Maximale Musikalität und Leidenschaft: Vollendete Cello-Kunst und sympathische Kanadier entzücken Hamburg

Orchestre Métropolitain de Montréal, Yannick Nézet-Séguin, Elbphilharmonie

Foto © Claudia Höhne
Elbphilharmonie
Hamburg, 1. Dezember 2017
Orchestre Métropolitain de Montréal
Marie-Nicole Lemieux Alt
Jean-Guihen Queyras Violoncello
Yannick Nézet-Séguin Dirigent
Pierre Mercure Kaléidoscope
Hector Berlioz Les nuits d’été
Camille Saint-Saëns, Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 33
Edward Elgar, Enigma-Variationen op. 36
Maurice Ravel, Pavane pour une infante défunte (als Zugabe)

von Sebastian Koik

Es beginnt gut, aber noch irdisch. In der ersten Hälfte des Konzerts braucht das Orchestre Métropolitain de Montréal noch ein wenig um anzukommen und sich auf den Saal einzustimmen. Die Altistin Marie-Nicole Lemieux gefällt in Berlioz‘ Les nuits d’été mit kraftvoller und dramatischer Stimme. Die Höhen sind ihre Stärke, hier ist sie voller Energie und kann mit klangschönen Spitzentönen glänzen. Die sympathische Frankokanadierin singt sich mit ansteckender Leidenschaft und Energie in die Herzen des Publikums.

Was dann in der zweiten Hälfte des Konzerts passiert ist außergewöhnlich! Mit Weltklasse-Leistungen reiht sich der Auftritt in die Höhepunkte der jungen, aber bereits enorm glorreichen Elbphilharmonie-Geschichte ein!

Der in Montréal geborene Franzose Jean-Guihen Queyras begeistert, elektrisiert, berührt im Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 von Camille Saint-Saëns. Der junge Cellist ist umwerfend gut, macht sprachlos. Seine unglaublich leicht wirkende Virtuosität ist atemberaubend! Das technisch und musikalisch höchst anspruchsvolle Stück spielt er in vollendeter Perfektion, herrlich zart, warm, dramatisch, packend und mit vollendetem Timing. Besser geht es nicht. Wirklich nicht. Jean-Guihen Queyras präsentiert sich hier als einer der allergrößten Künstler seines Fachs, beweist, dass er zu den größten drei bis fünf Cellisten der Gegenwart gehört.

Das Orchestre Métropolitain de Montréal ist nach der Pause von Beginn an ebenfalls voll da und begeistert mit herrlicher Musikalität, Feingefühl und Tiefe. Yannick Nézet-Séguin, 1975 in Montréal geboren, hat das Geschehen voll im Griff und führt sein Orchester zu Spitzenleistungen.

Es macht Spaß diesem kanadischen Weltklasse-Dirigenten zuzusehen. Das Dirigenten-Podest scheint fast zu klein für den körperlich kleinen Mann mit dem großen Herzen zu sein. Er nutzt die komplette, ihm zur Verfügung stehende Fläche mit seinen tänzelnden Schritten und Sprüngen, dirigiert in ausladenden Gesten mit viel Leidenschaft und Energie.

Es ist eine Freude Yannick Nézet-Séguin zuzuschauen. Doch vor allem die von seinem Klangkörper erzeugte Musik macht deutlich, dass dieses äußerst sympathisch wirkende Energiepaket aus Kanada zu recht als einer der besten Dirigenten unserer Zeit gilt und bei den renommiertesten Orchestern und Häusern der Welt stark angefragt wird.

Es folgen die Enigma-Variationen von Edward Elgar. In dieser edlen Wahnsinns-Komposition voller Schönheit, Erhabenheit und Kraft präsentieren sich die Streicher extrem stark. Außer gelegentlichen winzigen Schwächen beim Becken spielt die Perkussions-Abteilung knackig, agil und auf den Punkt.

Die Variation 9, „Nimrod“, ertönt von diesen großartigen Musikern gespielt zum Dahinschmelzen schön! Besser, schöner, erhabener und überirdischer geht es nicht!

Als das prächtige Elgar-Stück und der offizielle Teil des Konzerts beendet sind, sehen die Musiker sehr, sehr glücklich und begeistert aus! Sie hatten sichtlich großen Spaß an der Musik und dem Auftritt in Hamburgs herrlichem Musiktempel! Sie wirken hellwach und präsent und scheinen ähnlich elektrisiert zu sein vom Zauber der schönen Kompositionen und des sensationellen Abends wie das Publikum. Letzteres spendet mit großem Jubel und Bravo-Rufen Beifall. Es gibt Standing Ovations fast vom kompletten Saal.

Man wünschte sich, dass man baden könnte in der schönen Musik, dass dieses passionierte Orchester mit seinem enthusiastischen Dirigenten bis in alle Ewigkeit in der Elbphilharmonie weiterspielte. Auf Erden scheint das nicht möglich zu sein, doch eine Zugabe bekommt das Publikum noch zu hören. Diese wird vom charmanten Yannick Nézet-Séguin als „a little Nachspeise“ angekündigt.

Die Hörner spielen Maurice Ravels Pavane für eine tote Prinzessin herrlich bezaubernd und edel, mit wunderbarer Zartheit und Eleganz. Sie erzeugen große Spannung und berühren. Schöner kann Blech nicht erklingen!

Himmlisch schön musizieren auch die herrlichen Holzbläser und die Violinen. Dazu zupft die Harfe, und der Zuhörer lebt für Minuten auf Wolke 7 – mit Gänsehaut. Das starke Orchester verzaubert mit großer Klasse, Leidenschaft und Musikalität.

Sobald der letzte Ton verhallt, ruft ein Zuhörer mit lauter Stimme den kanadischen Gästen ein beseeltes „Thank you“ entgegen.

Merci beaucoup, liebes Orchestre Métropolitain de Montréal. Merci beaucoup, Yannick Nézet-Séguin. Merci beaucoup, Jean-Guihen Queyras. Thank you, Kanada.

Das Konzert wurde mitgeschnitten und wird am 21. Januar 2018 um 11 Uhr auf NDR Kultur ausgestrahlt.

Sebastian Koik, 6. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de

Foto: Claudia Höhne

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