Deren Funke zumindest hatte das Publikum im Großen Saal in Schwelbrand gesetzt und erst nachdem Blomstedts rechte Hand langsam gesunken war, brandete der Beifall los. Niemand hatte es gewagt, zwischen den Sätzen zu klatschen, was einerseits an der stillen Autorität dieses Jahrhundert-Dirigenten lag; andererseits wusste dieses Publikum offenbar tatsächlich, was es hier erleben und würdigen durfte.
Foto: © Monika Rittershaus
Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 17. Juni 2022
Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie C-Dur KV 338
Anton Bruckner, Symphonie Nr. 7 E-Dur
NDR Elbphilharmonie Orchester
Herbert Blomstedt, Dirigent
von Dr. Andreas Ströbl
Die Konzerttermine für 2023 stehen bereits – dann wird Herbert Blomstedt 96 Jahre alt sein. Der schwedische Maestro hat die Feier seines 100. Geburtstags schon den Wiener Philharmonikern versprochen. Und ja, wer den bescheidenen, charmanten, schlichtweg großartigen Dirigenten
am 17. Juni im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie erleben durfte, kann da durchaus zuversichtlich sein.
Nicht nur das auswendige, sondern durchweg stehende Dirigat (allein Bruckners „Siebte“ ist ungefähr 70 Minuten lang) ist für Blomstedt Ehrensache – Dirigieren im Sitzen sei „etwas für alte Männer“ bemerkte er augenzwinkernd noch kürzlich in einem Interview. Seinen Verzicht auf Alkohol, Nikotin und Fleisch führt er als Rezept fürs Jungbleiben auf, ebenso seine Verankerung in der Religion und vor allem die Musik, zumal in der Arbeit mit jungen Musikerinnen und Musikern. Vielleicht trägt auch seine sympathische Demut dazu bei, die denen fehlt, die viel Energie damit vergeuden, in dem sie immer die Besten, Strahlendsten sein wollen.
Bereits der Begrüßungsapplaus war stürmisch und herzlich. Nach ein paar knappen Verbeugungen verwies der Meister wortlos darauf, dass es hier um die Musik und nicht um ihn ginge. Mozarts 34. Symphonie KV 338 ist die letzte aus seiner Salzburger Zeit und den von optimistischen Empfindungen begleiteten Umzug nach Wien markiert vielleicht die fröhliche Feierlichkeit mit den akzentuierenden Pauken im ersten Satz. Schmiegsam-fließend kommt der zweite Satz daher, mit den klassischen feinen Appoggiaturen, die grazile musikalische Schnörkel wie vergoldete Rocaillen klingen lassen. Der abschließende dritte Satz ist von energischem Charakter, reizvolle Wechsel von Streichern und Holzbläsern strukturieren das Finale.
Diese oft aufgeführte Symphonie lässt sich ausgesprochen frisch und froh erleben, wenn jemand wie Blomstedt sie dirigiert. Der Grandseigneur gab all den Harmonie- und Dynamikwechseln einen jugendlichen Schwung und er musste sich dabei nicht mal viel Mühe geben. Mit seinen großen, eleganten Händen modulierte er die Klänge, die typisch leicht angewinkelten Finger der rechten Hand fingen die Töne gleichsam ein und fügten sie in den harmonischen Rahmen.
Seien wir ehrlich – dieses Konzert war ein Wallfahrtsziel für Blomstedt- und Bruckner-Fans, so gelungen der Mozart auch geraten war. Und so wurde die „Siebte“ auch ein echtes Fest, trotz all der Schwere, die durch die Trauer um den verehrten Richard Wagner in diese Symphonie geflossen ist.
Das hat sich auch in der Instrumentierung niedergeschlagen, denn Brucker hat die charakteristischen „Wagner-Tuben“, die eigentlich erweiterte Hörner mit breiterem und dunklerem Klang sind, nachträglich in den großen Orchesterapparat gebracht. Gerade sie und die „echten“ Hörner machen den satten Blechklang dieses Werks aus, der in dieser Aufführung, gemeinsam mit den Trompeten, makellos erscholl. Das starke Blech bringt einen alpenländischen Klang in diese Musik und zaubert gemeinsam mit den Streichern eine majestätische, gebirgige Landschaft. „Gebirgig“ deswegen, weil in dieser Symphonie romantisch-schwelgerische Abschnitte immer wieder in steinharter Schroffheit abgebrochen werden und sich die Klanggebilde zu steilen Gipfeln aufwerfen, die zwar strukturell miteinander in Verbindung stehen, aber jedesmal aufs Neue klarmachen, dass keine dieser dramatischen Höhen eine reine Wiederholung der bereits erklommenen ist.
Der erste Satz ist voller sanfter, wehmütiger Größe und goldenem Strahlen, aber ebenso mit wuchtiger Dramatik und spannungsreichen Steigerungen angefüllt. Darin ist schon der ganze Bruckner zusammengefasst und so bildet dies Allegro moderato fast eine eigene Symphonie. Idyllen, durch die Flöten sensibel inszeniert, werden immer wieder relativiert und in Frage gestellt; zum Finale hin wechselt forsch stapfendes Marschieren mit den typischen spiraligen Schleifen und Wellen; auf drohendes Donnergrollen folgt aus dem Hintergrund erneut das Leuchten der blauen Fernen.
Nach dem starken, jähen Abbruch dieses Satzes erscheint der großangelegte zweite fast introvertiert. Mitunter lässt diese Musik an den Rückblick auf ein langes Leben denken, mit all seinen unerfüllten Sehnsüchten, seinen Schmerzen und einem sich stets wieder hochkämpfenden Optimismus. Versöhnung und Ehrlichkeit durchdringen diese Musik, tiefer Ernst zügelt jeglichen Übermut und so verbleiben diese Erinnerungen bei aller Beschwörung einstiger Triumphe doch demütig und wissend um die eigene Vergänglichkeit. Gerade diese Demut und dienende Haltung ist es, die Blomstedt hier vollendet und unmissverständlich abgebildet hat, sicher nicht zuletzt deswegen, weil diese Musik seiner Haltung im Innersten entspricht. Das Orchester folgte ihm ganz selbstverständlich und organisch; es entstand der Eindruck völliger Harmonie zwischen dem Dirigenten und herausragenden Musikerinnen und Musikern.
Rasch anziehend wirkt der dritte Satz wie eine Vitaminspritze mit seiner Zuversichtlichkeit, die aber niemals profan klingt, sondern immer um mögliche Gefährdungen weiß. „Glaube bloß nicht, dass…“, scheint dieser Satz auszudrücken und macht ihn zu musikgewordener Weisheit, trotz aller leichtfüßiger Aspekte.
Geheimnisvoll beginnt der Finalsatz und erinnert mit seinen Holzbläser-Naturtönen etwas an Wagner’sches Waldweben, aber plötzlich bricht die Schroffheit heraus und zersprengt die vermeintliche, heimelige Idylle. Ecken und Kanten hat dieser Satz, bei all der sahnigen Cremigkeit der schwelgerischen Momente, und erneut lädt das starke, pralle Blech zu einem Aufstieg auf die Höhen, deren harte Felskanten auch hier durch scharfe Schnitte mit ganz kurzen Generalpausen abgebrochen sind. Aufkommende Leidenschaft zügelt sich stets und mahnt zur reifen Zurückhaltung.
Mit dem Ohr des Psychologen gehört vermag gerade diese Symphonie viel von Bruckners seelischer Disposition zu erzählen, als hätte dieser zurückhaltende, unsichere Mann, dessen Versuche, sich dem anderen Geschlecht zu nähern, das klägliche Scheitern von Anfang an in sich trugen, das Komponieren als Selbsttherapie genutzt, um all das auszuleben, was ihm in der sinnlichen Realität versagt war.
So mag es offen bleiben, wieviel projizierte Hingebung sich tatsächlich im phantastischen Fortissimo-Triumph, mit dem dieses Werk endet, verbirgt, oder ob Bruckner hier doch im Tempel seiner sehr eigenen Konfession aus aufrichtigstem Katholizismus und mystischem Dienst an Wagners Kunstreligion eine transzendente Fackel anzündet.
Deren Funke zumindest hatte das Publikum im Großen Saal in Schwelbrand gesetzt und erst nachdem Blomstedts rechte Hand langsam gesunken war, brandete der Beifall los. Niemand hatte es gewagt, zwischen den Sätzen zu klatschen, was einerseits an der stillen Autorität dieses Jahrhundert-Dirigenten lag; andererseits wusste dieses Publikum offenbar tatsächlich, was es hier erleben und würdigen durfte.
Ein denkwürdiger Abend, beglückend und erfüllt von der Größe eines genialen Komponisten und dessen brillantem Interpreten.
Dr. Andreas Ströbl, 19. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD- Rezension: Brahms, Symphonien 3 & 4, Gewandhausorchester Herbert Blomstedt klassik-begeistert.de
Herbert Blomstedt Berliner Philharmoniker, Philharmonie Berlin, 30.9.2021