Gustav Mahler – von den Anfängen zur späten Schaffensperiode. Die „9. Symphonie“ als Abschiedssymphonie?

Münchner Philharmoniker – Gergiev, Gustav Mahler, Philharmonie im Gasteig, München, 15. Dezember 2018

Foto © Kai Bienert
Münchner Philharmoniker – Gergiev, Gustav Mahler

Philharmonie im Gasteig, München, 15. Dezember 2018

Valery Gergiev, Dirigent
Anna Lucia Richter, Sopran
Tanja Ariane Baumgartner, Mezzosopran
Andreas Schager, Tenor
Münchner Philharmoniker

  Von Anna-Maria Haberberger

Das Konzertprogramm des heutigen Abends bietet eine ungeheure Klangvielfalt: Sachte Tempi, die meditativer nicht sein könnten, energische Wendungen, die das gesamte Orchester zittern lassen sowie filigrane, geniale Klanglinien.

Unter der Leitung des Dirigenten Valery Gergiev bauen die Münchner Philharmoniker eine musikalische Blase auf, von der man als Zuhörer nur träumen kann. Die ersten Töne der 4. Symphonie von Gustav Mahler erklingen, das Publikum verfällt in eine Art Trance. Weiche Färbungen eines hochromantischen Klangteppichs leiten die Symphonie, inspiriert von „Des Knaben Wunderhorn“ – einer Sammlung von Gedichten im Volkston, nach Achim von Arnim und Clemens Brentano –, ein und lassen von Beginn an kontrastierende Passagen zwischen schwelgenden und ernsten Variationen zu.

Die 4. Symphonie Mahlers entstand aus dem Herzstück „Das himmlische Leben“, einem Gedicht von Arnim/Brentano (original: „Der Himmel hängt voll Geigen“). Der Komponist betitelt das Stück gelegentlich als „humoresk“, was musikalisch deutlich hervortritt. Der Einsatz kleiner, skurriler Elemente, die für gewöhnlich so gar nicht zur sonst klischeehaft-romantischen Musik des frühen Mahlers passen, lassen vielschichtige, komische Momente zu, die vom Orchester perfekt umgesetzt werden und der Musik einen gewissen romantisch-komischen Zauber verleihen.

Wohingegen der 1. Satz schwelgender nicht sein könnte, verspricht der 2. Satz weitaus mehr spätromantische Komponenten. Die näselnde Oboe verbunden mit der stichelnden ersten Violine fügt dem Satz eine ordentliche Prise Genialität zu. Gergiev dirigiert diese filigranen Momente überzeugend und überträgt in großen Bewegungen hohe Emotionen auf das Orchester und den beobachtenden Zuhörer. Einen sanften Fluss, der niemals aufzuhören scheint, bietet der dritte Satz, wobei sich einzelne Solopassagen nahezu unbemerkt auf die Klangwellen des Orchesters legen. Pauken und Bläser lassen partiell stürmische Höhen aufkommen, die vom übrigen Orchester besänftigt werden und Emotionen stetig aufbauschen.

© nafez rerhuf

Der 4. Satz steht ganz im Zeichen der jungen Sopranistin Anna Lucia Richter. Ihr heller, engelsgleicher Sopran legt sich sanft auf das instrumentale Klangbett, wunderbar intoniert und in die Atmosphäre des Stückes eingegliedert, schwebt sie über den Sphären von Mahlers Komposition.

Doch ihre zierliche Art macht sich auch in ihrer Gesangstechnik bemerkbar, und so fehlt es ihr etwas an Kraft, um gegen das Orchester anzukommen. Ihre Stimme scheint weit entfernt und ist nicht sonderlich prägnant. Dennoch schön interpretiert und im großen Ganzen in die natursphärischen Melodien der Komposition einfügend.

Blickt man zurück auf die große musikgeschichtliche Vergangenheit, lässt sich erkennen, dass es kein Komponist je über eine 9. Symphonie hinausgeschafft hat. Für Mahlers eigene Situation bedeutete es dies: Nachdem er die 8. Symphonie abgeschlossen hatte und sich an die nächste machte, musste der abergläubische Komponist befürchten, dass dies sein Schwanengesang würde. „Das Lied von der Erde“ sollte aus diesem Denken heraus nicht als Symphonie betitelt werden, sondern als Liederzyklus mit Untertitel: „Symphonie für eine Tenor- und eine Alt- (oder Bariton-)Stimme und Orchester.“

© David Jerusalem

Der österreichische Tenor Andreas Schager kämpft vor allem in den ersten Minuten stark gegen das Orchester an, weshalb er mehr schreit als singt. Dabei hat er dies keineswegs nötig – nachdem er sich an die Akustik des Konzertsaals gewöhnt hat, brilliert der Sänger vor allem in leisen Passagen und gewinnt spätestens im 3. Satz an Überzeugungskraft. Mit vollem Tenor, der im Vibrato zwar leicht zittert, schwelgt er in der spätromantischen Musik – zwischen meditativ gespenstischen Klängen und energisch kraftvollen Momenten. Das akustische Ungleichgewicht zwischen Sänger und Orchester mag wohl auch an der Wucht des Orchesterapparates liegen. Diese hätte durch Gergiev etwas zurückgenommen werden können.

© Dario Acosta NY

Doch nach dem Auftritt Tanja Ariane Baumgartners, die in ihrem Stimmfach des dramatischen Mezzosoprans überragt, sind alle Unstimmigkeiten der Balance zwischen Sänger und Orchester vergessen. Ihre Stimme – voll, düster, zugleich weich und gekonnt eingefügt in das klangspektrale Umfeld – platziert sich sowohl in Höhen als auch in Tiefen meisterhaft in die Musik. Stets mit tiefgreifenden Emotionen und perfekt im Zusammenklang mit Orchester und Dirigenten, erobert sie sich einen Platz in den Herzen der Zuhörer. Fast erinnert ihr Gesang an Momente Wagner´scher Musik…

Krönender Abschluss mit dem letzten Satz „Der Abschied“ – ob diese düsteren Klänge der tatsächlichen 9. Symphonie Mahlers am Ende des Werkes seinen eigenen Abgesang eingeleitet haben, bleibt ungeklärt. Die Musiker aber übertragen die düstere, naturbetriebene Atmosphäre, die Mahler 1908/09 zu solch wundervoller Musik inspiriert hatte, und den Aberglauben Mahlers fast spürbar auf die Bühne der Münchner Philharmonie. Das Orchester musiziert die im letzten Satz so prägnant umgesetzte Ewigkeit in vollen Zügen und lässt die Zuhörerschaft dabei keinen Augenblick zurück.

Anna-Maria Haberberger, 17. Dezember 2018
für klassik-begeistert.de

3 Gedanken zu „Münchner Philharmoniker – Gergiev, Gustav Mahler, Philharmonie im Gasteig, München, 15. Dezember 2018“

  1. Zitat: „Die Musiker aber übertragen die düstere, naturbetriebene Atmosphäre, die Mahler 1808/1809 zu solch wundervoller Musik inspiriert hatte …“. Mahler also ein Zeitgenosse Beethovens? Nun, dann hätte wohl eher der altehrwürdige Ludwig van zittern müssen, ob denn seine 1824 uraufgeführte Neunte seinen Schwanengesang darstellen würde 😉

    Sei’s drum! Ich bin nun bereits sehr gespannt auf den Auftritt der Münchner Philharmoniker in der Elbphilharmonie am 22. Januar 2019 mit identischem Programm (allerdings wohl mit leicht abgewandelter Besetzung – Genia Kühmeier als Sopranistin). Vielleicht lag es ja an den bekannt schwierigen akustischen Verhältnissen in der Philharmonie im Gasteig, dass der Tenor Andreas Schager hier anscheinend zu Beginn etwas fremdelte? Lassen wir uns überraschen!

    Roland Stuckardt

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