Foto: Musikfest Bremen 2025, Klavierabend, Khatia Buniatishvili (c) Nikolai Wolff
Musikfest Bremen: Klavierabend
Programm:
Franz Schubert 4 Impromptus op. 90 D 899
Frédéric Chopin Sonate Nr. 2 b-Moll op. 35
Wolfgang Amadeus Mozart Sonate Nr. 16 C-Dur „Sonata facile“ KV 545
Frédéric Chopin Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52
Franz Liszt Mephisto-Walzer Nr. 1 „Der Tanz in der Dorfschänke“ S 514
Khatia Buniatishvili Klavier
Bremer Konzerthaus Die Glocke, 17.August 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Ein kurzes Zurechtrücken auf dem Klavierhocker, ein wuchtig harter, Aufmerksamkeit heischender Fortissimo-Akkord, dann herrscht bis auf Weiteres ausgeprägt ruhige, melancholisch eingefärbte Stimmung. Als hätte sie alle Zeit der Welt und wolle jedem einzelnen Ton nachsinnen, trägt Khatia Buniatishvili das schlichte Thema des Impromptus Nr. 1 c-Moll in zutiefst entschleunigendem, maximal gedehntem Metrum vor.
Allenfalls subtile Steigerungen erfolgen, dazwischen kurze, vorsichtig geführte Aufwallungen, alles unter einem über das gesamte Stück geformten Spannungsbogen, der gerade durch die feinfühlige Herangehensweise hochgradig intensiviert wird. Derart berührend hat man Schubert selten erlebt.
Umso unruhiger, im Sturmlauf vorandrängend, dabei jedoch durchweg kristallklar perlend startet Nr.2. Die offensichtlich auf deutlichen Kontrast setzende Dramaturgie der Pianistin wird durch den Beifall einiger Zuhörer bedauerlicherweise konterkariert. Dies geschieht leider mehrfach, auch beim Übergang zum Andante der Nr. 3. Buniatishvili bleibt dennoch unbeirrt, spielt ungemein feinsinnig los, setzt behutsame Akzente in diesem wie mit feinem Pinsel gezeichneten Aquarell aus zarten Klangfarben: Ruheimpulse für die Seele, denen man sich bei derartig sensibel angegangener Ausführung stundenlang hingeben könnte.
Der abschließende Teil 4 As-Dur sprudelt mit präzise getupftem Anschlag der zahllosen Arpeggien munter los; dynamisch kontrastreich greifen die perfekt miteinander ausbalancierten Stimmlinien beider Hände ineinander, mal kraftvoll und expressiv, mal lyrische Elemente betonend, was die geniale Architektur des populären Werkes ausnehmend gut sichtbar werden lässt.
Pathos, Idylle und Leidenschaft
Die folgende Chopin-Sonate Nr. 2 eröffnet die georgische Pianistin pathetisch düster als Sturmgetöse, das sich indes schnell zu verflüchtigen scheint, wiederkehrt, erneut zurückfällt in einem steten Wechsel leidenschaftlicher Ausbrüche und idyllischer Partien. Das Scherzo führt den energischen Impetus weiter. Die bislang unpassend nach jedem einzelnen Satz mit Applaus bedachte Interpretin legt ungeachtet dessen wild, geradezu ungebärdig los – und löst damit erfreulicherweise dieses Beifalls-Problem für den Rest des Abends. Nach eruptivem Anfang drängt das Scherzo zwar weiterhin ausgesprochen forsch, aber doch eine Spur gelassener anmutend, mit Macht nach vorn.
Ruhevoll, jedoch nicht etwa behäbig oder gar träge schreitet hingegen das Lento des Trauermarsches voran. Der äußerst zartfühlend vorgetragene Mittelteil erinnert an ein anheimelndes, aus der Ferne mattglänzend herüberschimmerndes Leuchten, das indes erneut schwermütigen Harmonien weichen muss. Welche wiederum attacca abgelöst werden von einem über die Maßen quirlig wirbelnden, auf die Spitze getriebenen finalen Presto.
Sie mögen vielleicht nicht jedem gefallen, diese mitunter extrem gesteigerten Tempi, bei denen die gedrängten Töne wie ein wilder Spuk vorbeirauschen und selbst geübte Ohren kaum noch in der Lage sind, kompositorische Details zu analysieren. Müssen sie aber auch nicht; denn diese Spielweise dient eher der Erstellung phänomenaler, aus kleinsten Einzelbausteinen zusammengesetzter Klangpanoramen, die vorrangig in ihrer Ganzheit zu erfassen sind. Und gewiss ganz nebenbei auch noch von der außerordentlich stupenden Instrumentenbeherrschung der Ausnahmepianistin zeugt.

Ein „einfaches“ Werk virtuos interpretiert
An Mozarts „Sonata facile“ dürfte sich wohl nahezu jeder auch nur halbwegs fortgeschrittene Klavierschüler irgendwann einmal versucht haben. Was wird Buniatishvili aus diesem so bekannten Stück machen?
Unbeschwert leichthändig und spieluhren-filigran präsentiert sie den Kopfsatz. Das Mittelsatz-Andante wird zum beschaulichen Stillleben, zur entspannten Plauderei im abendlichen Dämmerlicht. Das abschließende Rondo kommt recht forsch, behält aber dennoch den durchweg gemütvoll freundlichen Charakter dieses kompositorischen Kleinods.
Chopins Ballade Nr. 4 ist von deutlich gewichtigerem Kaliber, elegisch, geheimnisvoll, ein nostalgisch verbrämtes Es-war-einmal, verträumt und mit nur kurzen energischen Ausbrüchen, die die Interpretin mit phänomenalem Anschlag ganz allmählich intensiviert, um sie, nach einem kurzen, fast schon final anmutendem Einschnitt, mit einem donnernden Sturmlauf zu beenden.
Effektvolle Dramatik mit allen Registern
Damit nicht genug des virtuosen Vortrags. Liszts Mephisto-Walzer Nr. 1 steht noch an. Ein auf jede Menge Effekthascherei setzendes Schaustück? Gewiss auch. Aber eben auch eines, das mit allen spieltechnischen Raffinessen gespickt ist, somit für eine adäquate Darbietung ein Höchstmaß an pianistischem Können erfordert. Etwas, womit die Buniatishvili zweifellos aufwarten kann. Hier wird sie zur wilden, ungestümen Tastentigerin oder lässt es romantisch schmachten, brilliert mit unzähligen Klangfarben, die sie dem großen Steinway-Flügel in seinen sämtlichen Registern zu entlocken weiß. Das gekonnte Changieren zwischen Dramatik und deutlich zurückgenommenen, ruhig erzählenden Elementen wird zur packenden Performance, die am Ende des gut eineinhalbstündigen, ohne Pause vorgetragenen Konzertabends mit tosendem Beifall und Standing Ovations bedacht wird.
Geht noch mehr? Als erste Zugabe beweist sich die Pianistin als feinsinnige Interpretin des wunderschönen liedhaften Adagios aus J.S. Bachs Konzert d-Moll (BWV 974, nach A. Marcello). Und zündet unter dem anhaltenden frenetischen Jubel des Publikums noch ein allerletztes berauschendes pianistisches Feuerwerk mit der in kaum noch steigerbarer Parforce-Manier dargebotenen Ungarischen Rhapsodie Nr. 6 von F. Liszt.
Dr. Gerd Klingeberg, 18. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikfest Bremen, Jacques Offenbach Bremer Konzerthaus Die Glocke, 16. August 2025
Khatia Buniatishvili / Klavier Kultur- und Kongresszentrum Luzern, 26. April 2025
Freiluft-Klassik-Festival „Sommer in Lesmona“ Knoops Park Burglesum, Bremen