Pathys Stehplatz (19) - Antonello Manacorda: So sollte "Don Giovanni" nicht mehr klingen

Pathys Stehplatz (19): Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart  Wiener Staatsoper, 1. Februar 2023

Philippe Sly und Kyle Ketelsen in »Don Giovanni« © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart

Barrie Kosky, Inszenierung
Antonello Manacorda, Musikalische Leitung

Wiener Staatsoper, 1. Februar 2023

von Jürgen Pathy

So langweilig kann Mozart klingen. Bereits nach den ersten Takten war klar, das wird sich ziehen wie Kaugummi. Das zu „überstehen“ wird eine Herausforderung – nicht die einzige vielleicht, die größte aber bestimmt. Mit so einem Gedanken bereits bei der Ouvertüre von Mozarts „Don Giovanni“ konfrontiert zu sein, sollte heutzutage eigentlich nicht mehr passieren. Viele Dirigenten beweisen das Gegenteil. Antonello Manacorda schafft es leider nicht. An der Wiener Staatsoper leidet die ganze Inszenierung an seiner Auslegung der Partitur.

So sollte Mozart nicht mehr klingen

Dabei kann man seinem Dirigat gar nicht vorwerfen, es sei nicht individuell. Nein. Da wird man schon fündig. Vor allem nach der Pause, wo sein kammermusikalischer Ansatz, mit feinen Linien und dezent-nobler Tongebung, schon seine Berechtigung hat. Da spielte dem Italiener die Partitur in die Hände.

„Okay, hat es sich doch ausgezahlt“, besänftige ich mein Gewissen, das mir zuvor schon nämlich geraten hatte: „Los, verschwinde, geh nach Hause. Du hast zurzeit eigentlich Anderes zu tun, als in der Oper rumzuhängen“. Vor allem, wenn es den Aufwand und den Widerstand, den es zuvor zu beseitigen galt, nicht rechtfertigt. Ja, die Oper und das Privatleben, die stehen schon zeitweise in großer Konkurrenz. Clash nicht immer ausgeschlossen.

Vor der Pause allerdings, da stand sein Ansatz, die Partitur in einer recht eindimensionalen Art zu lesen – man könnte auch sagen: in einer recht farblosen, eher zurückhaltenden Weise – völlig konträr zu allem. Nicht nur zu Mozart, der indirekt Anzeichen hinterlassen hatte, mutig zu sein, etwas zu wagen. Sich mit der Agogik zu spielen, mit den Tempoveränderungen. Nein, auch dem Charakter der Inszenierung widerspricht diese Lesart.

Für die hatte Direktor Bogdan Roščić letzte Saison Barrie Kosky an die Wiener Staatsoper geholt. Zum ersten Mal, könnte man fast meinen. Irrtum: Kosky hatte schon 2005 für einen neuen „Lohengrin“ gesorgt. Mit wenig Erfolg, wie er auch selbst bestätigte: „Das hat ein bisschen zu einem Trauma geführt.“

Der „Don Giovanni“ allerdings: ein Genuss. Wenn auch bei einigen Teilen des Publikums ebenso durchgefallen, eine Meisterleistung in vielen Belangen. Primär allerdings in einem Punkt, den die Kritik generell sonst so oft bei anderen Regisseuren in Frage stellt: die Personenführung!

Koskys bühnenreifes Spektakel

Bei Koskys Produktion treiben es die beiden Hauptprotagonisten nämlich ziemlich wild. Springen, tanzen, jonglieren – alles mit dabei, womit der Leporello dieser Produktion, Philippe Sly, selbst beim Cirque du Soleil einen soliden Eindruck hinterlassen würde. Kyle Ketelsen, der Don Giovanni dieser Produktion, steht dem um nicht viel hinten nach. Optisch schon gar nicht: Da verweist Ketelsen seinen „kleinen Bruder“, so deutet Kosky Leporellos Beziehung zu Don Giovanni, deutlich in die Schranken. Vor allem, wenn man auf den aktuellen Fitness-Hype aufspringt, der mittlerweile eh schon wieder etwas am Abflachen ist: Mit so einem lupenreinen „Waschbrett-Bauch“, auch „Sixpack“ genannt, kann nicht jeder dienen.

Bei Manacorda funktioniert das Regiekonzept leider nicht. Beim Italiener, der an der Wiener Staatsoper auch schon die alte, undurchsichtige Martinoty-Inszenierung geleitet hat, stirbt Don Giovanni nicht erst mit der Höllenfahrt. Nein. Bereits nach 20 Minuten schießt es mir durch den Kopf: „Don Giovanni ist eigentlich schon tot. Diese musikalische Interpretation beraubt ihn jeglicher Lebenskraft!“.

Widerstand zum Willen einer frischen Interpretation, könnte man das beinahe nennen. Wenig Elan, kaum ein Anzeichen, auch nur irgendetwas zu wagen. Zug nach vorne – Fehlanzeige! Dabei würde doch gerade diese geballte Kraft an schauspielerischer Vielfalt, die da auf der Bühne wartet, genau dieses Feuer, diesen Elan vertragen. Fast schon danach lechzen. Stattdessen Flucht in schönmalerische Welten. Fast schon bewusst reaktionär, rückwärts gerichtet, um dieses beliebte Fremdwort gleich zu entschlüsseln.

Bitte nicht falsch verstehen: Dieser musikalische Ansatz könnte vielleicht schon seine Anhänger finden. Beim gemächlichen Publikum, dem die schrägen Vögel auf der Bühne schon zu viel sein könnten. Seit Harnoncourt & Co – dabei möchte ich übrigens auch Philippe Jordan hervorheben, der Anfang der Saison hier ordentlichen Willen und Mut gezeigt hat, aus dieser Partitur alles nur Erdenkliche herauszukitzeln. Seitdem kann man sich solch interpretatorische Einöde allerdings nicht mehr antun.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 5. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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