R.I.P. Jodie Devos – wieder ist eine Quelle der Freude versiegt

Nachruf: R.I.P. Jodie Devos – wieder ist eine Quelle der Freude versiegt  klassik-begeistert.de, 18. Juni 2024

© Dominique Gaul

Wie soll man es verstehen können, wenn ein junger Mensch, gerade 35 Jahre alt, voller Heiterkeit und mit gottbegnadetem Talent gesegnet, durch eine sinnlose und überflüssige Krebserkrankung aus dem Leben gerissen wird? Die belgischen Sopranistin Jodie Devos hatte alle Voraussetzungen, um den Mangel an Freude in dieser Welt zu lindern, und konnte damit in ihrem zehnjährigen Wirken viele Menschen begeistern. Umso größer ist nun die Trauer, dass die Musikwelt diese junge Ausnahmekünstlerin verloren hat.

 von Dr. Lorenz Kerscher

Wenn ich über einen Rising Star schreibe, erwarte ich sehr viel von seiner künftigen Entwicklung, jedoch am allerwenigsten, dass mir kurz darauf schon die traurige Aufgabe zukommt, einen Nachruf zu schreiben.

Doch erst vor acht Monaten musste ich der 25-jährigen Sopranistin Patricia Janečková diese letzte Ehre erweisen und nun erreichte mich die erschütternde Nachricht, dass am 16. Juni 2024 die belgische Sopranistin Jodie Devos ebenfalls an einem Krebsleiden verstorben ist. Bei dieser charmanten jungen Frau, die wie das blühende Leben wirkte und in oftmals heiteren Rollen auf der Bühne und dem Konzertpodium bezauberte, hatte ich die Möglichkeit eines solchen Schicksalsschlags am allerwenigsten in Betracht gezogen.

Sie sang überwiegend französisches Repertoire und hatte damit westlich des Rheins schon ein glänzendes Renommee erworben. Auch in Deutschland hätte sie sich längst bemerkbar gemacht, wenn ihr geplantes Debüt an der Deutsche Oper Berlin als Lakmé nicht der Coronapandemie zum Opfer gefallen wäre. Was man in den Videoportalen des Internets von ihr findet, belegt sehr beeindruckend, dass ihre Wertschätzung im französischsprachigen Raum allergrößte Berechtigung hat.

Jodie Devos im Finale des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs 2014

Jodie Devos wurde 1988 im wallonischen Teil Belgiens geboren und erhielt seit dem Alter von 16 Jahren Gesangsunterricht, gefolgt von einem Studium am Institut supérieur de Musique et de Pédagogie von Namur. Darauf folgte ein Aufbaustudium an der Royal Academy of Music in London, das ihr 2013 einen zweiten Mastertitel einbrachte. Mit dem 2014 gewonnenen zweiten Preis und dem Publikumspreis des renommierten Königin-Elisabeth-Wettbewerbs in Brüssel in der Tasche wurde sie in Paris in die Académie de l’Opéra comique aufgenommen, was den Opernstudios der deutschen Musiktheater entspricht und das Sammeln von Bühnenerfahrung in kleineren Rollen fördert. So begann sie ihre Laufbahn als Ida in der Fledermaus, doch schnell sprach sich herum, welch ein außergewöhnliches Talent sich da entwickelte. Bald schon boten ihr weitere Häuser in Frankreich und Belgien größere Partien an.

Das waren zunächst Soubrettenrollen in Operetten von Jacques Offenbach, bald auch die Susanna in Le nozze di Figaro und vor allem anspruchsvolle Koloraturpartien wie die Königin der Nacht und Lakmé. Städte wie Liège, Brüssel, Dijon, Monte Carlo, Montpellier, Toulouse und Tours standen auf ihrem Tourplan und an der Pariser Oper konnte sie 2017 als Yniold in Pelléas et Mélisande debütieren und 2020 die Puppe Olympia in Hoffmanns Erzählungen darstellen.

Les Contes d’Hoffmann von J. Offenbach – Olympia – „Les oiseaux dans la charmille“ (Jodie Devos, 2020)

Ihre Beziehung zum Werk von Jacques Offenbach war auch Inspiration für ihre CD Offenbach Colorature, die 2019 im Rahmen des OPER! Award als bestes Soloalbum ausgezeichnet wurde. Ansonsten präsentierte sie gerne interessante Raritäten wie in ihrem 2022 erschienenen Soloalbum Bijoux Perdus. Auch in den in YouTube verfügbaren Videobeispielen sang sie teilweise weniger Bekanntes, ihr aber hervorragend in der Stimme Liegendes, und konnte dabei noch mit bezaubernder Ausstrahlung punkten.

Gounod: Philémon et Baucis „Ô riante nature“ (Jodie Devos, 2018)

Nachdem Jodie Devos pandemiebedingt einige Zeit lang nur zwischen Plexiglasscheiben und vor leeren Sitzreihen wirken konnte, war das Tal der Tränen durchschritten, als sich die Opéra Royal de Wallonie in Liège ab 2022 besonders des Schaffens von Ambroise Thomas annahm und seine Opern Mignon und Hamlet auf die Bühne brachte. Und dabei stand es offensichtlich außer Zweifel, dass man mit ihr die Rollen der Philine und der Ophélie ideal besetzen konnte. So konnte sie in ihrem angestammten Fach als lyrischer Koloratursopran wieder sehr gut Tritt fassen. Dass Jodie Devos ein breiteres Repertoire abdecken kann, offenbart sich vor allem in der äußerst anspruchsvollen Titelrolle von Léo Delibes’ Lakmé. Im September 2022 stellte sie diese in Liège dar und Jean-Nico Schambourg berichtete darüber in seiner Rezension für Klassik-begeistert:

„Lakmé wird gesungen von der jungen belgischen Sopranistin Jodie Devos, die seit einigen Jahren eine fulminante Karriere hinlegt, besonders, aber nicht ausschließlich, im französischen Repertoire. Ihre glockenreine, höhensichere Sopranstimme passt natürlich total zur Koloratur-Glockenarie der Lakmé. Aber auch in den lyrischen Momenten und in den Liebesduetten mit Gérard (Philippe Talbot) weiß sie mit gut geführter Stimme und klarer Diktion zu überzeugen. (…)“

In dieser Rolle kommt ihr besonders zugute, dass sie die Wärme und Legatokultur eines lyrischen Soprans mit größter Leichtigkeit und Sicherheit in virtuosen Koloraturen verbinden kann. Hinzu kommt noch ihre herzenswarme Ausstrahlung, mit der sie die Nöte der unglücklich Liebenden sehr bewegend zum Ausdruck bringt. Erfreulicherweise kann diese schön inszenierte, von Frédéric Chaslin hervorragend dirigierte und mit einem durchgängig guten Ensemble besetzte Produktion auch in YouTube angesehen werden (Link s. u.).

Die Hoffnung, dass sie nach Ende der Pandemie auch deutsche Opernhäuser erobert und ich live dabei sein kann, muss ich nun leider begraben. Mir war ihr Gesang wie auch ihre Bühnenpräsenz zwar nur per Video, aber immer und zuverlässig eine Quelle der Freude. Gerade wie sie Komik mit Herzlichkeit verbinden konnte, war einzigartig. Ein Höhepunkt in dieser Hinsicht war, wie sie sich als Fille du Régiment durch furchtbar falsches Singen der besseren Erziehung durch ihre Tante widersetzte.

Leçon de chant – La Fille du Régiment, Donizetti (2021)

Wie soll man es nun verstehen können, wenn ein junger Mensch, voller Heiterkeit und mit gottbegnadetem Talent gesegnet, durch eine sinnlose und überflüssige Krebserkrankung aus dem Leben gerissen wird? Jodie Devos hatte alle Voraussetzungen, um den Mangel an Freude in dieser Welt zu lindern, und konnte damit in ihrem zehnjährigen Wirken viele Menschen begeistern. Umso größer ist nun die Trauer, dass die Musikwelt diese junge Ausnahmekünstlerin verloren hat.

Dr. Lorenz Kerscher, 18. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gesamtaufnahmen auf Video, französische Untertitel:

Gaetano Donizetti: La fille du régiment mit Jodie Devos als Marie (2021)

Ambroise Thomas: Mignon mit Jodie Devos als Philine (2022)

Léo Delibes: Lakmé mit Jodie Devos in der Titelrolle (2022)

Weiterführende Information:

Biografisch sortierte Playlist in YouTube

Offizielle Webseite (auf Französisch)

Jodie Devos in Wikipedia

Rising Stars 41: Jodie Devos, Sopran klassik-begeistert.de, 30. März 2023

Lakmé, opéra-comique von Léo Delibes Opéra Royal de Wallonie, Lüttich, 23. September 2022

Nachruf: Sopranistin Patricia Janečková klassik-begeistert.de, 9. Oktober 2023

4 Gedanken zu „Nachruf: R.I.P. Jodie Devos – wieder ist eine Quelle der Freude versiegt
klassik-begeistert.de, 18. Juni 2024“

  1. Wunderbarer Nachruf. Es ist unfassbar.

    Hans-Jürgen Mende

    (Anmerkung AS: Mende ist einer der profiliertesten Klassik-Moderatoren Deutschlands.)

    1. Vielen Dank! Mein Herz wollte es so, dass der Nachruf der einzigartigen Künstlerin gerecht wird. Der frische Wind, den sie in die Opernwelt gebracht hat, hätte länger wehen sollen!

      Viele Grüße, Lorenz Kerscher

  2. Danke für diesen würdevollen Nachruf… er wirkte tröstend auf mich, ich hoffe es geht auch anderen so.

    So viele sinnlose junge Krebsfälle in letzter Zeit…

    Karl

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert