Brangäne (Nebenrolle) überragt Isolde (Hauptrolle): Die Sopranistin Martina Serafin verschreckt Zuschauer in der Elbphilharmonie

Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, Martina Serafin, Yulia Matochkina, Andreas Schager, Miljenko Turk, Mikhail Petrenko,  Elbphilharmonie Hamburg, 20. Januar 2020

Elbphilharmonie Hamburg, 20. Januar 2020
Münchner Philharmoniker
Martina Serafin Sopran
Yulia Matochkina Mezzosopran
Andreas Schager Tenor
Miljenko Turk Bariton
Mikhail Petrenko Bass
Dirigent Valery Gergiev

Foto: Münchner Philharmoniker / Valery Gergiev © Daniel Dittus

Claude Debussy
Le martyre de Saint Sébastien / Sinfonische Fragmente / Fassung für Sinfonieorchester von Désiré-Émile Inghelbrecht
Richard Wagner
Tristan und Isolde / Zweiter Aufzug

von Andreas Schmidt

Es hätte einer der Höhepunkte dieser Elbphilharmonie-Saison werden können: „Tristan und Isolde“, zweiter Aufzug, Richard Wagners ent-rücktestes Werk. Ein Dirigent von Weltformat: Valery Gergiev. Ein international anerkanntes Orchester: die Münchner Philharmoniker. Vom Papier her tolle Solisten. Und ein außergewöhnlicher Konzertsaal.

Leider kam es anders. Wegen einer im hohen Register stimmlich inakzeptablen Isolde, der Österreicherin Martina Serafin, 49, geriet der Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie zu einer Aufführung mit einem großen Fragezeichen: Warum singt bei einem solchen „Gala-Auftritt“ eine Sopranistin, die laut operabase.com im September 2018 das erste Mal die Isolde gesungen hat, am 13. Januar 2020 in der Philharmonie am Gasteig das zweite Mal (2. Aufzug) und am 18. Januar 2020 im Festspielhaus Baden-Baden das dritte Mal (2. Aufzug)?

Martina Serafin war der Komplexität und Herausforderung ihrer Aufgabe nicht gewachsen und war vor allem im hohen Register für viele Zuhörer oft nur schwer zu ertragen. Am Ende der zweiten Szene, in der wahres Können bei den hohen Tönen gefragt ist, verließen 8 Besucher sichtlich genervt vorzeitig den Großen Saal. (Bereits nach 25 vorzüglichen Debussy-Minuten hatten etwa 50 Besucher das Weite gesucht – und verzichteten somit auf 80 Minuten Wagner.)

„Das war kein Gesang, das war in der Höhe Geschrei“, bilanzierten zwei Damen und ein Herr nach der Vorstellung auf der Rolltreppe. „Die Isolde“ war das negative Gesprächsthema auch an der Garderobe und im Treppenhaus.

Frau Serafin hat zweifelslos ihre Verdienste für die klassische Musik erworben, sie hat an namhaftesten Häusern gesungen – aber für eine Isolde reicht es (derzeit) nicht. Leider können nur noch sehr wenige Sopranistinnen frei und „natürlich“ und ohne künstlichen Druck diese Ausnahme-Partie singen. Die letzte herausragend gute Isolde, die ich hören durfte, war im August 2015 Evelyn Herlitzius bei den Bayreuther Festspielen.

© Michael Zapf

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Auch klassik-begeistert.de-Autor Dr. Ralf Wegner verfolgte das Konzert – hier seine Eindrücke:

Oper in der Elbphilharmonie muss man wohl einmal erlebt haben, um letztlich zu dem Schluss zu gelangen, dass diese Kunstform besser im Haus der Staatsoper aufgehoben ist. Denn es fällt nicht leicht, sich der grandiosen Musik Richard Wagners in diesem erhellten, weiten Saal hinzugeben.

Martina Serafin enttäuschte zudem als Isolde. Ihr in der Mittellage noch ansprechender warmer Sopranklang verengte sich in der Höhe, blasste ab und flutete vor allem nicht den Raum. Die notwendige Schallkraft einer Isolde besaß sie nicht, zumindest nicht an diesem Abend.

Anders ihre Dienerin Brangäne: Wahrer Wohlklang und eine deutlich tragfähigere Stimme standen der Mezzosopranistin Yulia Matochkina zur Verfügung. Sie erhielt dafür am Ende auch den  größten Applaus.

Begeistert war ich von Andreas Schagers Tristan, sein Tenor füllte den Raum, überstrahlte mit virilem, in der Höhe metallisch-glänzendem, unter die Haut gehenden Timbre das Orchester. Schager ging auch darstellerisch mehr aus sich heraus als seine Partnerin. Schagers überzeugend gesungenes „Isolde, Geliebte“ hob die ganze Aufführung auf ein höheres Niveau. Aber nicht nur im Forte, sondern auch bei den leiseren Passagen blieb Schagers Stimmklang angenehm und genügend modulationsfähig. Seit den Zeiten von Heinz Kruse habe ich keinen besseren Tristan gehört.

© David Jerusalem

Mikhail Petrenko gab dem König Marke die notwendige, auch den Raum füllende Bassgewalt, eine sehr schöne Leistung.

Mit der kleinen Partie des Melot überzeugte der Bariton Miljenko Turk.

Warum wurde überhaupt in der Elbphilharmonie und nicht im Opernhaus gespielt? Es handelte sich um einen Konzertabend der Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Valery Gergiev. Vor einem Jahr hatte mich der Orchesterklang am selben Ort mit Mahlers Lied von der Erde mehr beeindruckt. Da lag der Focus insgesamt aber nicht so auf den Sängern, wie an diesem Abend bei „Tristan und Isolde“. Was ist die Quintessenz? Die nächste greifbare Tristan-Aufführung wird wieder im Opernhaus besucht, denn Wagners Komposition ist ohnegleichen.

klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at, 21. Januar 2020

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