Franz Grundheber als Rigoletto mit Hellen Kwon als Gilda © Hamburgische Staatsoper/Rüdiger Backmann
ein Nachruf von Dirk Schauß
Am 27. September 2025, ausgerechnet an seinem 88. Geburtstag, ist Franz Grundheber gestorben. Ein merkwürdiger Kreis hat sich damit geschlossen – und doch fühlt es sich an, als sei mit ihm nicht nur ein Mensch gegangen, sondern ein Stück Operngeschichte, das uns noch lange begleiten wird.
Man kann viel über ihn in nüchternen Daten erzählen: 1937 in Trier geboren, nach dem Militärdienst Gesangsstudien in Hamburg und den USA (u.a. bei Margaret Harshaw), 1966 Aufnahme ins Ensemble der Hamburgischen Staatsoper. Doch das, was bleibt, sind weniger die Stationen als die Eindrücke: diese Stimme, die über Jahrzehnte frisch blieb, die Art, wie er Figuren nicht einfach sang, sondern durchlebte, und wie er dabei immer ein höflicher, bescheidener Mensch blieb.
Franz Grundheber gehörte noch jener Generation an, die im Ensemble reifte. Er kam nicht als fertiger Star auf die Bühne, sondern arbeitete sich hoch: kleine Rollen, Einspringer, mittlere Partien, dann langsam die großen Aufgaben. Für manche mag das unspektakulär klingen, doch es prägte ihn. Diese bewusste Langsamkeit war sein Schutz, seine Schule. Er wollte die Stimme nicht verheizen, sondern sie wie ein Gärtner pflegen, der weiß, dass Wachstum Zeit braucht.
Dass er noch mit über 70 als Simon Boccanegra stimmlich ergreifend und völlig mühelos sang oder 2020 in den Gurreliedern unter Christian Thielemann seine intakte Stimme hören ließ, zeigt, wie recht er mit seiner Strategie hatte. „Ich wollte lang frisch bleiben“, soll er einmal gesagt haben – und es gelang ihm bestens.
Viele Sänger können schön singen, aber nur wenige können eine Figur zum Leben erwecken. Grundheber gehörte zu den Letzteren. Für ihn begann jede Rolle mit dem Text. Er las, analysierte, fragte nach Bedeutungen. Keine Silbe war zufällig, keine Phrase bloß gesungen.
Unvergesslich war sein Holländer. Vier Mal wiederholt diese Figur den Satz „Dann werde ich im Nichts vergehn“. Bei Grundheber war keine Wiederholung gleich. Vor allem das dritte Mal: da schleuderte er das Wort „Nichts“ mit solcher Wucht heraus, dass man fast selbst in den Abgrund stürzte. Das war nicht Oper als Dekoration, das war Oper als existenzielles Theater.
Auch im Wozzeck zeigte sich seine Kunst: nicht als Opfer, nicht als bloße Figur der Verzweiflung, sondern als Mensch, der scheitert – nahbar, erschütternd. Von diesem Werk war Grundheber derart fasziniert, dass er sogar selbst einmal Regie führte. Sein Kardinal Borromeo in Palestrina wiederum faszinierte durch kühle Strenge, durch eine Aura geistiger Autorität. Grundheber war ein großartiger Gestalter, nie nur ein Sänger.
Er legte sich nicht fest. Wagner und Strauss, Verdi und Puccini – Grundheber beherrschte sie alle. Sein Jago war gefährlich, sein Germont von menschlicher Würde, sein Macbeth düster, sein Scarpia erschreckend real. Als Simon Boccanegra schuf er eine der berührendsten Vaterfiguren der Opernliteratur – ein Staatsmann, dem das Private nicht weniger wehtut als das Amt.
Es war nicht selbstverständlich, dass ein deutscher Sänger im italienischen Fach so reüssierte. Doch Grundheber tat es – und schrieb Geschichte, als er als erster deutscher Rigoletto an der Metropolitan Opera auftrat. Dass er dort im Alter von 62 Jahren, an diesem heiklen Ort, Anerkennung fand, erfüllte ihn mit Stolz, aber auch mit stiller Genugtuung: Er hatte bewiesen, dass Kunst keine Passkontrolle kennt. An der MET sang er nicht nur Rigoletto, sondern auch den Wozzeck und noch 2015 den Schigolch. Er selbst erzählte einmal, wie eigentümlich es sei, in New York nach einer Vorstellung die Bühne zu verlassen und draußen in das nie schlafende Straßenmeer einzutauchen. „Man geht von einer Welt in die andere, und beide wirken gleich unwirklich.“ Solche Beobachtungen zeigen, wie sensibel er auch außerhalb der Bühne war.
Und dann Richard Strauss: Mandryka, Orest, Olivier, Musiklehrer – und allen voran Barak, der Färber in der Frau ohne Schatten. Diese Figur schien ihm nahe, weil Barak, wie Grundheber selbst, kein Posenheld ist, sondern jemand, der Größe in Bescheidenheit findet. Sein Jupiter wiederum war so machtvoll, dass man den Himmel über der Bühne gespürt zu haben meint. Dass er die Partie sogar in der hohen Originalfassung sang, bezeugt seine Disziplin und technische Meisterschaft in der Stimmbeherrschung.
Herbert von Karajan verpflichtete ihn als Scarpia in seiner Produktion in Salzburg — ein Ritterschlag, dem weitere Konzerte mit ihm folgten, und der Scarpia zu einem von Grundhebers größten Erfolgen werden ließ. Und auch hier zeigte sich Grundhebers Klugheit in der Analyse der Details. Puccini fordert vom Sänger des Scarpias bei „Ma fatelo tacere“ einen plötzlichen Wutausbruch, der häufig ignoriert wird. Nicht so bei Grundheber, dem an dieser Stelle kurz die Selbstkontrolle abhanden kam und wie! Karajan erkannte, was viele schon lange wussten: Grundheber war ein verlässlicher Künstler, ein Interpret, der Rollen nicht dekoriert, sondern gestaltet. An großen Häusern in Wien, Mailand, London, New York und San Francisco bestätigte sich dieser Ruf immer wieder.
Was Franz Grundheber wirklich auszeichnete, war seine Langlebigkeit. 2016 feierte er in Hamburg sein 50-jähriges Bühnenjubiläum. Ein halbes Jahrhundert an derselben Oper – das ist in unserer Zeit fast unvorstellbar. Und doch blieb er nicht der „Hamburger Sänger“, sondern war ein internationaler Künstler.
Sein letzter öffentlicher Auftritt 2020 in Schönbergs Gurreliedern bleibt vielen im Ohr und ist auch auf CD dokumentiert. Als Sprecher gestaltete er am Ende Worte, die er dann sang – und das tat er mit einer Stimme, die nichts von Altersbrüchigkeit hatte. Man spürte: dieser Mann hatte seine Stimme nicht nur benutzt, er hatte sie gelebt.
Neben all dem bleibt vielleicht noch stärker die Erinnerung an seine einnehmende Persönlichkeit. Er war kein Star mit Allüren. Wer ihm begegnete, fand einen wachen, freundlichen, manchmal still nachdenklichen Menschen. Kollegen berichten, dass er stets neugierig blieb, auch jungen Sängern zuhören und sie fördern konnte, nie belehrend, sondern interessiert. Dies betraf auch die Entwicklung seiner Stimme. Sein „ehrlichster Freund“ war sein Aufnahmegerät, mit welchem er seine Auftritte festhielt, um danach zu bewerten, wie es war.
Vielleicht lag gerade darin sein Geheimnis. Weil er nie aufhörte zu lernen, weil er Rollen immer wieder neu anfasste, die Stimme weiter schulte, konnte er auch im Alter noch frisch wirken. Er war diszipliniert – aber nie verbissen.
Seine Kunst ist gut dokumentiert: auf CDs, DVDs, Rundfunkaufnahmen, in unzähligen Kritiken. Aber die, die ihn live erlebten, wissen, dass er auf der Bühne mehr war als ein Sänger. Er war ein Erzähler. Einer, der Figuren von innen heraus sichtbar machte, der die Menschen im Zuschauerraum in eine andere Welt führte und doch mit beiden Füßen auf der Erde blieb.
Franz Grundheber war ein singulärer Sängerdarsteller. Ein Künstler, der Bescheidenheit mit Bühnenmacht verband, Handwerk mit Inspiration, Strenge mit Wärme. Und ein Mensch, der bei aller Größe ein freundlicher, leiser Zeitgenosse blieb. Er hinterlässt eine große Lücke. Nachfolger auf seiner Qualitätsebene und einer ebensolchen Vielfalt gibt es nicht.
Nun ist er gegangen. Aber seine Stimme, seine Rollen, seine meschliche Haltung werden bleiben. Vielleicht ist gerade das sein größtes Vermächtnis: dass man in seinen Aufnahmen nicht nur einen Sänger hört, sondern einen Menschen, der sich selbst zurücknahm, damit die erzählerische Kunst leuchten konnte.
Dirk Schauß, 29. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Nachruf: Siegmund Nimsgern (*1940 – †2025) klassik-begeistert.de, 19. September 2025
Auf den Punkt 69: Nachruf Gabriel Feltz klassik-begeistert.de, 30. August 2025
Nachruf: Sopranistin Patricia Janečková klassik-begeistert.de, 9. Oktober 2023