35-jährige Penderecki, das Enfant terrible der polnischen Musikszene, spielt mit allen Musikgenres und vor allem, er spielt mit der menschlichen Stimme, als ob sie ein Instrument sei. Die Sänger tun sich zusammen um mal mit Orchesterbegleitung, mal a cappella das Elend des menschlichen Daseins zu beklagen. Von den Solisten – unter anderem Andrzej Hiolski (Bariton) und Bernard Ladysz (Bassbariton) – verlangten “Die Teufel” einiges. Eigentlich sollte in Kirchenlatein gesungen und geflüstert werden, aber da rebellierten sowohl  die Sänger als auch der Chor…

Bei der Uraufführung halfen all die Avantgarde und Originalität nichts: Das Werk des tiefgläubigen Katholiken Penderecki fand beim antiklerikalen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ keine Gnade. “Die Teufel von Loudun” wurden “irgendwo zwischen Sprechtheater und musikalischem Dünnschiss” geortet.

Erstmal der Plot. Ich zitiere aus der Buchrezension von Christian E. Lawalter im Wochenmagazin „Die Zeit“ anlässlich der Erscheinung der deutschen Übersetzung von Aldus Huxleys Tatsachenbericht “Die Teufel von Loudun” 1955.

„Es gibt historische Tatsachen von so extremer Unwahrscheinlichkeit, daß man sie nicht als Romanstoff aufgreifen oder sie in romanähnlicher Form erzählen darf, weil jeder Leser unwillkürlich der krankhaften Phantasie des Erzählers das zuschreiben würde, was in seiner unerschöpflichen Erfindungskraft das wirkliche Leben selbst sich hat ereignen lassen

Vielleicht die ungeheuerlichste Begebenheit so unglaubhaften Charakters ist das Auftreten von sieben Teufeln im Ursulinerinnen Kloster der unweit Poitiers gelegenen Stadt Loudun zur Zeit der allmächtigen Ministerschaft des Kardinals Richelieu gewesen – ein völlig absurder und dennoch in der grauenhaftesten Weise realer Vorgang, der dem wenig sittenstrengen, aber an den Taten der Teufel völlig unbeteiligten Stadtpfarrer von Loudun, Urbain Grandier, den unschuldig erlittenen Foltertod und die Verbrennung als Hexenmeister eingetragen, die junge Priorin des Klosters und ihre sechzehn Mitschwestern zu obszönen Schaustellungen ihrer verdrängten Sexualwünsche angetrieben, zwei Kapuzinerpater und ein Mitglied der hohen Aristokratie zu sadistischer Mordlust entfacht und einen nach übergroßer Heiligkeit strebenden, charakterlich untadeligen Jesuitenpater, den Mystiker Jean-Joseph Surdin, in jahrzehntelange schwerste, psychosomatische Störungen verstrickt hat, die von den Ärzten und Theologen als Wahnsinn verkannt und somit als Strafbefehl Gottes durch Abscheu und grausamen Spott geahndet wurden.“

Das Obige mit Musik… das kann nicht jeder. Das konnte bis jetzt nur K.P.

Warum?

Das schweigsame Wunderkind, ein musikalisches Genie, kam zur Welt in unmittelbarer Nähe von Oswiecim, auf Deutsch: Auschwitz. Überlebte den Krieg in der geschützten Umgebung einer Krakauer Inteligencja-Familie. Mit 8 Jahren komponierte der Knabe selbständig, Klavier und Geige brachten ihn durch den Krieg. War wie alle nach dem Krieg ein traumatisiertes Opfer der Umstände. Als Studienfach wählte er Musik, die abstrakteste aller Künste. Er schrieb Musiken, Messen aber auch Jazz, vertonte Volkslieder, experimentierte. Vor allem das.

Eine Oper über klassische Folgen des “Opiums für das Volk” (Karl Marx) schien absolut regimekonform, dazu im feudalen Frankreich des XVII. Jahrhunderts angesiedelt. Weit weg von der Gegenwart. Denkste!

Man schlug zwei Fliegen mit einer Klappe: Für die polnischen Machthaber war das Stück antiklerikal, also regelkonform. Für das taumelnde, biedere, langsam aus dem eigenen Trauma aufwachende deutsche Publikum – ein Skandal. Und das tut einem jungen, unbekannten osteuropäischen Autor immer gut. Epatez les bourgois!

© Westermann, Staatsoper Hamburg

Was in Hamburg noch in klassischem Bühenbild nur eine musische (oder sowas in der Art) Herausforderung war, wurde in Stuttgart zu einer Orgie. Hier der Spiegel-Rezensent:

OPER / PENDERECKI : Durchfall mit Erfolg – DER SPIEGEL 27/1969

Der Stuttgarter Regisseur Günther Rennert machte seinem Hamburger Kollegen Konrad Swinarski (er ist durch die Inszenierung von Peter Weissens „Marat“ bekannt geworden) einiges vor: Statt des in der Hamburgischen Staatsoper dargebotenen historischen Ausstattungsstücks, eines Arrangements schöner, mit pantomimischen Zutaten und ein wenig Pseudosozialkritik belebter Tableaux, inszenierte Rennert ein realistisches, zuweilen zynisch-überspitztes, aber immer logisch motiviertes Drama voller Sex und Blut:

Anders als in der zimperlichen Hamburger Version reißen sich in Schwaben die vom Furor uterinus (Hysterie, Nymphomanie) gepeinigten Nonnen die Kutten vom Leib und feiern barbusig einen wüsten Hexensabbat; die geile Priorin wird sichtbar klistiert, und vernehmlich fährt der Teufel aus ihrem Leib — der Furz kommt kraß-naturalistisch vom Tonband. Nackt sitzt der Abbé Grandier, das Sex-Idol der Bräute Christi, mit einer Witwe im Badezuber, und er küßt die Stola, bevor er im Beichtstuhl ein Fräulein maust.”

Und was sehe und höre ich? Eine Parabel auf Auschwitz. Ein Fallen aller Grenzen der sogenannten Moral, Zivilisation, Ethik, sobald es weder strafbar noch “unanständig” genannt werden kann, was man tut, solange die Macht mit einem ist.

Für Penderecki wie für viele in Europa  gab es nichts “Heiliges” nach Ausschwitz. Wie viele seiner Generation tat er das einzig Mögliche: Er versuchte zu überleben, nicht zum angepassten Schwein zu mutieren und seine Kunst zu machen…

Ein in Deutschland (leider) unbekannter/verkannter Kunstmaler, Happenig-, Theater- und Pantomime-
Regisseur und vieles mehr, Maks Schoc (1937 – 1983), meinte:

 „Die Leute denken, dass Künstler malen hübsche Bildchen, komponieren hübsche Lieder oder schreiben schöne Verse. Künstler sind Menschen, die sterben wollten, aber leben weiter. Deshalb ist echte Kunst unsterblich.”

In diesem Sinne – Dünnschiss oder Sprachtheater;  mich haben sie gepackt, „Die Teufel von Loudun”. Und halten uns noch immer in ihren Krallen. Auch in dieser Walpurgisnacht…

Für den Home-Digi-Abend empfehlen sich  “Die Teufel von Loudun” auf YouTube.

Teresa Grodzinska, 30. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die polnische Autorin Teresa Grodzinska lebt im Herzen Hamburgs.

Meine Lieblingsoper, Teil 19: „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert