Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 9. Januar 2018
Michael Schade Tenor, Regie
Christiane Karg Sopran
Malcolm Martineau Klavier
Sunnyi Melles Lesung
Oliver Láng Buch
von Jürgen Pathy
Ist es möglich einen Liederabend ergreifender zu gestalten als am Dienstagabend im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses? Es ist stark zu bezweifeln. Unter dem Motto „Licht und Liebe“ erlebten die Besucher einen beeindruckenden, szenisch dargebotenen Liederabend – Lesung von Briefen und Schriften Clara und Robert Schumanns inklusive.
Als erste Person betritt der renommierte schottische Liedbegleiter Malcolm Martineau, 57, den verdunkelten Saal, setzt sich an den edlen Steinway-Flügel und beginnt zu spielen; weit und breit keine Spur vom restlichen Staraufgebot. Da ertönt aus den hinteren Reihen des Parketts zart und geheimnisvoll die Schumann‘ sche Mondnacht – langsam schreitend, bahnt sich die Silhouette des Kammersängers Michael Schade den Weg aufs Podium.
Auf der Bühne erscheinen nach und nach die weiteren Protagonisten: Sunnyi Melles in einem bodenlangen Reifrock im Biedermeierstil und die bayerische Sopranistin Christiane Karg, klassisch in Schwarz gekleidet. Damit ist die Riege an gefragten Weltstars endgültig vollzählig anwesend – wenn auch noch stumm.
Im Dezember 2017 feierte Christiane Karg, 37, Preisträgerin des Echo-Klassik 2016 und des Brahms-Preises 2018, ihr Debüt an der New Yorker Met als Susanna in Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“. Dass der Wechsel von der Opernbühne zum Kunstlied kein einfacher ist, muss die erfolgsverwöhnte Sängerin an diesem Abend am eigenen Leib erfahren: Trotz regelmäßiger Liederabende bei der Schubertiade Schwarzenberg und in der Londoner Wigmore Hall zeigt sie kleine Schwächen – teilweise mangelt es an der klaren Aussprache, angestrengt gepresst wirkt die ein oder andere Passage. Dennoch hinterlässt die Sängerin aus Feuchtwangen einen durchaus positiven Gesamteindruck.
Mit durchgehend ergreifendem, farbenfrohem Gesang fasziniert der kanadisch-deutsche Startenor Michael Schade, 52, der an diesem Abend auch für die Regie verantwortlich zeichnet – sowohl Gesang, Schauspiel als auch Inszenierung eine ergreifende Meisterleistung. Der gefragte Mozart-Tenor hat sich offensichtlich intensiv mit der dramatischen Lebens- und Liebesgeschichte des Liederfürsten Robert Schumann und dessen Frau Clara Schumann auseinandergesetzt. Schade ist achtfacher Vater in einer Patchwork-Familie – auch die Künstlerfamilie Schumann war mit acht Kindern gesegnet und tourte regelmäßig durch Europa.
Dass ein kurzfristiges Jonglieren zwischen Opern- und Operettenarien und Kunstlied für einen erfahrenen Künstler kein Problem darstellen muss, beweist der in Genf geborene Ausnahmesänger – vor wenigen Tagen erst gastierte er als Gabriel von Eisenstein in der „Fledermaus“ (Johann Strauss) an der Wiener Staatsoper. Beim Lerchengesang (Johannes Brahms) und bei Dein Angesicht, so lieb so schön (Robert Schumann) sorgt er mit seinen sauberen, samtweichen Pianissimo-Tönen für die emotionalen Gesangshöhepunkte.
Für die literarisch-poetischen Ergüsse sorgt eine Grande Dame aus Film und Theater: Mit der Schweizer Schauspielerin Sunnyi Melles, 59, hat sich das Musikergespann hochkarätige Verstärkung auf die Bühne geholt. Mitreißend authentisch erweckt sie mit ihrer Lesart das Liebespaar zu neuem Leben; einerseits feucht-fröhlich, wenn Robert seiner Clara tollpatschig ihren zukünftigen Bierkonsum hoch– und verrechnen möchte, andererseits zu tiefst herzergreifend, wenn sie Claras Antwort rezitiert, nachdem Robert die Liebe mit einem einfachen „Ja“ bestätigt wissen will: „Nur ein einfaches Ja verlangen Sie? So ein kleines Wörtchen – so wichtig! Doch – sollte nicht ein Herz so voll unaussprechlicher Liebe wie das Meine, dies kleine Wörtchen von ganzer Seele aussprechen können? Ich thue es und mein Innerstes flüstert es Ihnen ewig zu.“
Bevor zum krönenden Abschluss dieses unvergesslichen Abends die Mondnacht von Johannes Brahms ihren romantischen Schleier ausbreiten darf, scheint es, als wollten die Götter noch ein Zeichen setzen: Während Melles aus dem Tagebuch der Witwe Clara den Satz „Mir war, als schwebte sein Geist über mir“ zitiert, schwebt eine weiße Daunenfeder von der Decke des Mozart-Saals.
Der letzte Ton und das Licht erlöschen, und im Geiste des Brahms’schen Liedes „Und die Lerche sie schweigt nun auch“ hält das Publikum still inne, lässt diesen zu Tränen rührenden großen Moment ausschwingen. Es folgt lautstarker minutenlanger Applaus mit vielen Bravi.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 11. Januar 2018, für
klassik-begeistert.at