Pathys Stehplatz (52): Salzburger Festspiele – elitär mit Currentzis!

Pathys Stehplatz (52) – Salzburger Festspiele: elitär, aber mit Currentzis!

T. Currentzis © Alexandra Muravyeva

Salzburger Festspiele – ist nur was für „G’stopfte“. „Mein Onkel hasst sie“, kommt mir zu Ohren. Der war mal eine große Nummer in der österreichischen Kulturlandschaft. Namen gibt es keinen, Privatsphäre, versteht sich eh von selbst. Der Ruf der Festspiele ist also klar: elitär, versnobt, nur was für die „Großkopferten“. Darf einen nicht wundern, wenn man so auf die Kartenpreise blickt. Salzburg kann aber auch anders.

von Jürgen Pathy

Bis zu 465 Euro pro Karte, das kann einen schon mal aus den Socken hauen. Nur ein Vergleich dazu: An der Wiener Staatsoper kosten gleichwertige Karten rund die Hälfte. Dass es auch günstiger geht, darf man aber nicht verheimlichen. In Salzburg gibt es sogar Stehplätze. Um läppische 10 €, das muss man sich Mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Qualität – hervorragend! Zumindest im Haus für Mozart. Selbst getestet, letzte Woche erst. Bei „Titus“, Gianluca Capuano am Pult, Cecilia Bartoli auf der Bühne. Ein Erlebnis.

Currentzis – zukünftig vielleicht vom Stehplatz

Im Großen Festspielhaus schaut man aber durch die Finger. Stehplätze dort – nein, leider! Bitte unten anstellen und tiefer in die Tasche greifen. Das könnte man in Zukunft durchaus ändern. Einige Millionen Euro hat man in die Hand genommen. Bund, Land und Stadt Salzburg, um das Festspielgelände einer Modernisierung zu unterziehen. 2025 ist Startschuss, parallel zum Betrieb soll umgebaut werden. Ein paar Stehplätze inklusive – hoffentlich! So wie in der Felsenreitschule, als auch am Domplatz beim Jedermann. Dort hat man bereits jetzt die Möglichkeit.

Dafür bekommt man im Festspielhaus was anderes. Teodor Currentzis, der vielerorts der „Cancel Culture“ zum Opfer gefallen ist. In Salzburg hält man an ihm fest. Dem Griechen mit russischem Pass, der sich partout nicht öffentlich gegen Putin äußern will. Muss er auch nicht, wo sind wir bitte?! Seine Musik spricht Bände. „War Requiem“ von Britten; „Babij Yar“ von Schostakowitsch, ein Mahnmal an den Holocaust in der ehemaligen UdSSR. Deutlicher geht’s nicht, würde man ihm’s mancherorts nicht verbieten.

Milo Rau hat ihm was gepfiffen. Stattdessen Oksana Lyniv bevorzugt. Macht auch ideologisch im Augenblick mehr her. Frau, jung, attraktiv und noch dazu mit ukrainischem Pass. Damit geht man bei den Wiener Festwochen natürlich den leichteren Weg, als mit dem Russen, der von sanktionierten Geldern profitieren könnte. Indirekt zumindest, wenn es überhaupt noch aktuell ist. Sponsoring der russischen VTB Bank. Das reicht den meisten auch schon aus, um Currentzis von den Spielplänen zu streichen.

„Teodor“

Eine verblendete Fehlentscheidung, die den Kahlschlag an der Qualität nur beschleunigt. Wer Currentzis in Salzburg wieder erlebt hat, der kann das nur bestätigen. „Teodor“ übrigens. Zeigen Sie mir einen Dirigenten, der sich mit dem Vornamen ansprechen lässt. Probieren Sie es Mal mit „Hallo Christian“. Auf die Reaktion bin ich gespannt. Bei „Teo“, wie sie ihn auch nennen – da steht das an der Tagesordnung. „Herr Currentzis“ – unvorstellbar! Passt einfach nicht.

Peter Sellars und Teodor Currentzis © Salzburger Festspiele, Anne Zeuner

Nicht, weil Currentzis keine Autorität ausstrahlt oder keinen Respekt verdient hätte. Nein – weil es einfach wider jegliche Natur wäre. Das ist er einfach nicht. „Maestro“ könne man seinen Frisör nennen, hatte einst schon Nikolaus Harnoncourt gesagt. Bei Currentzis verhält es sich nicht anders. Er ist halt einfach „Teodor“, das „Geschenk Gottes“, das für alle ein Ohr offen hat. Selfie hier, Autogramm dort, eine Frage zu der Vorstellung – Teodor steht immer bereit. Die Eltern werden sich schon was dabei gedacht haben, ihn so zu nennen.

Qualität kommt von Qual

Geworden ist aus ihm „Sui generis“, ein Charakter, der in seiner Einzigartigkeit keine Konkurrenz zu fürchten hat. Ein Dirigent, der viel verlangt – klar. Kreidet man ihm gerne an, dem „Fanatiker“, der Probenzeiten nicht ganz ernst nimmt. Dem „Verrückten“, der sie quält und schindet, bis sie alle umfallen. Das Resultat spricht aber für ihn.

Ja, er fordere sehr viel, bestätigt eine Musikerin von Utopia. Dem Orchester, mit dem Currentzis seit geraumer Zeit durch Europa tourt. „Aber er zwingt einen zu nichts“. Das kann man der jungen Geigerin schon glauben. Aus Deutschland dürfte sie stammen, Currentzis kenne sie schon länger. Nun spielt sie in beiden Orchestern. Eins, das hat Currentzis für Mozart, Bach & Co geformt, auf historischen Instrumenten. Ein anderes, das erledigt alle weiteren Aufgaben. Romantisches Repertoire: Mahler, Schostakowitsch & Co. Auf klassischen Instrumenten also, wo Power, Volumen und Klangewalt gefragt sind.

Jedermann!

Dass Teodor Currentzis sicherlich auch anders kann – keine Frage. Dirigenten kochen generell ihr eigenes Süppchen. Eins, das natürlich immer im Mittelpunkt stehen muss. Sonst wären sie an den zweiten Geigen. „Ein Stück weit narzisstisch“, muss man da schon sein. Bestätigt Leslie Suganandarajah, ein sri-lankischer-deutscher Dirigent. In der Doku: „Twist: Wie wird man Dirigent:in?“, auf ARTE und NDR im Frühjahr 2024 ausgestrahlt.

Passt irgendwie auch zu den Salzburger Festspielen. Glitzer und Glimmer, im Mittelpunkt stehen, in der internationalen Auslage. Dafür halten sie einem aber regelmäßig den Spiegel vor. Das letzte Hemd hat keine Taschen, mahnt Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“. Nur die guten Taten zählen am Ende. Fast schon paradox, das inmitten des Epizentrums des Geldadels anzubringen. Das ist halt auch Salzburg, wo es noch immer der Kultur gilt. Trotz der Nobelkarossen, trotz der schicken Kleider. Ein kultureller Hotspot eben, der in seiner Einzigartigkeit genauso wenig zu ersetzen ist wie Teodor Currentzis.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“

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3 Gedanken zu „Pathys Stehplatz (52) – Salzburger Festspiele: elitär, aber mit Currentzis!“

  1. Herr Pathy schreibt über Musik und deren Interpretation, wie die Jungfrau vom Kind! Hat er sich denn je damit befasst, dass die musikalische Interpretation eine ziemlich große Tradition hat. Hört er denn nicht, dass zum Beispiel ein Tristan-Vorspiel von Knappertsbusch ganz anders klingt, denn von Thielemann oder die Frau ohne Schatten von Karajan und Böhm und wieder Thielemann anders ist und doch wird ausschließlich Richard Strauss gespielt ohne Beifügung anderer Noten aus anderen Werken. Mir ist Herr Currentzis als Person ziemlich egal – ich nehme an der Hetze pro oder contra nicht teil – das hat in der Kultur nichts zu suchen, aber was er macht, ist mir nicht egal. Etwas mehr Respekt vor den Komponisten und deren Werken täten gut!!!

    Karl Bauer

    1. Lieber Herr Bauer,

      die Person an sich ist immer von Bedeutung! Alle Großen – Karajan, Bernstein, Thielemann – lebten und leben AUCH vom Personenkult. Man schafft keine Reichweite, ohne charismatische Persönlichkeiten. Deshalb ist Currentzis wichtig!

      Zum Verfremden gewisser Werke, zum Beifügen oder Mixen von Kompositionen, bleibt nur zu sagen. Ansichten und Prinzipien sind verschieden. Man kann Verfechter der „Partiturdiktatoren“ sein. Ebenso kann man eine Sichtweise vertreten., die weniger dogmatisch verhaftet ist. „Kunst ist frei“, das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers. Der Rest bleibt Geschmacksache! Solange die Qualität der Musik passt. Die steht bei Currentzis überwiegend außer Frage.

      Jürgen Pathy

      1. Auch das ist Ansichtssache!!!
        Leider wird es immer seltener ein Werk original zu hören – im Sprechtheater schon lange nicht mehr und nun hält dieser Unfug im Musiktheater Einzug. Die Möglichkeit, das Original zu hören wird immer geringer. Wenn schon Vielseitigkeit proklamiert wird, warum dann nicht beide Möglichkeiten???? So schlecht waren ja die alten Meister wieder auch nicht und sind vielleicht eine Anregung zum (nach-)denken!!!

        Karl Bauer

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