Meine Lieblingsoper, Teil 2:“Il trovatore“ („Der Troubadour“) von Giuseppe Verdi
Foto: Il Trovatore – Der Troubadour, Wiener Staatsoper, Michael Pöhn (c), Anna Netrebko
von Dr. Ralf Wegner
Bei den italienischen Opernkomponisten steht bei mir Verdi an erster Stelle. Seine Melodien greifen unmittelbar an die Seele und geben Zugang zur Psyche seiner Opernfiguren. Dabei sind Handlung und Text oft nebensächlich, wie beim „Troubadour“. Der narrative Inhalt dieser Schaueroper ist wirr, deshalb scheitern auch die Regisseure und Bühnenbildner. Insgesamt habe ich zwischen 1966 und 2018 in 8 verschiedenen Bühnenbildern / Inszenierungen 23 Aufführungen und eine konzertante Produktion gesehen, keine davon blieb mir positiv in Erinnerung.
Verdi war jemand, der alle Stimmfächer opulent bedachte und den Chor dazu, so auch beim „Troubadour“: Eine dem wohlwollenden Bariton (Luna) versprochene Sopranistin (Leonora) lässt sich mit einem durchs Land ziehenden, schmalzigen Tenor (Manrico) ein und opfert sich für diesen. Parallel dazu ringt eine Altistin/Mezzosopranistin (Azucena) mit dem Wahnsinn ob ihres versehentlich getöteten Kindes. Ein Bass (Ferrando) spielt auch noch mit, hat aber nur in den Hintergrund der wirren Geschichte einzuführen. Eine tragende Rolle kommt ihm nicht zu. Wie fast immer bei Verdi geht es auch im „Troubadour“ um bedingungslose Liebe und Eifersucht.
Verdis „Troubadour“ verlangt viel, wenn nicht Außerordentliches von den Sängerinnen und Sängern, das Scheitern an den musikalischen Anforderungen ist daher nicht selten, sondern oft die Regel. Welches Glück, wenn es gelingt. Denn für den angeblich bösen Luna hat Verdi mit „Il balen del suo sorriso“ eine der schönsten Liebesarien überhaupt geschrieben. Warum Leonora nicht ihm, sondern der Trompete Manrico folgt, bleibt ein weibliches Rätsel.
Wahrscheinlich ist es die Trompete. Diese muss aber auch trompeten können. Wenn der Tenor nicht sicher beim hohen C ist, wie z. B. Jonas Kaufmann 2013 in München und beim „All’armi“ im Chor untergeht, oder wie Roberto Alagna (2018 in Paris) am hohen Ton scheitert, eine Wiederholung erzwingt und nochmals scheitert, oder (Yusif Eyvazov 2017 in Wien) der Trompetenton zwar kommt, der Klang der Stimme aber erschauern ließ, hilft manchmal auch die schönste Leistung der anderen nicht mehr. Bei den genannten Aufführungen überzeugten nur Luciana D’Intino (Wien) und Ekatarina Semenchuk (Paris) jeweils als Azucena, alle anderen Protagonisten nicht. Jemanden wie Placido Domingo (Hamburg 1968) und vor allem der schönstimmige, schallstarke und höhensichere, aber auch sehr extrovertiert auftretende Franco Bonisolli (Hamburg 1980/82) gibt es heute wohl nicht mehr. Lando Bartolini war gut als Manrico (1989 bis 1994), von Carlo Cossutta waren 1991 nur noch Reste der Stimme vorhanden. Ich hatte ihn auch schon 1975 als Manrico gehört, erinnere mich an seine gesangliche Leistung aber nicht mehr. Der letzte von mir gehörte akzeptable Manrico war Murat Karahan (2014), der es allerdings in dem nicht so großen Opernhaus von Riga akustisch etwas leichter hatte.
Auch Leonora ist eine schwierige Partie. Sie hat auch zwei große Arien zu singen, in der ersten („Tacea la notte placida“) kommt es auf die großen Gesangsbögen an, in der zweiten „D’amor sull‘ali rosee vanne“ auch auf Koloraturfähigkeit. Wunderschön an- und abschwellende Bögen gelangen immer Michèle Crider (1993, 1994 und 1997), derentwegen sich schon allein der Besuch der Oper lohnte. Gut waren auch Luisa Bosabalian, Montserrat Caballé, Martina Arroyo, Julia Varady und Eva Marton. In den letzten 20 Jahren habe ich eine wirklich gute Leonora aber nicht mehr gehört. Bei einer Fernsehübertragung beeindruckte mich zwar Anna Netrebko mit dieser Partie, allerdings lässt sich eine gesangliche Leistung meiner Meinung nach nur aus dem Zuschauerraum heraus beurteilen.
Wenn ich mich recht erinnere, war Vladimir Ruzdak (1968) ein guter und Giorgio Zancanaro, der auf den Luna fast abonniert war, ein sehr verlässlicher Luna, ebenso wie Harald Stamm als Ferrando. Leider habe ich, entgegen meiner Einnerung, Sherill Milnes doch nicht als Luna gehört, dafür aber Leo Nucci, der ja immer ein überzeugender Sängerdarsteller war. Wie bereits erwähnt hat man mit der Azucena meist Glück. Einen wirklichen Ausfall gab es bei den 24 Aufführungen nicht, von vielleicht zwei Ausnahmen abgesehen. In Erinnerung blieb mir vor allem Maria Elisabetta Fiorillo, die ich zwischen 1994 und 1997 fünfmal erleben durfte. Es war weniger der Schönklang ihrer Stimme, als vielmehr ihre dramatische, dem Thema des Kindstods angemessene, ungemein fesselnde Rollengestaltung, mit der sie die Azucena ganz in den Vordergrund rückte. Gesanglich überragende Leistungen waren auch von Fiorenza Cossotto (1974) und von Jelena Obraszowa (1980) zu hören gewesen. Azucenas Kerkerlied „Ai nostri monti“ gehört überhaupt zum schönsten, was die Opernliteratur zu bieten hat, ebenso das mitreissende Duett Luna / Leonora „Udiste?“ („Vernehmt ihr? Wenn es tagt, sei dem Beil er verfallen“) im vierten Akt, bei dem die Komposition fast nach Versönung klingt, aber das Gegenteil eintritt.
Es stimmt schon, dass der „Troubadour“ die jeweils zwei besten Sängerinnen und Sänger der Welt erfordert, wie es Enrico Caruso gesagt haben soll. Das ist heute aber wohl kaum noch zu schaffen, selbst für die großen Opernhäuser nicht.
Ralf Wegner, 6. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ein sehr schöner Beitrag,
mich haben zuletzt live in Wien Anna Netrebko, Roberto Alagna, Lucia d‘Intino und Ludovico Tezier mehr als beeindruckt. Schade, dass damals der schwache M. Amiliato daraus nur ein langweiliges „Vergnügen“ machte.
Negativ in Erinnerung blieb mir die trottelhafte Inszenierung damals bei den Wiener Festwochen, die offenbar Berlin erben durfte.
Die beste Leonore aller Zeiten ist nach wie vor Leontyne Price, die ich 1977 in Salzburg und Wien sehen konnte.
Am 8. Mai 1977 war wohl die allerbeste Aufführung meines Lebens mit Price, Pavarotti, Cappuccilli und Christa Ludwig.
Auch Raina Kabaivanska war ein Jahr später großartig; doch L. Price ist bis heute das Maß aller Dinge.
Herbert Hiess