Wenn das Cello zum störrischen Esel wird

Patricia Kopatchinskaja und Sol Gabetta im Mozarteum Salzburg  Stiftung Mozarteum, 29. Juli 2023

Sol Gabetta und Patricia Kopatchinskaja © Der Bund.ch

Patricia Kopatchinskaja und Sol Gabetta im Mozarteum

Salzburg, Stiftung Mozarteum, 29. Juli 2023

Patricia Kopatschinskaja, Violine
Sol Gabetta, Violoncello

von Kirsten Liese

Ich habe Patricia Kopatschinskaja schon mit so manch trefflicher Interpretation gehört, aber nicht erwartet, ein so ungewöhnliches, vorzügliches Duo-Konzert mit ihr und der Cellistin Sol Gabetta in Salzburg zu erleben. Auf Gabetta trifft das gleichermaßen zu: Als Kammermusikerin überzeugt sie mich voll und ganz, noch nie zuvor hat sie mich derart für sich eingenommen. Für intime Musik erscheint sie mir jedenfalls weit stärker prädestiniert als für die großen romantischen Cellokonzerte, bei denen sie für meinen Geschmack keinen so seidigen, großen schönen Ton vernehmen lässt wie ich ihn von anderen berühmten Cellisten gewohnt bin.

Die jungen Frauen haben sich keineswegs für dieses eine Konzert in der Stiftung Mozarteum zusammengefunden, sondern musizieren schon seit längerem zusammen. Das ist ihrem fein aufeinander abgestimmten Zusammenspiel deutlich anzuhören. Das, was sie an diesem Abend anbieten, geht zudem über reines Musizieren hinaus, eigentlich erleben wir hier zwei Performerinnen, die in mehrere Stücke humorvoll Gebärdensprache einbringen.

Besonders lustig wird es, wenn der Wettstreit der beiden Instrumente zwischen allerlei wüsten Kaskaden eskaliert wie in einem Duo des Zeitgenossen Jörg Widmann. Abrupt verstummt das Cello, demonstrativ dreht Gabetta den Kopf zu ihrer Partnerin und schaut sie herausfordernd eine gefühlte Minute lang an, als wollte sie ihr zu verstehen geben, es sei auch für sie an der Zeit, endlich innezuhalten.

Noch krasser wird der musikalische Disput in einer Miniatur, die Kopatschinskaja selbst komponiert hat und dessen Titel „Ghiribizzi“ sie dem Publikum gegenüber als „Nein“ übersetzt.  In zunehmend ruppigeren, virtuoseren schnellen Tonfolgen überbieten sich Violine und Violoncello, bis  das Cello auch hier wie ein sturer Esel stehen bleibt und die Spielerin abermals den Kopf zur Seite dreht. Da ist er wieder, der starre, herausfordernde, strenge Blick, der in dieser Konstellation belustigt wie in einer Comedy.

Ich gebe zu, so manches kurze Stück an diesem Abend beschert fast mehr Spaß als Musik, aber das ist freilich auch ein bisschen der Konstellation geschuldet, dass das Repertoire an Originalmusik für die kleine Besetzung Violine und Violoncello überschaubar ist.

Mit allerhand zeitgenössischen kurzen Stücken und  Arrangements ausgewählter Bachscher Werke für ihre Instrumente, die sie mit den denkbar größten Kontrasten in dichter Folge aufeinander prallen lassen, gibt sich das Duo jedoch innovativ. Es sind überwiegend recht kurze Impressionen, die – kaum dass man sich in sie eingehört hat – schon wieder verklungen sind.

Das schönste Kleinod darunter ist das Presto aus einem Klavierstück von Carl Philipp Emanuel Bach. Es tönt, ganz und gar gezupft, nach zärtlicher Mandolinenmusik,  intim wie in dem Kämmerchen eines Burgfräuleins. Die körperliche Nähe macht da freilich Sinn: Dicht sitzen die Beiden nebeneinander, ihre Pizzicati gehen derart nahtlos ineinander über, dass man die Instrumente klanglich kaum unterscheiden kann. Das berührende  Ständchen wird immer noch leiser, bis man die Ohren gewaltig spitzen muss, um überhaupt noch etwas zu hören. Kann das in einem Konzertsaal funktionieren? Es kann! Das Publikum spitzt die Ohren, lauscht den Interpretinnen gebannt in Mucksmäuschenstille. Einfach hinreißend ist das. Wie ein Gedicht.

Aber Fetziges gibt es auch. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Stück unter dem Titel „Dhipli Zyia“ von Iannis Xenakis, stark rhythmisiert und von einem mitreißenden Drive. Überhaupt gelingt der aus Moldawien stammenden Geigerin und der argentinischen Cellistin ein kleines Wunder: für die Kammermusik, die heute einen schweren Stand hat, Begeisterung zu wecken. Die lebendige, lustvolle Präsentation spielt dabei gewiss eine große Rolle.

Jedenfalls musizieren die Beiden mit einer Spielfreude und Spontaneität, die ansteckt. Und meistern ihre teils technisch lausig schwere Stücke mit einer schlafwandlerischen Sicherheit, als sei es ein Kinderspiel. Ist einmal ein allzu atonales, fades darunter wie das von Francisco Coll, macht das auch nichts. Es dauert ja nicht so lange. Bei alledem beherrscht das Duo die hohe Kunst der Kammermusik: das genaue Aufeinander-Hören. Im Idealfall hört man mehr auf den Anderen als auf sich selbst, sagte der legendäre Pianist Menahem Pressler. Und das kauft man den beiden ab.

Nicht zu vergessen ihre sagenhafte Vitalität, die das Konzert vom  Auftakt an bestimmt: Wie fahrende Musiker galoppieren die beiden Frauen musizierend auf die Bühne, die Geigerin mit einem Schellenband am Fuß, das den munteren Charakter des ausgewählten Satzes unterstreicht. Der tönt allerdings weniger nach dem Barockmeister Leclair als einer mittelalterlichen Improvisation.

Gelingt ein solches Programm derart kurzweilig, sind auch kleinere Pannen nicht der Rede wert. An einer Stelle sind die Spielerinnen kurz nicht zusammen. Beim ersten Satz des Duos von Kodály reißt Gabetta eine Saite. Aber das hat sein Gutes, das Adagio ist voll von herrlichen Motiven, die wechselweise durch beide Stimmen ziehen, auf diese Weise hat man die Chance, den Satz zur Hälfte doppelt zu hören.

Die beiden Duos von Kodály und Ravel sind ohnehin die Hauptstücke in dieser Soirée, die einzigen, die mehrere Sätze enthalten. Erst da wird eigentlich die Performance zu einem richtigen Konzert. Und das mit dem entsprechenden Raffinement: impressionistisches, bisweilen jazzig angehauchtes Parfüm für den Franzosen, rustikale Klänge für das Volkstänzerische beim Ungarn.

Vielleicht braucht es heute eine solch ungewöhnliche Dramaturgie und Ausstrahlung der Künstlerinnen, um Kammermusik wieder an ein Publikum zu bringen. Bei den beiden hat es jedenfalls funktioniert. Ihr Auftritt hat in dem bis auf den letzten Platz besetzten Mozarteum gezündet. Das Publikum war nicht erst am Ende aus dem Häuschen. Nur eines müssen Konzert-Newcomer noch lernen: Zwischen den Sätzen bitte nicht klatschen!

Kirsten Liese, 30. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm:

Jean-Marie Leclair
Tambourin: Presto aus der Sonate für Violine und Basso Continuo op.5/10

Jörg Widmann
Valse bavaroise und Toccatina all’inglese aus „24 Duos für Violine und Violoncello“, Heft2

Johann Sebastian Bach
Präludium Nr.15 BWV 860 aus „Das Wohltemperierte Klavier I“

Francisco Coll
Rizoma für Violine und Violoncello

Maurice Ravel
Sonate für Violine und Violoncello

Johann Sebastian Bach
Aus den „Zweistimmigen Inventionen“ BWV 772-786

Patricia Kopatchinskaja
Ghiribizzi für Violine und Violoncello

György Ligeti
Hommage à Hilde Rosenberg für Violine und Violoncello

Iannis Xenakis
Dhipli Zyia für Violine und Violoncello

Carl Philipp Emanuel Bach
Presto WQ 114/3 aus „Kurze und leichte Clavierstücke II“

Zoltán Kodály
Duo für Violine und Violoncello op.7

Patricia Kopatschinskaja, Violine, Sol Gabetta, Violoncello Elbphilharmonie, Hamburg, Großer Saal, 29. Oktober 2021 

8. Abonnementkonzert d, Patricia Kopatchinskaja, Violine, Gustavo Gimeno, Leitung München, Isarphilharmonie, 24. Juni 2023

Sol Gabetta & London Philharmonic Orchestra – Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals Musik- und Kongresshalle Lübeck, 18. Juli 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert