Wenn Unfassbares geschieht

NDR Elbphilharmonie Orchester, Jess Gillam, Marin Alsop  Elbphilharmonie, 31. Mai 2024
Marin Alsop © Adriane White

LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770 – 1827)
Ouvertüre zur Oper Leonore“ Nr. 3 C-Dur op. 72a

JAMES MACMILLAN (*1959)
Konzert für Sopransaxophon und Streichorchester

SERGEJ PROKOFJEW (1891 – 1953)
Romeo und Julia

Elbphilharmonie, 31. Mai 2024

von Harald Nicolas Stazol

Ich weiß, dass diese Seiten es kategorisch verbieten, die Elphi auch, aber gerade lasse ich mich nicht im Zaume halten, und ich applaudiere, wahrlich nicht allein, dem „Tanz der Schwerter“, aus der Suite „Romeo und Julia“ des Sergeij Prokoffieff – von dem es so unterschiedliche Schreibweisen wie Interpretationen gibt –, der gerade verklungen ist, und ich klatsche, und reiße andere mit, aber was da gerade von Werk zu Musik wurde, bei allergenauester Werktreue zumal – ich bezweifele, diesen Tanz so irrsinnig-schön-imperial noch einmal hören zu dürfen, bei aller Schlussendlichkeit, denn damit endet ja, leider, leider, dieser Freitagabend im weiss-strahlenden Glaspalast über der Elbe.

„Meine Herren, heute waren wir besser, als wir eigentlich sind“ sagte Herbert von Karajan einmal seinen Wiener Philharmonikern, und es ist durchaus denkbar, dass Marin Alsop das nach diesem denkwürdigen Konzert auch gesagt haben wird, natürlich mit, „meine Damen und Herren“, denn das NDR Elbphilharmonie Orchester, das Beste der Stadt, das sage nun ich, hat sich gerade selbst übertroffen.

Wenn man von Komposition spricht, dann kann man auch die Zusammenstellung eines Programmes so nennen, und dieses Gegebene, in der Abfolge der Stücke, denn es ist makellos.

Es ist ein wenig spooky, wenn die Dirigentin aussieht, wie meine Lehrerin in der ersten Klasse. Noch spookier ist es, wenn sie knallrote Manschetten hat, die nun ihrer Performance eine gewisse Dramatik verleihen, die sich über das gesamte Konzert legt, die Niels und mich, heute ist er mein Begleiter, der Chef der leider inzwischen aufgelösten Bar RIAA für modern-modernste Musik auf Vinyl, immer mir Rettungsinsel nach der Philharmonie, der Laieszhalle oder der Staatsoper (geschenkt!), uns also so dermaßen in ihren Bann zieht, dass wir uns nur noch stumm mein Opernglas hin- und her reichen, so sehr zieht diese Dirigentin uns in ihren Bann:

Es beginnt mit Beethoven – schon mal der erste, wirklich perfekt-treffende Auftakt dieser Gesamtkomposition eines Programmes, das einen beeindruckt zurücklassen wird. Die Leonora-Ouvertüre, vom Meister dreimal umgeschrieben, Dieses mein geistiges Kind hat mir vor allen anderen die größten Geburtsschmerzen, aber auch den größten Ärger gemacht (LvB), da scheint es schon auf, dass „Heute sind wir besser, als nie“, mit Beethoven kann man auch gut beginnen, aber heute, heute Abend, ist alles, ALLES, irgendwie anders! Heute, heute Abend, ist alles ENTSCHIEDEN besser.

Wie soll man das so makellose Gesamtwerk beschreiben? Vielleicht so:

Ich habe mich schon öfter und verschiedentlich zur „Romeo und Julia“-Suite von Prokoffieff geäußert. Vom Kampfe Thybalts gegen Mercutio, zum programmatischen der Liebe – aber ist Liebe nicht immer einem Programm folgend? – und nun überlagern sich meine Eindrücke. Denn so mitreißend, wundervoll, makellos, habe ich die Abfolge der Renaissance-Charaktere noch nicht gehört!

Jess Gillam © Robin Clewley

Und mittendrin ein Schotte, JAMES MACMILLAN. Und sein Konzert für Saxophon. Sie mögen mich für durchgedreht halten, aber ja, da ist die Saxophonistin Jess Gillam, und ja, sie haut uns in den schottischen Weisen, von Gigue zu Reel zu Ich-weiß-nicht-was, komplett von den Socken, nicht nur Niels und mich, und ich habe ja nicht im Mindesten geahnt, zu welchen Tönen dieses Instrument imstande, von einer Frau, die in Paillettenjeans musiziert, funkelnd, überallhin, bis in alle Ränge, und dem Instrument die höchste Ehre antut, die man sich denken kann. Da geht es vom Pianissimo in Super-Forte, und unser Orchester umschmeichelt all dies, dass man vor Stolz auf alle nur zu platzen vermag. Virtuosität allerorten.

Nun aber noch einmal zu den für uns alle ewig Liebenden. Dass Prokoffieff ihnen ein Happy End zuschreiben wollte, bis Freunde ihn beschworen, er könne doch nicht Shakespeare umschreiben, nun, davon schrieb ich auf diesen Seiten bereits.

Doch heute Abend ist alles anders. Und ich weiß nicht, warum. Die Liebe, der Kampf, die verfeindeten Familien, das Sehnen, der Tod, man greift und begreift das alles, wie mit Händen. Es geschieht Unfassbares.

Da mag ein Zauber liegen, oder es geschieht schlicht ein Wunder, Zeitzeuge dessen zu sein, ist ein wahres Geschenk. Der Werke, der Aufführung, der Dirigentin, und des Publikums.

Besser kann ich es nicht ausdrücken – man möge mir verzeihen.

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