Foto: Klaus Mäkelä © Lukas Beck
Oslo Philharmonic
Klaus Mäkelä, Dirigent
Sol Gabetta, Cello
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 20. November 2022
von Jürgen Pathy
Viel ist über ihn bereits geschrieben worden. Klaus Mäkelä, den blutjungen Dirigenten, der zurzeit als die heißeste Aktie gehandelt wird. Von „Wunderkind“ über „Tausendsassa“ bis hin zu Mann der Zukunft, alles davon hat man schon gelesen. Einen ähnlichen Hype hat man seit Teodor Currentzis nicht mehr erlebt. Den Vergleich hält der finnische Shootingstar aber nicht stand. Im Wiener Konzerthaus stößt Mäkelä an seine Grenzen.
Tschaikowskys Abschied
Tschaikowskys sechste Symphonie, die sogenannte „Pathétique“, ist sein musikalisches Vermächtnis. Das Abschiedswerk eines Komponisten, der damit eigentlich schon sein eigenes Requiem vorweggenommen hat. Neun Tage nur nach der Uraufführung ist Tschaikowsky verstorben. An Cholera, glaubt man der offiziellen Version. Ein ritueller Suizid könnte es gewesen sein, vermuten andere. Offizielles Statement dazu gibt es nicht.
Der Grundcharakter des viersätzigen Werks ist düster: h-Moll, die „schwarze Tonart“, die auch als Synonym für den Tod herhalten muss. Bereits bei Beethoven und Schubert war das so. Bei Tschaikowsky ist das nicht anders. Durchaus nachvollziehbar also, könnte man meinen, das ganze Werk somit als trostlos auszulegen. Mäkelä deutet es zumindest so. Sonst hätte er den Charakter des Beginns, eine Studie in Schwarz, nicht das ganze Werk hindurchgezogen. Alles dunkel, alles aussichtslos – nicht ein einziger Sonnenstrahl am Horizont.
Das Problem dabei: Tschaikowsky hat auch Lichtblicke eingebaut. Kleine Fluchtwege der Freude, die zum Feiern einladen. Neapolitanische Cafehaus-Stimmung zum Beispiel, wie im zweiten Satz, einem Intermezzo im 5/4 Takt. Kleine lyrische Inseln, wie im zweiten Thema des ersten Satzes. Aber genauso im dritten Satz, einem quirligen Scherzo. Alles Momente, die dem Leben auch einen Sinn verleihen.
Bei Mäkelä versinken diese zur Gänze. Gehen in einem undifferenzierten Gemisch aus losem Spannungsaufbau und mangelnder kapellmeisterischer Fähigkeiten unter. Überwiegend, weil Mäkelä es verpasst, diese rettenden Anker zu ergreifen. Dadurch geht der ganze Reiz des Werks verloren. Teilweise aber, weil Mäkelä es verabsäumt, das Orchester in den Griff zu bekommen.
Anfängliche Hoffnungsschimmer
Bei Strawinskis Divertimento, einem neoklassizistischem Werk im Stile Mozarts, fällt das noch nicht auf. Das ist ein musikalisches Leichtgewicht. Damit hatte man im Wiener Konzerthaus, das bis an den Rand gefüllt ist, noch vielversprechend begonnen. Immerhin kennen die Oslo Philharmonic jede Bewegung ihres Chefdirigenten, der sich aufgrund seiner Jugend perfekt vermarkten lässt. Seit über vier Jahren arbeitet man zusammen. Bei einem anspruchsvollen Werk wie Tschaikowskys „ Pathétique“, fällt das schwer ins Gewicht.
Vielleicht liegt es nur an der Tagesform, dass Mäkelä keinen Ausweg aus dem Nebel findet. Vielleicht aber auch nur an der Erfahrung. Die wirft dann zum Glück Sol Gabetta ins Rennen.
Mit Schostakowitsch’ Cellokonzert in Es-Dur liefert sie den Höhepunkt dieses Abends. Schostakowitsch hatte das Werk 1959 komponiert und Mstislaw Rostropowitsch gewidmet. Bei Sol Gabetta nimmt das Werk richtig weibliche Züge an, die dieses zarte Nichts in einem friedlichen Licht präsentieren.
Dass dann am Ende die Zuschauer toben, wäre ihretwegen schon nachvollziehbar. Da sitzt die sportliche Argentinierin allerdings schon mitten im Publikum. Die überschwängliche Euphorie, die sich Mäkelä wegen auch durchs ganze Feuilleton erstreckt, allerdings nicht ganz.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 22. November 2022, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Igor Strawinski
Divertimento Le baiser de la fée
Dmitri Schostakowitsch
Konzert für Violoncello und Orchester Nr.1 Es-Dur op. 107
Peter Iljitsch Tschaikowsky
Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“
Oslo Philharmonic Klaus Mäkelä, Dirigent Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 22. Mai 2022