„Der Tod wird nicht mehr sein“ – Ein beeindruckender Abend um Mozarts „Requiem“ in der Elbphilharmonie

NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER / MATTHIAS BRANDT / MANFRED HONECK  Elbphilharmonie, 5. März 2023

Foto: Elbphilharmonie, NDR Elbphilharmonie Orchester, Manfred Honeck © A. Ströbl

NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER / MATTHIAS BRANDT / MANFRED HONECK

Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn sowie aus der Gregorianik

Manfred Honeck, Dirigent
Katharina Konradi, Sopran
Catriona Morison, Mezzosopran
Martin Mitterrutzner, Tenor
Tareq Nazmi, Bass

Matthias Brandt, Sprecher

Chor des lettischen Rundfunks
NDR Vokalensemble
Schola Cantorum Ansgarii
NDR Elbphilharmonie Orchester

Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 5. März 2023

von Dr. Andreas Ströbl

Der Titel der Veranstaltung am 5. März in der Hamburger Elbphilharmonie, „Mozart und der Tod in Wort und Musik“, gibt bei weitem nicht wieder, was da an musikalischer und verbaler Kraft und Intensität zusammengeballt war, um das auszudrücken, was das Jahr 1791 für Mozart und sein Schaffen, somit auch für die Nachwelt bedeutete.

Dass das eigene Sterbejahr mit der Komposition des wohl ernstesten und erhabensten Werks des Wahlwieners zusammenhängt, hat bereits die Phantasie Puschkins und in der Nachfolge Rimski-Korsakows sowie Miloš Formans mit seinem Film „Amadeus“ beflügelt.

Manfred Honeck hat in einem atmosphärisch dichten Projekt Texte und Musikstücke miteinander reagieren lassen, um sich der innersten Botschaft dieses Requiems, das letztlich zu Mozarts eigenem wurde, anzunähern. Beinahe hätte ihm dies das „Elphi“-Publikum verdorben, aber es triumphierte am Ende die Kunst.

Im ersten Teil des Abends erklangen die Ouvertüre zu Mozarts letzter Oper, „La clemenza di Tito“ (KV 621), und Joseph Haydns Symphonie D-Dur (Hob. I:93). Diese beiden weltlichen Werke hatten weniger inhaltlichen als vielmehr zeitlichen Bezug zur Thematik, waren doch beide in Mozarts Todesjahr entstanden. Die Ouvertüre kam frisch und straff im Tempo daher und leuchtete mit ihren reizvollen Dur-Moll-Wechseln und elegant fallenden Tonreihen.

Manfred Honeck © Felix Broede

Haydns D-Dur-Symphonie beginnt mit einem instrumentalen Weckruf für die im barocken Konzertsaal eingeschlafenen Herrschaften im Publikum. Wurde in der Einführung auf diesen Kniff des Komponisten mit der Bemerkung hingewiesen, dass sich damals die Konzertbesucher „nicht so ruhig und gesittet wie heute“ benommen hätten, so schien sich das Publikum einen Sport daraus zu machen, dies Lügen zu strafen. Nach jedem Satz wurde geklatscht und zwar von sicher zwei Dritteln bis zu drei Vierteln des Publikums, was der fein abgestimmten Struktur des Stücks schadete. Honeck nahm es erstmal stoisch hin und dirigierte das Werk flott und engagiert; er ist ein Meister darin, im Dirigat von der Reduktion bei den solistisch ausgerichteten Passagen und den Piano-Stellen sofort zu einem leidenschaftlichen Einsatz umzuschwenken, wenn es darum geht, einzelne Instrumentengruppen anzufeuern und Tempi zu beschleunigen. Seine Körpersprache ist engagiert, aber stets gemessen; weitab von jeder Selbstdarstellung stellt er sich ganz in den Dienst der Musik und derer, die sie erklingen lassen.

Nach dem Knalleffekt-Beginn entwickelte sich der erste Satz hin zu einer gemächlichen Gangart, um dann zu einem festlich-frohen, ja tänzerischen Charakter zu wechseln. Im zweiten Satz wuchs eine erste Intimität in eine drängende Bewegung; der Satz spielt ja mit Rücknahme und Forschheit; Pauke und Fagott setzten markante Akzente. Das „Menuetto“ des dritten Satzes hat durchaus etwas Ländler-artiges, fernab von höfischer Steifheit, vom Orchester munter umgesetzt. Jugendlich frische Dynamik prägte den Finalsatz; „Papa Haydns“ Humor blitzte in dieser kurzweiligen Interpretation mit ihren Umschwüngen in Tempo, Instrumentierung und Stimmungen ganz deutlich hervor.

Während des ganzen ersten Teils musste eine Frau in der ersten Reihe ständig auf ihr hell erleuchtetes Handy gucken. Der Rapper Chris Brown holte neulich in Berlin eine junge Frau auf die Bühne, die auch während seiner (nennen wir es mal „hingebungsvollen“) Aktion mit ihr einfach nicht die Finger von ihrem Daddelgerät lassen konnte. Schließlich schmiss er das Gerät in die Menge. Respekt!

In der Pause konnte man die auch im Saal huttragenden Herren, die sich mit teils viel zu kleinen Deckeln freiwillig zu Clowns machten, näher bestaunen. Und sich auf Teil zwei freuen.

Der begann ganz still mit der dreimal läutenden Totenglocke. Was für eine feine, sensible Einstimmung in diesen sakralen, ernsten Abschnitt! Ein Handy bimmelte. Gaudium interruptum.

Hinter der Verkleidung erklang durch die Schola Cantorum Ansgarii stimmungsvoll wie aus einer jenseitigen Sphäre der gregorianische Choral „Requiem aeternam“, bevor Matthias Brandt aus einem Brief Mozarts an seinen Vater aus dem Jahre 1787 las: „Da der Tod der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich mit diesem wahren, besten Freund des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild allein nichts Schreckliches mehr für mich hat.“ Der Duktus der Zeilen machte einen tiefernsten Mozart greifbar, der hier so gar nichts von dessen gewohnter Heiterkeit, ja Albernheit und Ausschweifung hatte.

Schola Cantorum Ansgarii © Dr. A. Ströbl

Leider erweckte die schlechte Abmischung der Verstärkung den Eindruck, Matthias Brandt habe einen „s“-Fehler und lispele, was aber nicht der Fall ist.

Unmittelbar anschließend erklang eine der eindrucksvollsten Kompositionen Mozarts überhaupt, die „Maurerische Trauermusik“ (KV 477). In diesem Stück zitiert Mozart den tonus peregrinus, einen gregorianischen Psalmton, was wahrscheinlich in einem rituell-freimaurerischen Zusammenhang steht. Das ergäbe Sinn, denn Mozart schrieb diese Musik anlässlich der Trauerfeier zweier Freimaurer, die, wie es in der maurerischen Diktion heißt, „in den ewigen Osten gegangen sind“. Es handelt sich um Herzog Georg August von Mecklenburg-Strelitz und Herzog Franz Esterházy von Galántha, beides Brüder der Wiener Loge „Zur gekrönten Hoffnung“, der auch Mozart angehörte.

Nun wird es persönlich, denn die Untersuchung des Leichnams und Sarges von Herzog Georg August waren Teil eines Forschungs- und Restaurierungsprojekts im mecklenburgischen Mirow nahe Neustrelitz, das meine Frau und ich seit 2009 betreuen. Im vergangenen Herbst legten wir seine sterblichen Überreste zurück in den restaurierten Bleisarg, in dem er von seinem Sterbeort, dem slowakischen Tyrnau, in die Familiengrablege nach Mirow überführt worden war. Der Sarg war wie viele andere in der Gruft der Johanniterkirche in der Nachkriegszeit von Plünderern aufgebrochen worden und bei der Rückbettung, die die Würde dieser Bestattung wiederherstellen sollte, hatten wir die „Maurerische Trauermusik“ im Ohr.

Sarg (Georg August) © Dr. A. Ströbl

Wenngleich hier das Unabwendbare so klar im Raume steht und das Ende beklagt wird, so hat diese Musik doch etwas Tröstliches. Sie ist nicht nur Totenklage, sondern erzählt auch vom Ausblick in eine jenseitige Existenz, wie ein schwarzglitzerndes Stück Anthrazit, dessen funkelnde kleine Facetten bereits auf die angelegte Transformation zum endgültig Edlen, zum Verklärten des Diamanten weisen.

Nach dem gregorianischen Choral „Domine exaudi orationem meam“ folgte Mozarts „Laudate Dominum“ aus den „Vesperae solennes de Confessore“ (KV 339) mit dem glockenhellen Sopran von Katharina Konradi, der sich wunderbar in den hoffnungsvoll leuchtenden Orchesterklang schmiegte.

Die ohnehin schon sehr störenden Huster hatten da schon das Niveau von Loriots „Hustenkonzert“ erreicht, aber leider war das nicht so lustig wie im Sketch von 1982. Konzerthusten zeugt nach dem Cellisten Wayne Booth von „fehlender Liebe zur Musik“ und entsteht laut dem Arzt Dr. Werner Bartens nicht durch trockene Luft, Viren oder Bakterien im Saal. Bei der Garderobe gibt es kostenlose Hustenbonbons, man kann sie sich auch vorher in jedem Supermarkt oder einer Apotheke kaufen und vor dem Einsetzen der Musik oder in den Pausen auswickeln und sich in den Mund schieben. Auffällig ist, dass die beteiligten Künstlerinnen und Künstler NIEMALS husten.

Als nach dem Verklingen der letzten Töne die Klatscher wieder anfingen, hatte Honeck genug und ließ sie mit einem Wink der linken Hand verstummen. Das tat er in der Folge nach jedem Stück und es zeigte Wirkung. So einfach geht das, verehrte Dirigentinnen und Dirigenten; Sie dürfen das in der „Elphi“ künftig bitte immer genau so tun, niemand wird es Ihnen verübeln, ganz im Gegenteil!

Nach dem Choral „In quacumque die“ las Matthias Brandt zwei Gedichte der von den Nazis verfolgten Schriftstellerin Nelly Sachs, „Wer weiß, wo die Sterne stehen“ und „Wenn im Vorsommer“, mit warmem, feinfühligem Ton.

Das Kernstück des Konzerts, Mozarts „Requiem“ (KV 626) wurde anschließend durch einen weiteren Choral, „Christus factus est“, und zwei Lesungen aus der Johannes-Apokalypse gegliedert. Diese Text-Musik-Kombination war insgesamt so stimmig und eindrucksvoll, dass manch einem der sensibleren Konzertbesucher Tränen in die Augen stiegen.

Katharina Konradi © Staatsoper Hamburg

Die Sopranistin Katharina Konradi, die Mezzosopranistin Catriona Morison, der Tenor Martin Mitterrutzner und der Bass Tareq Nazmi sangen phantastisch artikuliert gleichermaßen vier Farbfacetten eines feingeschliffenen solistischen Kleinods innerhalb einer vollkommen abgerundeten Gesamtleistung mit dem Chor des lettischen Rundfunks und dem NDR Vokalensemble, eingebettet in den Wohlklang eines kraftvoll und zugleich transluzid spielenden NDR Elbphilharmonie Orchesters.

Stärkster Moment des Abends war das Aufeinandertreffen von Text und Ton, als Brandt in die Stelle „Denn es ist gekommen der große Tag seines Zorns, und wer kann bestehen?“ die ganze heilige Wut eines von Inbrunst bebenden Propheten herausschrie und unmittelbar darauf das „Dies irae“ erscholl. In Sekundenbruchteilen befiel eine Kollektiv-Gänsehaut alle die, die Ohren hatten zu hören.

Selten hat man dieses Requiem je nach den einzelnen Abschnitten so energisch und entschieden, hart und unbarmherzig, dann wieder tröstend und sanft schmelzend gehört – im Tiefsten entsprechend dem Wortlaut der Apokalypse, dass mit dem Jüngsten Tag eine Welt entsteht, in der „Tod…nicht mehr sein“ wird.

Foto: Elbphilharmonie, NDR Elbphilharmonie Orchester, Manfred Honeck © A. Ströbl

Um der Korrektheit willen und das Fragmentarische des Werks herauszustellen, erklang zum Schluss noch einmal das Lacrimosa, aber nur die von Mozart original geschriebenen ersten acht Takte – schließlich ist ein großer Teil des Requiems ja von Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr vollendet worden. Alle „reinen“ Süßmayr-Teile fehlten an diesem Abend („Sanctus“, „Benedictus“ und „Agnus Dei“).

Damit dies abgeschnittene Ende nicht in der Luft hängenblieb, beschloss das „Ave verum corpus“ aus der Motette in D-Dur (KV 618) diese beeindruckende Veranstaltung. Eine sehr leise Totenglocke ließ mit drei feinen Schlägen vom Kirchhof in die Wolken blicken.

Ein Handy bimmelte. Dann war Ruhe. Himmlische Ruhe. Endlich.

Bleibt nur zu sagen, dass der Beifall der Gesamtleistung entsprechend begeistert aufbrandend und langanhaltend war. Es könnte alles so unfassbar schön sein, wenn diese Schönheit auch alle würdigten.

Dr. Andreas Ströbl, 7. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart, RequiemSalzburg, 29. Oktober 2021

Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem, Witold Lutosławski, Musique funèbre, NDR Elbphilharmonie Orchester, Balthasar-Neumann-Chor und -Solisten, Anna Lucia Richter, Wiebke Lehmkuhl, Lothar Odinius, Tareq Nazmi, Thomas Hengelbrock, Elbphilharmonie Hamburg

 

 

3 Gedanken zu „NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER / MATTHIAS BRANDT / MANFRED HONECK
Elbphilharmonie, 5. März 2023“

  1. Es tut mir leid, auch hier widersprechen zu müssen. Den „Tonus peregrinus“, den 9. Psalmton, hat Mozart in seinem Requiem im 1. Satz an der Textstelle „Te decet hymnus…“ verwendet, nicht jedoch in der Maurischen Trauermusik.
    Der „Tonus peregrinus“ hat zwei besondere Merkmale: die kleine Terz in der Eingangsformel und die Tatsache, dass im 2. Halbvers der sogn. Rezitationston einen Ton tiefer liegt, als im 1. Halbvers. Diese beiden Merkmale unterscheiden ihn von allen anderen Psalmtönen.
    Der gregorianisch anmutende Melodie in der Maurischen Trauermusik liegt keiner der Psalmtöne zugrunde. Sie ist eine Mozartsche Erfindung, angelehnt an die Te-tecet-Hymnus Stelle im c-Moll Requiem von Michael Haydn (das Mozart bekannt war) und hat mit dem Tonus peregrinus gemeinsam, dass auch hier der Rezitationston des 2. Halbverses einen Ton tiefer liegt.

    Prof. Karl Rathgeber

    1. Lieber Herr Rathgeber,

      herzlichen Dank für Ihren Hinweis. Wir werden eine Korrektur vornehmen.

      Herzlich

      Andreas Schmidt

  2. Da ich selbst kein Gregorianik-Experte bin, bleibt mir nur, mich auf die entsprechenden Autoritäten zu berufen. Die Fachliteratur zumindest ist da eindeutig (Daniel Heartz, Mozart, Haydn and Early Beethoven: 1781–1802. New York 2009, S. 443).
    Weitere Nachweise findet man im Netz: https://en.wikipedia.org/wiki/Maurerische_Trauermusik, https://wikigerman.edu.vn/wiki27/2020/12/maurerische-trauermusik-wikipedia/, https://de.frwiki.wiki/wiki/Maurerische_Trauermusik, https://de.wikibrief.org/wiki/Maurerische_Trauermusik, https://classiccat.net/mozart_wa/477.info.php?lang=nl (Auswahl).
    Ich zitiere den Präsidenten des Verbandes der Evangelischen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland (VEM), Herrn Peter Ammer: „Ab ca. der 2. Minute spielt die Oboe exakt diese Linie – auch wenn sie später anders weitergeht (ein Zitat ist es allemal)“.
    In der Hoffnung, damit weitergeholfen zu haben,
    Dr. Andreas Ströbl

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