Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.
Foto: Birgit Nilsson
von Dr. Ralf Wegner
Unter den Strauss-Opern ist mir Elektra die liebste, danach folgen Salome und lange Zeit gar nichts. Es geht dann weiter mit Ariadne auf Naxos und der Frau ohne Schatten sowie Der Rosenkavalier und Arabella. Mehr Strauss-Opern habe ich in all den Jahrzehnten nicht gesehen und auch wenig Lust verspürt, meine diesbezüglichen Kenntnisse zu erweitern. Der Rosenkavalier und Arabella sind ja sehr berühmt und verlocken schon vom Namen her. Inhaltlich halte ich beide Opern für problematisch, vor allem Arabella, muss aber gestehen, dass sie muskalisch bei gesanglich guten Besetzungen, und das ist häufiger der Fall, schon gefallen können. Zurück zur Elektra. Schon das antike Thema mit der Atridentochter, die auf Rache für ihren ermordeten Vater sinnt, ist hochdramatisch. Ausgeblendet wird, dass Klytämnestra schon einen Grund hatte, sich gegen ihren Mann Agamemnon zu wenden. Denn dieser hatte die Tochter Iphigenie aus Staatsraison geopfert. Und auch Orest, der Muttermörder, kommt schließlich nicht ungeschoren davon.
Hugo von Hoffmannsthal, dessen Texte mir sonst für Oper als überkomplex erscheinen, hat hier einen großen Wurf gelandet, den Strauss dann genial vertont hat. Schon der Beginn mit den musikalischen Hammerschlägen des Agamemnonmotivs führt gleich ins Zentrum des Dramas. Der Ruf der Mägde „Wo bleibt Elektra? Ist doch ihre Stunde, wo sie um den Vater heult, dass alle Wände schallen“ bleibt im Gedächtnis haften. Und dann erst Elektras Einsatz mit „Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort, hinabgescheucht in seine kalten Klüfte“ und der nachfolgenden Anrufung des Geistes ihres Vaters „Agamemnon! Agamemnon! Wo bist du, Vater“ mit den zwei kurzen Noten auf Aga, dem Sprung nach oben und dem Tonhalten bei mem und dem nachfolgenden Sprung in die Tiefe bei non – was für ein Beginn einer musikalischen Sequenz, die man eine Arie nicht nennen mag. Das ist von Strauss großartig vertont. Später beeindruckt Chrysothemis mit ihrer lebensbejahenden, fast pragmatischen Einstellung zum Leben („Ich habs wie Feuer in der Brust….Kinder will ich haben“).
Je älter man wird, desto größer wird das Mitleid und das Verständnis für Klytämnestra, die von den Erinnerungen gequält wird und an ihre Tochter nicht mehr herankommt; was für eine großartige Rolle für eine lebenserfahrene, aber noch nicht tonlos gewordene Sängerin am Herbst ihrer Karriere. Orest hat nicht viel zu singen, er berührt mit „die Hunde auf dem Hof erkennen mich, und meine eigene Schwester nicht?“ Danach folgt, wenn Elektra ihn erkennt, eine der schönsten Opernszenen überhaupt, beginnend mit ihrem vierfachen Ruf: „Orest!….Orest! Orest! Orest! Es rüht sich niemand“; schließlich ihr Entsetzen „Ich hab ihm das Beil nicht geben können“ und ihr dramatischer, mit Herzversagen endender Triumphtanz „Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins: schweigen und tanzen!“
Es gibt wohl keine Oper, nach der ein solcher Jubelsturm ausbricht, wenn großartige Sängerinnen unter einem großen Dirigenten Großes geleistet haben. Das war am 14. Dezember 1973 so, als August Everdings eindrucksvolle, immer noch aktuelle Inszenierung in Hamburg premierte. Es sangen Astrid Varnay (Klytämnestra), Birgit Nilsson (Elektra) und Leonie Rysanek (Chrysothemis) unter der Leitung Karl Böhms. Besser geht es nicht und es war auch vorher und später nie besser. Birgit Nilsson wiederholte ihren triumphalen Erfolg noch 1981 und 1982 mit Helga Dernesch und erneut mit Astrid Varnay als Klytämnestra sowie Arlene Saunders und Gwyneth Jones als Chrysothemis. Nilssons Elektra hatte ich auch schon 1971 in Hamburg erleben dürfen mit Regina Resnik als Klytämnestra sowie Leonie Rysanek als Chrysothemis.
1968 hörte ich Astrid Varnay in der Rolle der Elektra, 1965 sowie 1966 Amy Shuard und Gladys Kuchta, in beiden Aufführungen mit der großartigen Martha Mödl als Klytämnestra. 1987 sang Gwyneth Jones die Elektra mit einem etwas störenden Vibrato, aber sehr überzeugender Darstellungskraft, Christa Ludwig trat als sehr schönstimmige Klytämnestra auf. Gabriele Schnaut ieß 1995 mit ihrer Leistung als Elektra für wenige Momente an Birgit Nilsson denken; 2003 sang sie diese Rolle noch einmal, ihre Stimme hatte da aber schon ihren Zenit deutlich überschritten. Eine großartige Klytämnestra lenkte davon ab, es war Hanna Schwarz. Im selben Jahr reüssierte noch Eva Marton als Elektra. Angetan war ich von Lise Lindstroms eher heller, gut über dem Orchester liegenden Stimme als Elektra (2015), später als Brünnhilde fehlte mir dann aber der Klangreichtum in der Mittellage. Viel hatte ich von Agnes Baltsa (2015) als Klytämnestra erwartet, diese einstmals großartige Sängerin konnte den Part aber fast nur noch deklamieren. Auch für die kurze Rolle des Orest waren zumeist hervorragende Sänger engagiert worden, so Hans Sotin (1966 und 1987), Franz Crass (1968), Theo Adam (1971) und Franz Grundheber (1995-2007).
Jetzt im Mai sollte es eine Neuinszenierung an der Staatsoper Hamburg der Elektra geben, mit Elena Pankratova als Elektra, Violeta Urmana als Klytämnestra und Jennifer Holloway als Chrysothemis sowie Lauri Vasar als Orest. Sie wird wohl nicht stattfinden, vielleicht aber die nächsten Aufführungen im April 2021.
Dr. Ralf Wegner, 18. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Guten Tag, Herr Dr. Wegner!
Das war ein schöner Bericht für mich. Alle erwähnten Sängerinnen und Sänger in
den „Elektra“-Aufführungen konnte ich mit erleben und mich gut erinnern. Deborrah Polaskis Elektra fehlte bei Ihren Besuchen. Aber da hatte sie ihren Zenit schon überschritten.
Hans-B. Volmer