Anna Netrebko (Abigaille), Ensemble und Chor © Bernd Uhlig
Mit Nabucco und einer Öffnung des Lindenoper-Langzeitarchivs startet die Berliner Staatsoper in ihre neue Premierensaison. Anna Netrebko singt das kompositorisch misslungene Verdi-Werk in Grund und Boden, Emma Dantes Regie, eher flache Regie, kommt kaum über ein paar blumige Bühnenbilder hinaus. Wo bleibt hier die weiße Fahne am Dirigentenpult? Wien hat’s vorgemacht.
Nabucco
Musik von Giuseppe Verdi
Libretto von Temistocle Solera nach Auguste Anicet-Bourgeois
und Francis Cornu
Staatsoper Berlin, 2. Oktober 2024
von Johannes Karl Fischer
Ein halbes Jahrhundert gab’s an diesem Haus kein Nabucco mehr, nicht ohne Grund. Diese per se langweilige und misslungene Oper mit ihren völlig zur politisch aufgeladenen Handlung unpassenden Melodien in Maskenball-Stimmung ist nun wirklich nicht der größte Wurf unter der Opernsonne. Leider hatte Emma Dantes recht einseitige Regie dem Werk wenig entgegenzuwirken. Vorhänge fuhren rauf und runter im Minutentakt, ein paar mit Knarren bewaffnete Statisten und Statistinnen irrten im Dauerwirrwarr über die Bühne. Personenregie: Fehlanzeige.
Man kann mit diesem Werk auch spannendes machen – siehe Kirill Serebrennikov in Hamburg. So steuert dieses Werk allerdings schnurgeradeaus zurück Richtung Lindenoper-Langzeitarchiv, selbst die allerirrsinnigste Schwachsinnsregie hätte für mehr Furore gesorgt als diese nichtsaussagenden Blumenbilder. Wenigstens bitte eine weiße Fahne am Dirigentenpult?
Das Publikum ließ sich das offenbar nicht gefallen und schmetterte dem Regie-Team lautstarke Buh-Rufe entgegen. Mindestens mal ein Erfolg für Frau Dante…
Völlig verdiente, laute und langanhaltende Publikumsreaktionen – allerdings positiv – gab es für Anna Netrebkos Abigaille. Als hätte sie zu Beginn noch Rücksicht genommen, die restliche Bühne nicht mit ihrer intensiv-voluminösen Stimme zu überfluten – da sollten sich andere mal ein Beispiel daran nehmen. Doch im zweiten Akt, nun allein auf der Bühne stehend, sang sie völlig entfesselt, mit brennender Emotionalität und stimmlicher Fülle den Saal randvoll, als würde sie Nebukadnezars Tempel eigenstimmig in einem Atemzug erobern. Ihre ebenso brillante Bühnenpräsenz lieferte besten Ersatz für die auch an dieser Stelle quasi nicht-existierende Regie.
Bei aller berechtigen Kontroverse um Frau Netrebko: So eine intensive warme, voluminöse Stimme wird es so schnell nicht wieder geben. Die ballernden, beispiellosen Brava-Rufe hat sie sich in diesem Ausmaß völlig verdient.
Mika Kares erwies sich als ebenso souveräner, stimmstarker Zaccaria. Mit viel Ausdruck und glasklarer Textverständlichkeit donnerte sein Bass die Monologe des Priesters in den Saal. Ohne den Hauch eines Röhrens oder Brummens beherrschte seine mächtige Stimme die Bühne und sang auch in den tiefsten Stimmlagen runde, wohl geformte Melodien. König Nabucco krönt sich vom Gott, Mika Kares triumphiert als gesanglicher Bass-Gott.
In der Titelrolle hatte man Luca Salsi besetzt, auch er erwies sich als grundsolide Besetzung für den Herrscher Babylons. Dass hier sein Gesang nicht umhaut wie bei Frau Netrebko, mag auch am Werk liegen, diese Rolle gibt halt nicht ansatzweise die musikalischen Möglichkeiten eines Traviata-Germonts oder selbst Rossini-Figaros. Da kann er aber nix dafür, er sang alle Melodien klar, verständlich und durchwegs musikalisch. Reicht. Auch Ismaele kriegt vom Komponisten leider kaum mehr als ein paar Verdi-Stangen-Arien, die der Tenor Ivan Magrì souverän und mit viel Brillanz erledigte.
Marina Prudenskaya sang mit viel ausdrucksstarkem Mezzo eine warm klingende Fenena. Dass sie sich stimmlich hier hinter ihrer Abigaille einordnete, ist mehr rollengerecht als alles andere; musikalisch überlässt sie schon in der Partitur die Zügel der Handlung ihrer charakterlich deutlich stärkeren Schwester. Auch die kleineren Nebenrollen waren exzellent besetzt – hervorzuheben wäre vor allem Andrés Moreno Garcías stimmlich präsenter und souveräner Abdallo – und hielten sich ganz nach Verdis Partitur deutlich im Hintergrund des musikalischen Geschehens.
Die Staatskapelle Berlin spielte unter Bertrand de Billys Taktstock sauber und ordentlich, das großzügig besetzte Verdi-Orchester stürzte sich mit viel Schlagwerk und Bassposaune begeistert in die fetzige Verdi-Partitur. Auch der Chor erfüllte mit teils kräftigem Klang die Premieren-Erwartungen des Hauses, ließ sich allerdings in die eher nicht so feurige Stimmung der Inszenierung etwas mit hineinziehen. Der Chef am Pult schien mir dagegen schon in sehr eifriger Feierstimmung, teilweise klang das Orchester doch eher wie einer Nabucco-Quadrille in Wiener Silvesterballstimmung – ja, auch der Walzerkönig hat so einige Verdi-Melodien für die Ballsaison bearbeitet. Buh-Rufe? Etwas übertrieben. Da gab es hier schon weit schlechtere Dirigate zu hören. Es gab aber sicherlich auch schon bessere Nabucco-Dirigate.
Musikalisch war es ein überragender Abend, die eher langatmige Regie kommt mit dem misslungenen Werk allerdings nicht klar. Das geht auch besser.
Johannes Karl Fischer, 3. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Nabucco, Libretto: Temistocle Solera Savonlinna Opera Festival, 26. Juli 2024
„Dass hier sein Gesang nicht umhaut wie bei Frau Netrebko, mag auch am Werk liegen, diese Rolle gibt halt nicht ansatzweise die musikalischen Möglichkeiten eines Traviata-Germonts oder selbst Rossini-Figaros.“
Anscheinend haben Sie noch nie einen anständigen Nabucco gehört. Es ist für gute Baritone eine fantastische Rolle. Glauben Sie mir, zu Zeiten als es noch Verdi-Baritone gab wie Ingvar Wixell, Piero Cappuccilli und Renato Bruson, hat keiner auf den Sopran geachtet.
Übrigens ist A. Enkhbat ein sehr guter Nabucco.
Angelika R.
„Übrigens ist A. Enkhbat ein sehr guter Nabucco.“
Der hat ’ne Stimme, die man nicht oft findet. Wäre er nicht so statisch, müsste man Lobeshymnen schreiben.
Jürgen Pathy
Ja, das ist leider sein Manko.
Angelika R.
Na, man darf es doch wohl sagen… er achtet anscheinend nicht allzu sehr auf seine Gesundheit…
Andreas Schmidt
Ich finde es schon irgendwie präpotent zu schreiben, dass Nabucco ein misslungenes Werk Verdis sei.
Geb’s ich müsste kein schlechteres Werk hören!!
Karl Bauer
Wie wahr!
Waltraud Becker
Wieder einmal muss ich mein Wort brechen, keine Kommentare mehr zu schreiben, aber ich werde regelrecht dazu gezwungen, denn der Beitrag zum Berliner „Nabucco“ weckt in mir den heiligen Zorn Gottes. Aber sicher nicht nur den meinen. Auch Riccardo Muti würde es so gehen, wenn er das Urteil über Verdis Fähigkeiten lesen würde. Oder hat dem Rezensenten die alles überragende Begeisterung für die Leistung einer Anna Netrebko den Blick für einen der größten Komponisten aller Zeiten vernebelt? Ich wohnte der Aufführung nicht bei und kann zur Inszenierung kein Urteil abgeben. Ich persönlich ziehe heutzutage aber konzertante Versionen vor, bei denen die Musik nicht durch den Nonsens der Regisseure auf der Bühne gestört wird. Wobei ich nicht beurteilen kann, was für Herrn Fischer gute Inszenierungen sind. Ob wir da gleicher Meinung wären, bezweifle ich ein wenig. Das ist aber hier und jetzt nicht das relevante Thema.
Doch die Worte des Rezensenten Herrn J. K. Fischer sind eine regelrechte Beleidigung. Dabei geht es mir, wie schon angedeutet, nicht um die Sänger oder Inszenierung, sondern um den Komponisten. Ja, es ist eine Beleidigung des Komponisten Verdi, sein Werk „Nabucco“ als kompositorisch
misslungenes Werk zu bezeichnen.
Da muss ich mich schon fragen, in welcher Oper war der Rezensent?
Wohl nicht in dem „Nabucco“ von Verdi, so wie ich ihn kenne. Es kann aber natürlich durchaus sein, dass die Art der Wiedergabe so misslungen war, dass Herr Fischer nicht den Beteiligten, sondern dem Komponisten die Schuld in die Schuhe zu schieben versucht. Es scheint mir,dass er davon überzeugt ist, dass „Nabucco“ kein gelungenes und wertvolles Werk ist. Das ist aber in keinem Falle so. Außerdem spricht er von „fetziger Musik für einen Silvesterabend“. Ja, darin zeigt sich leider wieder, wie Verdis Musik betrachtet und v.a. auch immer wieder und immer noch interpretiert wird. Aber auch schon die frühen Werke des Komponisten verdienen diese Behandlung und Sicht nicht. Selbst der musikalische Direktor der Wiener Staatsoper P. Jordan musste anlässlich der neuesten „Don Carlo“-Premiere in einem Interview gestehen, dass für ihn früher die Verdi-Musik gerade das war. Bis er eines Besseren belehrt wurde. Zum Glück.
Nun, man muss Verdis Noten verstehen und wissen, wie man sie spielen muss. Kein Werk Verdis verdient es, zur Unterhaltungsmusik mit Zumpapa degradiert zu werden. Von der Notensetzung her werden von den Dirigenten oft diese Stellen falsch interpretiert und zu Gehör gebracht. Man muss sich Verdis musikalisches Umfeld und Bildung vor Augen halten und feststellen, dass viele Stellen, so wie man sie spielen muss, an Schubert erinnern. Doch das tun die Wenigsten, bis auf…
Herr Fischer realisiert aber keineswegs, dass es vielleicht an der Art der Darbietung liegt und nicht am Komponisten. Ihm würde eine Lektion der „Italian Opera Academy“ mit Maestro Riccardo Muti, dem Verdi-Experten, gut tun. 2021 widmete dieser in Mailand seine Academy der Oper „Nabucco“. Die dort vermittelten Einblicke und Erkenntnisse öffneten so manchem die Augen. Dann hätte auch er das ganze, so hoffe ich, anders gesehen.
„Nabucco“ bietet durchaus wundervolle, tiefgehende Musik.
Damit schließe ich mich meinen Vorrednern(-innen) an. Die Arie des Nabucco im 2.Akt „Non son più re, son Dio… Ah, perché, perché sul ciglio una lagrima…“ rührten schon die versiertesten Kritiker zu Tränen. Vorausgesetzt es ist ein phänomenaler Bariton und Dirigent. Doch solche gibt es nur noch wenige. Ich erlebte es mit Cappuccilli und Bruson. Und mir kamen ebenso die Tränen. Und der Dirigent? Es gibt nur einen, der „Nabucco“ so dirigieren kann, wie es sein soll. Der eine Einheit mit diesem Werk bildet. Quasi eine Reinkarnation Verdis darstellt: Riccardo Muti. Unter ihm wird der berühmte Chor „Va’, pensiero“ nicht zu laut und schnell, oder gar zum Gassenhauer. Er haucht ihn als inniges Gebet in den Raum. „Grave“ wie es Verdi wollte.
Dem Ansinnen, ihn zur Nationalhymne zu machen, widerspricht Muti vehement als Unsinn. Es sei ein Gebet und kein feurig, patriotisches Stück, wie es sich für eine Hymne gehöre. Auch das widerlegt die Sicht von Herrn Fischer.
Fazit:
„Nabucco“ ist und bleibt ein
Meisterwerk, wenn es mit den Sängern und Dirigenten aufgeführt wird, die wissen, wie Verdi gespielt und gesungen werden muss. So, wie es Verdi wollte.
Sieht es Herr Fischer anders, ist es nicht die Schuld des Komponisten.
Mit viele Grüßen,
Sabine Jesch
Da kann ich meiner Vorrednerin nur uneingeschränkt zustimmen: Nabucco ist eine geniale Oper, sie muss nur von jemandem dirigiert werden, der die Partitur ernst nimmt und penibel seitens Text und Vortragsbezeichnungen einstudiert! Wie das geht, weiß in der Tat niemand besser als Muti.
Wer das Drama als „langweilige, misslungene Oper“ herabwürdigt, hat offenbar keine gute Aufführung erlebt.
Was ich von der Neuproduktion an der Lindenoper zu halten habe, werde ich jedoch erst am Mittwochabend nach der von mir besuchten dritten Aufführung wissen.
Kirsten Liese
Noch ein weiterer Zusatz, der sein muss: Verdi ist ein genialer Komponist!!
Dabei verwende ich nicht nur die Worte Maestro Mutis, sondern das ist auch meine unumstößliche Meinung. Diese Genialität zeigt sich im gesamten! Werk Verdis, auch schon in seinen frühen Werken.
Man muss nur die Partitur lesen können.
Muti gibt dazu unzählige Beispiele: So kann Verdi nur mit einem Takt oder gar Ton die Stimmung total ändern, gar ins Gegenteil drehen.
Genial ist auch seine nicht erwartete Wahl der Tonart an bes. Stellen. So wählt er an Stellen der abs. Verzweiflung nicht das erwartete „Moll“, sondern „Dur“. Das ist genial.
Er weiß genau, wie er mit ein paar Tönen, und das genügt bei Verdi schon, eine best. Stimmung erzeugen kann, das Wort damit unterstreicht in seinem Ausdruck. und in Sekunden das Gegenteil. So auch in den frühen Werken wie „Attila“ oder „Ernani“.
Plastisch und mehr als überzeugend erfährt man das in den Einführungen dieser Werke mit Muti am Klavier, die er in Ravenna oder Rom durchführte.
Die Musik drückt jede Bewegung und Handlung aus, ja gibt sie vor.
Wird anderes auf der Bühne dargestellt, handelt gegen das, was dargestellt werden soll. Dann wird man nie die Oper/Geschichte sehen, so wie sie Verdi geschrieben hat und man sie sehen soll. Aktualisierungen, Verdrehungen oder gar Veränderungen der Handlung und Hineinschneiden anderer Musik sind keineswegs nötig und laut Muti ein Verbrechen. Die Aussagen der Oper sind zeitlos und brauchen derartige Adaptionen nicht .
Soviel nur am Rande zur Regie.
Also, lassen Sie alle bitte Verdi, so wie er ist. Er ist und wird immer genial bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Jesch
Johannes hi!
Nabucco ist ein Erfolg wegen der Musik. Der Rest ist wurscht – und das ist gut so!
Jürgen Pathy
Liebe Kollegin,
Es gibt DirigentInnen, die können aus jedem noch so überbewerteten Musikstück ein musikalisches Wunderwerk schaffen, Christian Thielemann hat es mit den frühen Bruckner-Sinfonien bewiesen. Dies befreit eine(n) KomponistIn nicht von der Aufgabe, ein Werk, das das Publikum unabhängig von der Interpretation anspricht, zu schaffen. Daran ist Verdi gescheitert.
Ich werde mir natürlich weiterhin Nabucco-Aufführungen anschauen und darüber berichten, vielleicht überzeugt mich ja mal eine. Ich habe auch schon sehr gute Fidelio-Aufführungen — ein mindestens ähnlich misslungenes Werk — gesehen und schaue mir diese auch zehnmal lieber an als eine musikalisch nicht überzeugende Meistersinger. Es gibt trotzdem viele weit interessantere Werke, die dringend mehr Aufmerksamkeit auf den Spielplänen verdient hätten als Nabucco. Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk gehört sicher dazu.
Johannes Fischer
Jetzt wird es ja richtig lustig mit Ihrem Rundumschlag misslungener Werke.
Wenn Sie alles so viel besser wissen und beurteilen können und dann sicher auch beherrschen, wie wäre es denn selbst einmal eine Oper zu schreiben?
Vielleicht schlummert in Ihnen ja ein noch größeres Genie als in Verdi.
Wenn Sie es schaffen würden, ein nur annähernd so geniales Werk zu Papier zu bringen, das Jahrhunderte im Spielplan überdauert und dessen sich die größten Dirigenten und Sänger annehmen, dann wären Sie nicht nur ein Genie, sondern ein Wunder. Welches neuere Werk hat das denn schon geschafft?
Unabhängig davon, ob es das wert wäre oder nicht.
Ein Riccardo Muti dirigiert auch nicht jedes Werk.
Würde er sich so damit identifizieren, wenn es purer Mist wäre. Da beleidigen Sie nicht nur Verdi, sondern auch Muti.
Ihm kann in punkto Verdi-Wissen und -Erfahrung keiner das Wasser reichen. Auch nicht Sie.
Muti ist bestimmt nicht, verzeihen Sie die Formulierung, „auf der Brennsupp’n daher geschwommen gekommen.“
Und jetzt freue ich mich auf Ihre Oper. Die wird sicher in jeder Hinsicht ein Erfolg. Schauen wir, wie es in 100 Jahren damit aussieht.
Sabine Jesch
Wenn ich die Worte „das kompositorisch misslungene Verdi-Werk“ über Nabucco von Giuseppe Verdi lese, lese ich einfach nicht weiter, denn der Author jener Worte hat ausgerechnet mit jenen Worten sich selbst disqualifiziert!
Sheryl Cupps