Parsifal, Richard Wagner
Richard-Wagner-Festspiele, Bayreuth, Montag, 25. Juli 2016
Und am Ende herrscht Frieden. Himmlischer Frieden. Auf der Bühne im Festspielhaus in Bayreuth legen Vertreter aller vier Weltreligionen die Insignien ihres Glaubens in einen Schrein; Kruzifixe, siebenarmige Leuchter und liturgische Gegenstände aller Art landen im Sarg. Knaben und Ritter singen „Höchsten Heiles Wunder! Erlösung dem Erlöser!“ und gehen einer hoffnungsvollen Zukunft entgegen. So endet die Neuinszenierung des „Bühnenweihfestspieles Parsifal“ zum Auftakt der Richard-Wagner-Festspiele 2016 in Bayreuth mit einer positiven Verständigungsvision.
„Rund um das Festspielhaus in Bayreuth dreht sich am Tag nach dem ersten Selbstmordanschlag eines Islamisten in Deutschland alles um Sicherheit und Terrorangst“, schreibt die Deutsche Presse Agentur. „Und im Festspielhaus ruft Regisseur Uwe Eric Laufenberg dem Publikum zu: Lasst das doch mit der Religion – und konzentriert Euch aufs Menschsein.“ Dem Programmheft vorangestellt ist ein Zitat des Dalai Lama: „Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten.“
Die Gralsritter der „Parsifal“-Geschichte verortet der Intendant des Hessischen Staatstheaters in Wiesbaden in einer zerschossenen katholischen Kirche im Nahen Osten im heutigen Irak, der Wiege des Christentums. Flüchtlinge scheinen auf Feldbetten Kirchenasyl gefunden zu haben. Ja, die Aufführung ist religionskritisch, aber auf gar keinen Fall „islamkritisch“, wie vor der Premiere zu hören war. Im zweiten Aufzug erscheint Parsifal in einem Kampfanzug mit vollgepackten Munitionstaschen in Klingsors Zauberschloss, das sich als Harem entpuppt. Parsifal ist auf Abwege geraten auf einen Kreuzzug – erst im dritten Aufzug wird er in der Begegnung mit Gurnemanz und Kundry geläutert. Nach Jahren kehrt er als Kämpfer in Ninja-Montur mit dem heiligen Speer zurück, der zum Kreuz geformt ist.
Schwarz verschleiert sind die Blumenmädchen im zweiten Aufzug. Bevor sie die Bühne betreten, befinden sie sich hinter Gittern – verschleierte Frauen, eingesperrt! „Wer Islamkritik sucht, könnte sie hier finden“, schreibt die Deutsche Presse Agentur. „Doch sobald sich der Schleier verschiebt, könnte es sich auch im katholische Nonnen handeln. Laufenberg macht da keinen Unterschied.“ Und lange tragen die Mädchen die schwarze Verschleierung nicht – unter ihnen kommen Bauchtänzerinnen-Kostüme zum Vorschein.
Durch die drei Aufzüge führt Kapellmeister Hartmut Haenchen, für den aus bislang unerklärlichen Gründen abgesprungenen Dirigenten Andris Nelsons am Pult, in vier Stunden recht luftig und zügig. Und sehr klar. Vielleicht könnte er noch mutiger dirigieren. BR-Klassik gratuliert: „Pulsierende Tempi halten den breiten Strom der Musik wie durch natürliches Gefälle immer im Fluss. Stehende Gewässer und düster wabernde Klangnebel gibt es hier nicht. Die musikalischen Bögen gliedern sich, die Melodien sprechen: Dieser Wagner atmet.“ Stehende Ovationen sind dem 73 Jahre alten Dresdener und dem Orchester der Bayreuther Festspiele ebenso sicher wie dem Regisseur, dem Chor und allen Solisten.
Auch in Hamburg sind die Zuschauer nach der Übertragung in der UCI Kinowelt Mundsburg aus dem Häuschen. Drei Sänger des renommierten Symphonischen Chores Hamburg verfolgen die Festpielpremiere in hochbequemen Kinosesseln – ein Sitzgenuss im Vergleich mit der Bestuhlung auf dem Grünen Hügel. „Das ist musikalisch gesehen der beste Parsifal, den ich jemals gesehen habe, sagt der Hamburger Medienanwalt Ulrich Poser, 53, der Wagners „Parsifal“ schon 27 Mal live verfolgt hat – sieben Mal auch in Bayreuth. „Musikalisch geht nicht mehr als heute! Die Solisten waren Weltklasse! Dank des überragenden Dirigats von Hartmut Haenchen habe ich viele musikalische Feinheiten wie die Glocken und das Schlagwerk neu entdeckt.“
Für Thomas Sievers, 68, war es der dritte „Parsifal“ nach zwei Aufführungen an der Hamburgischen Staatsoper und am Theater Lübeck. „Dieser Parsifal hat mich musikalisch am meisten überzeugt, ja beeindruckt“, sagt der Hamburger. „Die Zeit ist wie im Fluge vergangen – das dürfte auch an den schnellen Tempi gelegen haben. Unter den Sängern waren Klaus Florian Vogt als Parsifal und Georg Zeppenfeld als Gurnemanz herausragend.“ Der Apotheker Wilfried Feldhusen, 53 aus dem niedersächsischen Wingst, selbst ein Sänger mit Solo-Format, fand alle Charaktere „stimmtechnisch ganz phantastisch, nur der ansonsten sehr gute Chor hat die Höhen im Anschluss an piano-Stellen nicht immer einhundertprozentig erreicht“.
Am meisten Applaus bekam an diesem Abend der Bass Georg Zeppenfeld als Gurnemanz. Er war, was Stimmintensität und Genauigkeit anbelangt, der herausragende Sänger – und bot eine makellose Aufführung. Note 1 plus, würde man in der Schule sagen. Sehr mächtig, wenn es sein musste, sehr dunkel, angenehm sanft an vielen Stellen und mit einer klaren, deutschen Aussprache gesegnet. Kaum jemand im Weltklasseformat hat eine so klare Artikulation wie Zeppenfeld.
Dass Wagners Abschieds- und Meisterwerk, uraufgeführt am 26. Juli 1882 in Bayreuth, zu einem so außergewöhnlichen Erfolg wurde, lag an diesem Abend auch am Hauptdarsteller Parsifal selbst: Klaus Florian Vogt, weltweit bekannt als der wohl beste Lohengrin-Darsteller. Im ersten Aufzug, Parsifal erlegt einen heiligen Schwan, kam seine stimmliche Überlegenheit noch nicht ganz so zur Geltung, aber ab dem zweiten Aufzug zeigte der Ausnahmesänger, der mit seiner Frau und vier Söhnen in Dithmarschen (Schleswig-Holstein) lebt, dass er akustische Höchstgenüsse zu erzeugen vermag. „Vogt ist Reinheit in Vollendung“, bilanzierte der Wagnerianer Ulrich Poser.
Auch Die Welt jubelt: „In der Titelrolle, als ‚reiner Tor’ Parsifal, zeigt Klaus Florian Vogt erneut, dass ihm alles, was mit Gral zu tun hat (so wie Lohengrin), besonders entgegenkommt. Wenn er im zweiten Akt endlich den begehrten heiligen Speer in Händen hält, wechselt er von einem zuvor eher kräftigeren Gesang zu seinem weltberühmten hellen, klaren, knabenhaften Tenor, und es fühlt sich an, als würde irgendwo einer das Licht anknipsen. Definitiv ein Kandidat als Tor des Monats.“
Die international erfahrene Sopranistin Elena Pankratova als Kundry brauchte ein paar Takte, um ihre Leistung voll abrufen zu können – im Verlaufe der ersten beiden Aufzüge brillierte sie als Oktavwunder mit ihrer tiefen Altlage bis zur höchsten, glänzenden Sopranlage. Zweimal hatte die russische Sängerin einen kleinen Frosch im Hals; an der deutschen Aussprache wird die ehrgeizige Sopranistin noch etwas zu arbeiten haben.
Amfortas (der US-Amerikaner Ryan McKinny), eine explizite Christusgestalt mit Dornenkrone und Wundmalen, überzeugte durch seine heldenbaritonale Stimme voll wunderbaren satten Schmelzes und sorgte mit seinem durchtrainierten Bodybuilding-Körper für Aufsehen; Gerd Grochowski vermochte als Klingsor mit seinem Bass nicht an den männlichen, vollen Bass von Georg Zeppenfeld heranzureichen.
Was unterm Strich bleibt ist tosender Beifall für alle Beteiligten. Unter denkbar ungünstigen Bedingungen war es eine wunderbare Premiere.
Andreas Schmidt, 26. Juli 2017
klassik-begeistert.de
Im Gegensatz zu dieser Aussage bezeichne ich KF Vogt als eine Fehlbesetzung; seiner Stimme fehlt die männliche Kraft.
Sehr geehrter Herr Schmitt,
meine Partnerin sieht die Leistung von KF Vogt genauso wie Sie –
wir beide haben da einen Dissenz, aber das macht das Leben ja häufig spannend…
Sicherlich ist Vogt ein besserer Lohengrin als Parsifal – aber er kann ja auch nicht immer das gleiche singen…
Mit besten Grüßen aus München, zwei Tage vor den „Meistersingern“, über die ich Anfang der Woche berichten werde
Andreas Schmidt M.A.
Redakteur
Vogts Stimme erinnert mich immer an Rudi Schuricke, wenn Ihnen der Name noch etwas sagt!