„Die Zauberflöte“ an der Staatsoper Hamburg, Inszenierung: Jette Steckel. Foto: © Arno Declair (Zuschnitt)
Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.
von Ralf Wegner
Mozarts Opern begleiten einen ein Leben lang. Così fan tutte versteht man erst mit fortgeschrittener Lebenserfahrung, beim Figaro wechseln die Sympathien je nach eigener Lebenssituation und die Zauberflöte begreift man nie. Es ist ein außerordentlich langes Stück, man wundert sich, wie gut es dabei die Kinder auf ihren Plätzen aushalten. Es gibt so viele retardierende Momente, etwa die Passagen mit den drei Knaben. Ständig tauchen Fragen auf, wieso flieht Pamina nicht, wenn Papageno sie findet? Wie hat sich Monostatos eigentlich in den Heiligen Hallen halten können? Warum hält ein weiser Mann wie Sarastro die junge Pamina gefangen? Warum hat er sie ihrer Mutter entführt? Warum mutet Tamino seiner Pamina zu, dass sie an seiner Liebe verzweifeln darf und sich der Todessehnsucht hingibt?
Die Fragen lassen sich nicht beantworten, man nimmt es wie es ist, nämlich im übertragenen Sinne, auch weil es musikalisch in sich schlüssig und eigentlich alles unverzichtbar ist. Es gibt drei Paare, den so weisen Sektenführer Sarastro (Bass) und die rachsüchtige Königin der Nacht (Koloratursopran), die vielleicht seine Frau gewesen ist?, den etwas tumben Tamino (Tenor) und der Liebreiz in Person, die ihm ergebene aber nicht blöde Pamina (lyrischer Sopran) sowie den Realisten und Überlebenskünstler Papageno (Bariton) mit der ihm gleichgestellten Papagena (Sopran). Anspruchsvoll zu besetzen sind auch noch die Rolle des Sprechers (tiefer Bariton), des Ersten Geharnischten (möglichst Heldentenor) und der drei Damen (Sopran, Messzosopran).
Sarastro und die nächtliche Königin sind nicht nur die narrativen Antipoden in diesem Stück, sondern sie reizen auch die Spannweite der menschlichen Gesangsstimme voll aus. Er geht hinunter bis zum F, sie hinauf bis zum dreigestrichenen f. Dabei haben sie eigentlich nicht viel zu singen, im wesentlichen jeder zwei Arien, die es aber in sich haben und einmal gehört, im kulturellen Gedächtnis für immer verbleiben, vor allem die koloraturgespickten Arien der Königin der Nacht: „Oh zittre nicht mein lieber Sohn“ im ersten und „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ im zweiten Aufzug.
Sarastro hat Bedächtigeres zu singen, allerdings erst im zweiten Aufzug: „Oh Isis und Osiris“ sowie „In diesen Heiligen Hallen kennt man die Rache nicht“. Auch Tamino und Pamina haben ihre Arien, Tamino im ersten Akt mit „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ und Pamina mit dem seelenvollen „Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden“. Die Liebe des Publikums und der Kinder gehört natürlich Papageno mit seinem Auftritt als „Der Vogelfänger bin ich ja“ und dem Duett mit Papagena, fast am Ende der Oper, beginnend mit „Pa-Pa-Pa-Pa-Pa“. Und das sind nur die sängerischen Höhepunkte; daneben hat Mozart noch eine Vielzahl schöner Noten für Duette und die anderen Protagonisten komponiert.
Sarastro muss Klang und Dominanz in der Tiefe zeigen, die nächtliche Königin darf in der Höhe nicht nur Piepsen. Unter den sehr guten Sängern des Sarastro wie Franz Crass (1965), Hans Sotin (1967) und Harald Stamm (1977-2001) war Kurt Moll (1975-1994) jener mit der profundesten Tiefe und der notwendigen Schallstärke. Sein sonor klingender balsamischer Bass ging unter die Haut. Einen Sarastro wie Kurt Moll habe ich seitdem nie wieder gehört. Simon Yang, den Simone Young ins Hamburger Ensemble geholt hatte, hätte sein Nachfolger werden können. Molls Schüler soll er ja gewesen sein. Leider hat es diesen Sänger nicht lange auf der Bühne gehalten.
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Die Königin der Nacht wurde am Hamburger Haus am häufigsten von Hellen Kwon (1988-1999) und das mit großer Brillianz gesungen. Auch Lucia Popp (1967) und Diana Damrau (2001) beeindruckten mit dieser Partie. Als stimmlich wunderbare Paminen sind die US-amerikanische Sopranistin Helen Donath (1965, 1977), Edith Mathis (1975), Judith Blegen (1982), wieder Lucia Popp (1982) und vor allem die ebenfalls aus den USA stammende Barbara Bonney (1988-1994) zu erwähnen. Mittlerweile ist mir die Pamina vom Stimmlichen her die wichtigste Rolle in Mozarts Zauberflöte. Wenn diese sehr gut besetzt ist, stören mich schwächere Leistungen der anderen Sängerinnen und Sänger nicht mehr so sehr.
Mit dem Tamino ist es schon schwieriger, das mag auch an der wenig selbstbestimmten Rolle liegen. Obgleich Prinz, zeigt er wenig Dominanz, hängt seine Fahne eher in den Wind, ist extrem beeinflussbar und hat Pamina eigentlich nicht verdient. Einen wirklich guten Tamino habe ich eher selten gehört, das waren 1988 Kurt Streit, 1994 Rainer Trost und 2016 Dovlet Nurgeldiyev.
Papageno macht einfach mehr her, er lässt sich nicht mit den Mächtigen ein und nimmt den Tag so, wie er kommt. Außerdem ist er gewissermaßen der Handlungsführer und erhält fast regelhaft den meisten Beifall wie 1975 der der Rolle schon etwas entwachsene Hermann Prey (1975), vor allem der damals 27-jährige, aus Kopenhagen stammende Bariton Mikael Melbye (1982) sowie Urban Malmberg (1991, 1994) und auch Lauri Vasar (2012).
Zwischen 1988 und 1994 sang Heinz Kruse den 1. Geharnischten. Während dieser Zeit ließ sich beobachten, wie sich aus einem sogenannten Tenorbuffo ein Heldentenor entwickelte, den man nach einer Zauberflötenaufführung nicht mehr vergaß. 1994 erlebte ich ihn als unvergesslichen Siegfried und ein Jahr später als Tristan.
Während in den 1960/70er Jahren an der Hamburgischen Staatsoper drei verschiedene Zauberflöten-Inszenierungen zu sehen waren (Günther Rennert, Peter Ustinov, Götz Friedrich), dominierte Achim Freyer die nächsten 3 Jahrzehnte das Zauberflötengeschehen, er war für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich. Freyer durchbrach das Feierliche, Patriarchalische dieses Zaubermärchens und stellte die Handlungen Sarastros bloß. Kurt Moll steckte er mit übermäßig nach oben verlängertem Schädel in eine mehrere Meter hohe Figur, um Sarastros Macht zu charakterisieren. Im Zwiegespräch mit Pamina führte Sarastro diese mit knapp 2 Meter hoher Hand über die Bühne, man sollte sich denken, was ihm an der Tochter der Rivalin lag. Vielleicht war es auch nur der väterliche Beschützerinstinkt, um die möglicherweise eigene Tochter zu sich hinüberzuziehen? Die Zauberflöte gibt Rätsel auf und löst sie nicht. Deshalb sind viele Interpretationen möglich.
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Jette Steckel, für die aktuelle Inszenierung verantwortlich, entzieht sich den zahlreichen offenen Fragen. Sie eliminiert weitgehend den Librettotext und lässt die Arien ohne Zwischenhandlung absingen, häufiger aus dem Off oder dem Orchestergraben. Am liebsten hätte sie wohl die Königin der Nacht und Sarastro ganz gestrichen und sich auf das Trio Pamina, Tamino und Papageno konzentriert. Steckel schildert letztere als Jugendfreunde, die sich des Abbildes eines Mädchens wegen auf eine jahrzehntelange Abenteuerreise begeben. Tamino altert währenddessen, erreicht eigentlich nichts, während Papageno, jugendlich zurückverwandelt, seine Papagena erringen darf.
Mitunter entstehen wegen des gestrichenen Textes sogar peinliche Pausen. So verpufft Paminas G-Moll-Arie „Ach ich fühl’s“; nicht wegen mangelnder Stimmqualität, sondern fehlender inhaltlicher Einbettung der Arie in die Handlung. Letztlich wurden die Sängerinnen und Sänger von Steckel allein gelassen, sie konnten kaum Emotionen entwickeln, abgesehen von dem Wiedersehen Tamino/Pamina nach Jahrzehnten, als Christina Gansch (2016) berührende und beglückende Töne gelangen. Da half insgesamt auch das durchaus schöne und romantische, durch Video und Lichtprojektion ergänzte Bühnenbild von Florian Lösche nicht wirklich.
Ralf Wegner, 08. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ich habe 1949 in Würzburg eine leichte Narkolepsie und Kataplexie erlitten und habe seitdem keinen Schutzfilter mehr, den sonst alle anderen haben. Das Fehlen dieses Filters bewirkt, dass ich bei guter Musik ein Glückszittern erfahre und das ist so intensiv, dass ich mich sofort hinsetzen muss, weil ich sonst auf den Boden falle und dann für einige Zeit unansprechbar bin. Bei der g-moll Arie der Pamina (ich hätte gern einmal die italienische Version gehört) gibt es die wirklich ausgezeichnete Interpretation von Genia Kühmeier. Da gab es immer anhaltenden Sonderapplaus. August Everding hätte sie interviewen sollen. Er ist einer der ganz Wenigen, die wissen, dass die großen Komponisten ihre Musik nur kopiert haben, dank eines vorgeburtlich erhaltenen Schlüssel in die uns verschlossene Welt der Musik. Das dort Gehörte haben sie kopiert und in Noten festgehalten.
Diese Welt der Musik wurde von unserer Mahashakti (bei uns als Mutter Gottes bekannt) geschaffen.
Johann Georg Blomeyer