Meine Lieblingsoper 22: "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss, Teil 2 – schön ist es, eine Oper mit immer reiferen Augen erleben zu dürfen

Meine Lieblingsoper 22: „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss, Teil 2  klassik-begeistert.de, Wiener Staatsoper

Wenn zum Schluss  die Stimmen schweigen und das Orchester den wunderbaren symphonischen Schluss spielt, ist die Wirkung bei jeder Aufführung anders. Ein froh machendes, ein beglückendes, manchmal ein selig machendes Erlebnis. Schön ist es, eine Oper mit immer reiferen Augen erleben zu dürfen. Als Fünfzehnjährige(r), Dreißigjährige(r) ist man für viele Dinge noch blind. Kann man als Jugendlicher, um ein Beispiel zu geben, die Aussprache Wotans mit Brünnhilde wirklich schon begreifen. Heute schämen wir uns nicht mehr unsere Rührung zuzugeben, wenn wir in der Schlussszene hören: „Ich sage dir, nun hebt sich erst das Leben an für dich und mich.“

Foto: Jessye Norman. Von Stilfehler – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34696198

von Lothar Schweitzer

Nach Jahren mit Schwerpunkt Tiroler Landestheater war ich ab Beginn der Achtzigerjahre wieder mehr in Wien am Ring zuhause und wieder Gast der „Ariadne“ in der 70. Aufführung einer für mich neuen Inszenierung und Ausstattung von Filippo Sanjust, die unterdessen die gewohnte Gielen-Inszenierung mit Bühnenbild und Kostümen von Stefan Hlawa abgelöst hatten. Ich muss gestehen, es ist mir kaum aufgefallen. Eine neue Sichtweise war für mich nicht herauszufinden. Auslöser kann, wenn ich mir die Besetzungsliste anschaue, nur die Neugierde auf Jessye Norman gewesen sein. Theodor Guschlbauer dirigierte, der inzwischen 76-jährige Bassbariton Erich Kunz sprach den Haushofmeister. Bei meiner ersten „Ariadne“ war es der 69-jährige  Bassbariton Alfred Jerger, seither regelmäßig der Bariton kleiner Rollen Hans Christian.

Gabriele Schnaut gab an dem 17. Dezember 1985 den Komponisten zum ersten und einzigen Mal hier im Haus. Sie war später an diesem Ort Brünnhilde, Isolde, Turandot und Färberin. Celina Lindsley gab mit der Zerbinetta ihre Visitenkarte ab und war danach noch dreimal als Königin der Nacht auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Heinz Zednik ist in der Zwischenzeit zum Tanzmeister avanciert.  An dem Abend beobachtete ich zehn Minuten vor Beginn aus der rechten Künstlerloge einen fast leeren Saal. Eine Absage? Ein Herr trat vor den Vorhang und teilte dem spärlich erschienenen Publikum mit, dass der Beginn der Vorstellung sich wegen eines Verkehrsinfarkts auf der Ringstraße verzögern werde. Das hatte ich als U-Bahn-Benützer nicht mitbekommen.

Am 28. September 1991 fand im Salzburger Landestheater eine Premiere statt. Die Uraufführung dieses Stücks war anlässlich der Eröffnung des Königlichen Hoftheaters in Stuttgart am 25. Oktober des Jahres 1912.  Auf der ersten Seite des Programmfolders war zu lesen: Ariadne auf Naxos Oper in einem Aufzuge von  Hugo von Hofmannsthal /zu spielen nach dem Bürger als Edelmann des Molière   /  Musik von Richard Strauss op. 60 / (Urfassung 1911/12)

Nach den Personen des Schauspiels waren die Personen der Oper angeführt (Ariadne, Bacchus und die Naturgeister) und anschließend „als Intermezzo“ Zerbinetta und ihre Gefährten.

Mehr für Oper und nur in besonderen Fällen am Sprechtheater interessiert ging mir das Vorspiel mit Musiklehrer und Komponisten ab.  Der Chefdirigent des Salzburger Mozarteumorchesters Hans Graf leitete dieses.  Ana Pusar war die „Ariadne“, mit der sie ebenfalls an der Wiener Staatsoper gastierte, der Bacchus war der in Graz sehr beliebte Heldentenor Wolfgang Müller-Lorenz, der mich auch bei einem Ring-Gastspiel der Grazer Oper in Salzburg überzeugen konnte. Für Charlotte Pistor war die Najade ihr erstes Engagement in der Mozartstadt, wo sie immer wieder in Mozartmessen im Salzburger Dom mitwirkte. Als freischaffende Künstlerin hat sie in Salzburg ihre Heimat und Familie gefunden.  Carmen Fuggiss als Zerbinetta wurde zwei Jahre später als lyrische Koloratursopranistin mit Schwerpunkt Mozart und Strauss an die Staatsoper Hannover wegengagiert. Josef Köstlinger sang den Scaramuccio. Er war in der Rolle des Tamino durch Ingo Bergmans Zauberflötenfilm international bekannt geworden. Josef Köstlinger ist Vater der Josefstadtschauspielerin Maria Köstlinger.

Meine Frau Sylvia und ich erlebten unsre erste gemeinsame „Ariadne“ im Juni 1995 und hatten gleich das Glück einer hochwertigen Besetzung, die auch hielt, was sie versprach. Die musikalische Leitung  war Leopold Hager anvertraut. Aus Platzgründen nicht Vollständigkeit anstrebend in aufsteigender Reihenfolge: Waldemar Kmentt verkörperte den Haushofmeister, mit dem er am Anfang des dritten Jahrtausends an der Met debütierte. Gottfried Hornik sang den Musiklehrer, die Irin Ann Murray den Komponisten. Ernst-Dieter Suttheimer debütierte an der Wiener Staatsoper als Brighella, was ich deshalb gern erwähne, weil er mein bester Hauptmann im „Wozzek“ war. Über Natalie Dessay brauchen wir nichts weiter zu sagen. Sie erfüllte unsre vorfreudigen Erwartungen. Thomas Moser erreichte seit James McCracken  endlich wieder das Ideal eines Bacchus. Den Gipfel bildete Julia Faulkner. Sie ist für uns  d i e  Richard-Strauss-Sängerin!

Wiener Staatsoper, (c) M. Pöhn

In der 129. Aufführung der Inszenierung von Filippo Sanjust am 16. Mai 1999 dirigierte wieder Leopold Hager. Jetzt war endlich Edita Gruberová die schon viel gerühmte Zerbinetta, die eine ihrer Paraderollen war.  Hier Hymnen anzufangen hieße Eulen nach Athen tragen. Sowohl Anne Sofie von Otter (Komponist) als auch Cheryl Studer (Ariadne) haben sich uns nicht eingeprägt. Zum dritten Mal fiel uns Svetlana Serdar als Dryade auf. Es begann in der Staatsoper die Zeit, in der unter den vielen Altistinnen eine starke Konkurrenz begann. Auf Janez Lotrič wollen wir noch eingehen. Wir haben ihn aufeinander folgend noch weitere zweimal gehört. Wir halten Lotrič für die Partie geeignet, obwohl bei seinem Vortrag Bravouröses nicht den Anschein von Leichtigkeit bekommt.

Wiener Staatsoper – Zuschauerraum. © Michael Pöhn

Noch einmal vor dem Jahr 2000 besuchten wir eine „Ariadne“. Anlass dazu das Rollendebut der Deborah Polaski als Ariadne. Ein Gewinn für diese Strauss-Oper. Die Komödianten um Edita Gruberová haben sich mit der Zeit auch verändert, aber nicht zum Nachteil. Nachhaltig sind zu erwähnen Herwig Pecoraro als Brighella und Wolfgang Bankl als Truffaldin. Jun Märkl war der Dirigent.

Im April 2000 wollten wir philippinischen Gästen nicht nur Sehenswürdigkeiten, sondern auch eine Aufführung der Wiener Oper bieten. Wir überlegten „Fidelio“ oder „Ariadne auf Naxos“. Letztere Oper siegte. Die Besetzung war eine Mischung der letzten von uns besuchten Aufführungen. Bloß Waltraud Meier als Komponist war auch uns neu – und gefiel.

In der 141. Aufführung in dieser Inszenierung am 1. Dezember 2005 hatten wir eine mit uns befreundete Schauspielerin eingeladen. Natürlich war sie von Edita Gruberovas Koloraturen hingerissen, aber sah Schwächen in ihrer schauspielerischen Darstellung. Adrianna Pieczonka ergänzte als neue Perle die Reihe der Ariadne-Interpretinnen. Dirigent war Friedrich Haider.

In sieben und jetzt bereits fünfzehn Jahren kann sich viel verändern. Das erste Jahrzehnt des dritten Jahrtausend ist bereits vorbei. Sven-Eric Bechtolf zeigt eine Regie vor, die im Gegensatz zu andren seiner Produktionen Akzeptanz erfährt. Der Komponist und Zerbinetta werden ein Paar. Nur die Apotheose und das Eingehen in den Sternenhimmel gehen uns ab.  Neue Namen werden bald vertraut. Franz Welser-Möst, Michael Boder und Cornelius Meister dirigieren.  Der Grandseigneur und Doyen der Schauspielkunst Peter Matić übernimmt den Haushofmeister bis zu seinem unerwarteten Tod. Das Personal des reichsten Mannes von Wien wird ausgewechselt, bekommt neue Gesichter und neue Stimmen. Meistens können wir zufrieden sein. Nach dem unverwechselbaren Timbre eines Peter Klein, über den etwas nasal klingenden Murray Dickie und den Typen Heinz Zednik geben jetzt Norbert Ernst und Thomas Ebenstein dem Tanzmeister Profil.

© Claudia Höhne, Franz Welser-Möst, The Cleveland Orchestra

Dem lyrischen Tenor aus dem Wiener Staatsopernchor mit solistischen Verpflichtungen Gerhard Reiterer gelingt es sogar einmal aus der winzigen Rolle des Perückenmachers mehr herauszuholen. Clemens Unterreiner nähert sich als Musiklehrer asymptotisch dem Ideal Paul Schöffler. Als Komponist feiert Christine Schäfer ihr Debüt an der Wiener Staatsoper. Sophie Koch bedeutet für uns die bisher grandioseste Gestaltung dieser Partie. Wir versteigen uns sogar so weit und behaupten, ihr gesanglicher Vortrag übersteigt das im Text Ausgesagte.

Nach der Gruberová-Ära folgen als Zerbinetta Daniela Fally, Íride Martínez und Hila Fahima. Martínez arbeitete auffallend mit Persiflage, vielleicht um sich Druck zu nehmen. Hila Fahima begann auch als Najade. Den Kassandrarufen unsrer Opern liebenden  Freunde zum Trotz gefiel uns ihre Zerbinetta ausnehmend gut. In den fünf Jahren von 2012 bis 2016  waren Nymphen aufgeboten, deren Namen sich heute großer Beliebtheit erfreuen: Neben der schon gelobten Hila Fahima, Andrea Carroll und Valentina Naforniţă (Najade), Margarita Gritskova, Juliette Mars und Rachel Frenkel (Dryade), so wie Olga Bezsmertna und Caroline Wenborne (Echo). Adam Plachetka gab einen heldenbaritonalen Harlekin, Manuel Walser war betont lyrisch. Mit Stephen Gould (Rollendebüt 19. Dezember 2012) ist ein dem Bacchus würdiger Interpret gefunden. Nach Krassimira Stoyanova erlebten wir in der Titelrolle Enttäuschungen. Im Dezember 2011 hörten wir Meagan Miller als überzeugende Daphne, sie konnte jedoch ihren Erfolg ein Jahr später als Ariadne nicht fortsetzen. Auch Gun-Brit Barkmin ließ uns das Dreigestirn Rysanek-Janowitz-Faulkner nicht vergessen.

Valentina Nafornita, (c) wikipedia

Wenn zum Schluss  die Stimmen schweigen und das Orchester den wunderbaren symphonischen Schluss spielt, ist die Wirkung bei jeder Aufführung anders. Ein froh machendes, ein beglückendes, manchmal ein selig machendes Erlebnis.

Schön ist es, eine Oper mit immer reiferen Augen erleben zu dürfen. Als Fünfzehnjährige(r), Dreißigjährige(r) ist man für viele Dinge noch blind. Kann man als Jugendlicher, um ein Beispiel zu geben, die Aussprache Wotans mit Brünnhilde wirklich schon begreifen. Heute schämen wir uns nicht mehr unsere Rührung zuzugeben, wenn wir in der Schlussszene hören: „Ich sage dir, nun hebt sich erst das Leben an für dich und mich.“

Lothar und Sylvia Schweitzer, 3. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

„Ariadne auf Naxos“, 1. Teil, erschien gestern, 2. Mai 2020.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de:Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Meine Lieblingsoper 21: „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss, Teil 1 Wiener Staatsoper

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