Foto: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
„Kinder, macht Neues!“ Ein viel zitierter Satz von Richard Wagner, den man auch viel zu ernst nehmen kann. Kirill Serebrennikov hat es gewiss. Beim russischen Regisseur, der zur Premiere 2021 noch zu Hausarrest verdammt gewesen war, bleibt kein Stein auf dem anderen. Seine Deutung des „Parsifal“ liefert zwar ein gewaltiges Bildspektakel. Führt aber dazu, dass man aus diesem Monsalvat irgendwann nur mehr die Flucht ergreifen will. Zum Glück steht Philippe Jordan am Pult. Der liefert Reinigendes.
von Jürgen Pathy
„Ich weiß nicht, ob ich nun schlauer bin als zuvor“, tönt es hinter mir, Galerie Stehplatz Mitte. Zwei Herren, die man getrost als Fanatiker bezeichnen könnte, zerbrechen sich gerade den Kopf. Über Sergio Morabitos Werkseinführung, der man zuvor noch im Mahler Saal folgen durfte. Kostenlos und regelmäßig bietet man die an. Rund dreißig Minuten vor der Vorstellung, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Regietheater macht es auch notwendig.
Etwas schlauer ist man danach gewiss. Die Handlung spiele in einer „Maison centrale“, einer Art französischer Haftanstalt. In der muss Parsifal sich hochboxen. In der Hierarchie der Häftlinge, wie man im ersten Akt dann anschaulich vermittelt bekommt. Doppelt erscheint er auch noch. Als eine Art Retrospektive auf das Leben, schafft Serebrennikov seiner Titelfigur genügend Zeit und Raum, um sich der eigenen Vergangenheit zu stellen. Der erwachsene Parsifal erinnert sich an seine Jugend.
Generell sei das etwas Wichtiges, wie Serebrennikov in einem Interview erwähnt. Um das Leben zu verstehen, sei es einfach notwendig, einmal innezuhalten. Den ganzen Weg in Erinnerung zu rufen, den man schon zurückgelegt hat.
Dass der beim Parsifal dann durchaus blutrünstig ausfällt, hat schon für einige Diskussionen gesorgt. Statt aus Jux und Tollerei einen Schwan zu erlegen, mutiert der in Serebrennikovs Gedankenwelt zu einem eiskalten Mörder. Kein Widerspruch, legt Sergio Morabito, der Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, die schützende Hand um seinen Kollegen. „Wagner selbst soll es als Mord bezeichnet haben“. Eine mutige Auslegung.
Jung oder Alt: Nichts kann Wagner zerstören
Dass dann dennoch einige Köpfe rauchen, mag vielleicht gar nicht so am doppelten Lottchen liegen. Damit hat man sich schon angefreundet. Immerhin bietet es Spielraum für optische Reize, die Nikolay Sidorenko da liefert. Als junger Parsifal zeigt er viel Fleisch und Haut. Auch nicht so an den brutalen Bildern, mit denen Serebrennikov den Mord dann über die Leinwand flimmern lässt. Jugendfrei sieht anders aus. Deshalb warnt die Wiener Staatsoper auch selbst. „Ein Besuch der Vorstellung wird ab 16 Jahren empfohlen“, steht auf deren Homepage.
Viel mehr könnte man sich am fehlenden Speer stoßen, der Amfortas am Ende eigentlich erlösen sollte. Oder an der überbordenden Symbolik, die dem ein oder anderen Kollegen sicherlich ein Dorn im Auge sein könnte. Oder an den vielen weiteren Widersprüchen, die einige da ausfindig gemacht haben.
An der ganzen Bande, die in Monsalvat ihr Unwesen treibt, gibt es künstlerisch eigentlich wenig auszusetzen. Gurnemanz, der die Fäden zieht, ist bei Franz-Josef Selig bestens aufgehoben. Selten hat man einen so gütigen Bass durch das Staatsopernoval strömen hören. Amfortas hat bei Michael Nagy eine prächtige Stimme gefunden. Groß, wie sein Name, der aus dem Ungarischen stammt, erklingt der Bariton des noch relativ jungen Stuttgarters.
Über den Parsifal müsste man eigentlich gar kein Wort mehr verlieren. Genügend ist schon über Klaus Florian Vogt geschrieben worden, um noch irgendetwas Neues zu verkünden. Selbst als erwachsener Parsifal überstrahlt sein burschikos-heller Tenor alle. Einzig und allein eine Sorge trübt das Vergnügen: Wer soll nach ihm folgen?
An der Kundry spalten sich die Geister. „Es ist erst ihre zweite Vorstellung“, dafür sei Ekaterina Gubanova sensationell gewesen. Kann man so stehen lassen, auch wenn Elīna Garanča den dramatischen Ausbrüchen der verdammten Hexe um einiges mehr Gewicht verleihen konnte. Damals, 2021, zur TV-Premiere.
Nur bei Derek Welton sind sich viele einig. Dem australischen Bassbariton, der mit einem unglaublich schönen Material gesegnet ist, fehlt es an Charisma – im Zaubergarten, bei Serebrennikov kurzerhand zu den Räumlichkeiten eines Modemagazins umgestaltet. Da bleibt viel, fast zu viel, von der Boshaftigkeit eines Klingsor auf der Strecke.
Karfreitagszauber am Ostersonntag
An Philippe Jordan gibt es an diesem Abend gar nichts zu meckern. Der scheint sich nun endgültig auch von seinem letzten Laster befreit zu haben. Auch wenn er das ein oder andere Fortissimo ein wenig zu ernst nimmt, einen derart ausbalancierten Klangteppich hat der gebürtige Schweizer im Wiener Graben noch selten ausgebreitet. Leidenschaftlich, Gänsehaut erweckend das erste Vorspiel. Von fast schon sakral reinigender Wirkung dann der Schlussaufzug.
Schnee von gestern, scheint da mittlerweile der Zwist. Mit Ende 2025 wird Jordan ja das Haus verlassen. Die Wiener Philharmoniker sollen dabei das Zünglein an der Waage gewesen sein. An diesem Abend, keine Spur davon. Da lässt es sich Konzertmeister Rainer Honeck auch nicht nehmen, eine auf Gendermainstreaming hochpolierte Edelgarnitur des Orchesters in den Graben zu führen. Sieben Damen an den ersten Geigen. Die lassen dann einiges erahnen.
Erstens: Dass sie jeden Lügen strafen, der sich dessen noch verwehrt. Zweitens: Dass man die Bühne durchaus auch Mal links liegen lassen kann. Das Spektakel findet bei Wagner auch ringsherum statt. Selten sieht man so viel modische Extravaganz zur Schau getragen wie bei Wagner-Vorstellungen.
Und drittens: Dass der Karfreitagszauber letztendlich sowieso im Graben zu suchen ist. Egal, wie bildstark Serebrennikovs Deutung auch ausfallen mag. Bleibt man im Hier und Jetzt, um es mit einer buddhistischen Gelassenheit zu beurteilen, der sich Serebrennikov ja verschrieben hat, sicherlich eine tadellose Inszenierung. Sucht man nach den mythischen Wurzeln, bleibt man vermutlich erfolglos.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 10. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“
Richard Wagner, Parsifal Wiener Staatsoper, 11. April 2021 (Stream bei ARTE Concert vom 18. April)
Ich wollte mich hier eigentlich nicht mehr melden, aber bei diesem Bericht versuche ich es doch noch einmal.
Zunächst: Es gibt kein Theater ohne Regie, vielleicht könnte man diesen (Un)begriff endlich entsorgen. Und nein, es benötigt nicht immer eine Werkseinführung, mitdenken reicht oft. Vielleicht auch weniger an oberflächlich Äußerlichem hängen: „Gendermainstreaming hochpolierte Edelgarnitur“, „viel modische Extravaganz“, „zeigt er viel Fleisch und Haut“ (bei Sidorenko ist doch wohl eher interessant, dass er ausgezeichnet spielt!).
„‘Wagner selbst soll es als Mord bezeichnet haben’. Eine mutige Auslegung.“ Nein, sondern genaue Textkenntnis: „Du konntest morden, – hier, im heil’gen Walde …“.
Kundry als „verdammte Hexe“ zu bezeichnen, ist ja noch eindimensionaler als Wagner seine Frauenfiguren sowieso schon sah. In dieser Inszenierung erst recht. Wer braucht einen Speer? Kundry ist die Waffe, mit der Klingsor die Männer verführt, Parsifal dreht diese Waffe durch einen einzigen Blick gegen Klingsor, sie erschießt ihn, und Kundry ist es, die auf Anweisung Parsifals Amfortas erlöst. Das war doch völlig klar gezeigt und auf dieser mitmenschlichen Ebene viel berührender als ein alberner Speer.
Es geht um Erlösung. Die funktioniert auch ganz ohne Mythos.
Eva Arts
Werte Frau Arts,
dass Sie im Zusammenhang mit dem Begriff Mord auf den Text verweisen ist löblich, Sie tun es aber nicht mit der nötigen Konsequenz, sonst würden Sie nicht die Berechtigung des Speeres in Zweifel ziehen, der übrigens ein eigenes musikalisches Thema hat. Er gehört wie Kundry zu Klingsors Waffenarsenal und wird gebraucht, da die Waffe Kundry bei Parsifal nicht zündet. Auch in der Wiener Inszenierungen geht es nicht ganz ohne Speer. Albern ist der Speer, der auch als phallisches Symbol in einer sexualisierten Welt zu deuten ist, gewiss nicht.
Wagners Sicht auf seine Frauenfiguren wäre, so Ihre Meinung,“eindimensional“.
Da reib ich mir verwundert die Augen, ist doch Kundry als Dienerin, Verführerin und Büsserin konzipiert. Oder sind Ortrud, Elsa, Brünnhilde, etc. Produkte einer eindimensionalen Sicht?
Volkmar Heller
Auch der Speer „zündet“ bei Parsifal nicht und in dieser Inszenierung wäre er „albern“. Da sein eigenes musikalisches Thema zum richtigen Zeitpunkt des Bühnengeschehens erklingt, bleibt alles richtig. Kundry ist die Waffe, die Parsifal umdreht. Eindimensional? Na klar, Heilige oder Hure, Engel oder Büßerin; zuerst „verdammte Hexe“ und dann darf sie nurmehr „dienen“. Das nenne ich eindimensional. Männliche Uraltklischees. In dieser Inszenierung bekommt sie eine etwas aktivere, komplexere Kontur, die v.a. Garanča wunderbar umsetzen konnte.
Eva Arts
Liebe Frau Arts,
vielen Dank für ihr Stellungnahme. Die ist immer willkommen!
PS:
Ein Fehler ist im Text unterlaufen. Elina Garanča war nicht die Kundry der kompletten Premierenserie. Ihre Darstellung hat mir anscheinend so den Kopf vernebelt, dass ich das nur dachte. Sie hat nur die Premiere im TV, ohne Livepublikum, gesungen. Danach kam Anja Kampe zum Zug.
Jürgen Pathy
Kleine Korrektur:
„auch wenn Elīna Garanča den dramatischen Ausbrüchen der verdammten Hexe um einiges mehr Gewicht verleihen konnte. Damals, 2021, zur Premierenserie…“
Elīna Garanča hat – leider – nur in der Livestream-Premiere gesungen. Bei den Vorstellungen im Dezember 2021 war Anja Kampe als Kundry zu hören. Nach ihrer Venus-Absage wartet die Opernwelt weiter mit Spannung auf Garančas szenisches Wagner-Publikumsdebüt.
Johannes Karl Fischer
Vielen Dank, Johannes!
Habe es selbst dann bemerkt. Besser gesagt, hat man mich von mehreren Seiten darauf aufmerksam gemacht.
Garanča hat auf jeden Fall einen Eindruck hinterlassen. Sogar bei mir, der im Grunde kein Garanča-Fan ist. Als Kundry scheint sie aber eine Wucht. Ich hoffe, dass wir sie da noch Live erleben dürfen.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy