„Tosca“ in der Wiener Staatsoper, Foto: (c) M. Pöhn
Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner und Klassik-Connaisseur Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.
von Ralf Wegner
Was ich nie geschafft habe, ist, die Oper Tosca gedanklich von dem gleichnamigen Kölnisch Wasser zu trennen. Der Begriff Tosca war immer gleichbedeutend mit einer im Alter etwas vorgerückten, von einer Parfümwolke umhüllten Dame, die sich leicht exzentrisch gibt. Wie man liest, soll das seit 1921 so genannte Parfüm tatsächlich eine Art Hommage an Puccinis Oper sein. Allerdings dürfte Puccinis Tosca deutlich jünger gedacht sein, als das für die Dame ab 50 beworbene Kölnisch Wasser. Was für beide gilt, ist allerdings die Aura einer divenhaften Grande Dame.
Das Divenhafte lag besonders Angela Gheorghiu (2018), welche diese Rolle mehr lebte, als dass sie sie spielte. Mit ihrer glutvollen und schallstarken, in allen Lagen rund und schön, auch in den dramatischen Ausbrüchen rein und klar klingenden Stimme sowie ihren lang gehaltenen, schließlich langsam verhauchenden Piani scheint sie heute in dieser Rolle unübertrefflich zu sein. Besser noch als die eigentlich in allen ihren Bühnenrollen überzeugende Anja Harteros, die ich im Frühjahr dieses Jahres in München als Tosca hörte. Anders als Gheorghiu ist Harteros für mich stimmlich weniger greifbar, darstellerisch eher verletzlich wirkend und ohne das exaltiert Primadonnenhafte, das geradezu Besitzergreifende von Tosca im Verhältnis zu Cavaradossi.
Viele große Sängerinnen versuchten sich an der Tosca und gaben ihr Bestes wie Sena Jurinac, die ich 1965 als erste Tosca hörte, oder Raina Kabaivanska und die auch als Tosca großartige Leonie Rysanek, weiterhin Maria Guleghina sowie, mit der ihr eigenen darstellerischen Kompetenz, Gabriele Schnaut oder Adrianne Pieczonka. Die Krone gebührte allerdings der Budapester Sopranistin Eva Marton, die über eine unvergleichliche Bühnenausstrahlung verfügte. Schon das Bewegen ihres kleinen Fingers – im übertragenen Sinne – reichte aus, um das Publikum völlig in den Bann zu ziehen. Mit ihrer großen, raumfüllenden und dennoch klaren und schönen Stimme beherrschte sie stets die Szene, was nicht heißt, dass sie den Cavaradossi von Giacomo Aragall (1980) oder Franco Bonisolli (1984), beide Male mit Ingvar Wixell als Scarpia, an die Wand sang. Vielmehr steigerten sich diese an der grandiosen Leistung der ungarischen Sängerin.
Vom Schöngesang her hat Puccini vor allem den Part des Cavaradossi bedacht. Gianni Raimondi sang ihn 1973 in Hamburg. Auch Neil Shicoff (1995) war ein großartiger Cavaradossi, dessen Arie zu Beginn des dritten Aktes „E lucevan le stelle“ unter die Haut ging. 2007 und am 10. Juni 2011 überzeugte mich der nach einem Unfall wenige Wochen später im Alter von nur 43 Jahren verstorbene italienische Tenor Salvatore Licitra als Cavaradossi, 2012 in München Jonas Kaufmann und in diesem Jahr Joseph Calleja. Letzteren habe ich nie besser gehört. Seinen Stimmkern umringt ein leicht flirrendes, fast glitzerndes Vibrato, an dem er leicht zu erkennen ist. Die Stimme hat Kraft, bleibt auch im Forte schön, ebenso im Abschwellen zum Piano; und mit welch ergreifenden Stimmfärbungen konnte Calleja die Gefühle des liebenden und werbenden Malers ausdrücken. Auch Riccardo Massi konnte sich als Cavaradossi 2018 nach anfänglichen Schwierigkeiten noch beeindruckend steigern.
Im Gegensatz zu manchen seiner anderen Opern hat Puccini mit der Figur des Scarpia auch einer dritten Partie volle Aufmerksamkeit geschenkt. Mit der Oper Tosca erlebt man deshalb auch nie einen Reinfall, denn ohne zumindest einen Star funktioniert dieses Werk nicht. Am eindrucksvollsten war für mich immer Ingvar Wixell als Scarpia, dessen Darstellung des bösartig-sadistischen Barons nicht ohne Würde blieb. Tito Gobbi gab dieser Rolle Profil und später über mehrere Jahre Franz Grundheber mit Betonung des Dämonischen und 2018 Franco Vasallo mit einer gefährlich-bösartigen Präsentation. Erwin Schrott (2020) verfügte als Scarpia zwar über eine kräftige, sonore und schöne Stimme, das bösartig Dekadente, Brutale und Hinterhältige dieser Figur wurde bei ihm aber weder stimmlich noch darstellerisch deutlich. Die Furcht Toscas vor diesem nicht nur gut aussehenden, sondern auch noch angenehm singenden Baron verlor dadurch an Glaubwürdigkeit. Beim “Va Tosca“ am Ende des ersten Aktes sollte der Sänger des Scarpia das Orchester und den Chor noch übertrumpfen. Das gelang nicht allen Sängern. Wider Erwarten auch nicht Ambrogio Maestri 2017. Es fehlte ihm an ausreichender Schallstärke sowie einem gewissen Maß an Brutalität in der Stimme.
Tosca ist aus verschiedenen Gründen inhaltlich eine eher zeitgebundene Oper. Sie spielt an zwei Tagen im Jahre 1800 während der Eroberung Norditaliens durch napoleonische Truppen. Rom ist derweil noch unter Verwaltung des von den Österreichern unterstützten Königreichs Neapel. Der Maler Cavaradossi (Arie „Recondita armonia“) verhilft dem aus der Engelsburg entflohenen Republikaner Angelotti in der Kirche Sant‘ Andrea della Valle zur Flucht. Die Geliebte Cavaradossis, die Sängerin Floria Tosca, erscheint in der Kirche und macht dem Maler eine Szene wegen der Ähnlichkeit der von diesem portraitierten Madonna mit einer vermeintlichen Konkurrentin. Der Polizeichef Scarpia erscheint, und weckt in Tosca erneut die Eifersucht. Der 1. Akt endet mit dem chormächtigen „Te Deum“ und Scarpias Arie „Va Tosca“. Cavaradossi ist verhaftet und wird im Palazzo Farnese gefoltert. Die von Scarpia dort vorgeladene Tosca erträgt Cavaradossis Schmerzensschreie nicht und verrät Angelottis Versteck. Um sich und ihren Geliebten zu retten, will sich Tosca dem Polizeichef hingeben (Arie „Vissi d’arte“), ersticht diesen jedoch bei dessen Annäherung (2. Akt). Auf der Engelsburg wartet Cavaradossi auf seine Hinrichtung (Arie „E lucevan le stelle“). Tosca erscheint und teilt ihm mit, Scarpia hätte sich auf eine Scheinhinrichtung eingelassen. Als Cavaradossi dennoch erschossen und der Mord an Scarpia aufgedeckt wird, stürzt sich Tosca von der Engelsburg (3. Akt).
Der Hintergrund und auch Teile der Handlung sind durchaus politisch. Musikalisch spiegelt sich das aber nicht, wie etwa bei Verdi. So hat Angelotti nahezu keine musikalische Funktion. Anders als bei Verdi konzentriert sich Puccinis Werk auf die Dreierbeziehung eifersüchtige Sopranistin, heldenhaft-liebender Tenor und brutal-hinterhältiger Bariton. Aber das ist musikalisch und dramaturgisch grandios herausgearbeitet.
Ralf Wegner, 11. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at