Sommernachtskonzert Schönbrunn 2020. Foto: © Max Parovsky
Performance am 17. Juni 2021 im Museumsquartier Halle E
Arnold Schönberg: Pierrot Lunaire
Pierrot lunaire: Sofia Jernberg
Regie: Marlene Monteiro Freitas
Klangforum Wien
Dirigent: Ingo Metzmacher
Sommernachtskonzert 2021 beim Schloss Schönbrunn
Solist: Igor Levit
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Daniel Harding
In der ersten hochsommerlichen Phase knapp vor der Sonnenwende 2021 gab es in Wien interessante Kulturevents zu erleben. Natürlich ist die Dichte der Veranstaltungen gerade zu dieser Zeit besonders hoch, da durch die Lockerungen der Coronamaßnahmen jetzt viele Produktionen nachgeholt werden.
von Herbert Hiess
Im Rahmen der Wiener Festwochen 2021 gab es eine hochinteressante Produktion von Schönbergs „Pierrot Lunaire“, die durch die Regie kein Melodram mehr war, sondern vielmehr eine „Performance“. Diese Aufführung lädt zu einem direkten Vergleich mit den Wiener Festwochen 2004 ein, wo dieses Werk mit Pierre Boulez zu sehen war. Da war das Melodram ein Teil eines Triptychons und Anja Silja konzentrierte sich hier auf das Wesentliche, nämlich auf das kunstvolle Rezitieren der 21 Gedichte, während Pierre Boulez auf der Bühne die großartigen fünf Musiker seines Ensembles Intercontemporain dirigierte.
Hier im Museumsquartier waren die fünf phantastischen Mitglieder des Klangforums Wien und der Dirigent Ingo Metzmacher ein Teil der Performance. Die Regisseurin platzierte alle Beteiligten auf ein zentral errichtetes großes Podest, wo sie gemeinsam mit der äußerst beeindruckenden farbigen Sofia Jernberg dieses Melodram mit aktionistischen Einlagen aufführten. Das Publikum war rund um das Podest verteilt.
Lustig war, dass der Pianist Florian Müller die Aufführung mit „Nothing compares to you“ (eigentlich von Sinead O’Connor) begann. Bis auf den Pianisten waren alle Musiker ständig in Bewegung; entweder gehend oder auf speziell konstruierten rollbaren Sitzgelegenheiten.
Sofia Jernberg hat eine traumhaft flexible, modulationsfähige und interessante Stimme; sie rezitierte nicht nur singend die Gedichte, sondern untermalte sie auch mit Geräuschen; Metzmacher begleitete Frau Jernberg ganz phantastisch. Diese Partitur ist extrem schwierig zugänglich. Eigentlich ein recht frühes Werk (op. 21) – aber schon atonal, ohne in der Zwölftontechnik notiert zu sein. Ein in jeder Hinsicht bemerkenswerter Abend.
Am Tag danach konnten Musikfreunde das mittlerweile traditionelle Sommernachtskonzert 2021 in Schönbrunn genießen.
Bei „Kaiserwetter“ – also dem Spielort entsprechend – brillierten die unvergleichlichen Wiener Philharmoniker mit einem interessanten Programm, das lauter (zumindest in Wien) selten gespielte Werke enthielt.
Das Konzert stand unter dem Motto „Fernweh“; laut Philharmonikervorstand Daniel Froschauer eine musikalische Erklärung der Frustration, die durch die eingeschränkte pandemiebedingte Reisefreiheit entstand.
So begann das Konzert in Italien mit Verdis Ouvertüre „Les vêpres siciliennes“ – brillant gespielt zum Auftakt; danach ging es nach Russland zu Rachmaninows „Paganini-Variationen“, die der israelische Pianist Igor Levit ganz grandios interpretierte. Unvergessen die berühmte Variation Nr. 18, die den ganzen Weltschmerz hören ließ. Als Zugabe spielte Levit mit Beethovens „Für Elise“ ein Stück, mit dem viele fortgeschrittene Anfänger sich im Klavierunterricht durchgequält haben. Wenn es aber so gespielt wird wie von Levit, weiß man, was für ein musikalischer Kosmos sich dahinter verbirgt.
Danach ging es gleich in die USA, wo Harding mit den Philharmonikern die allzu selten gespielten „Symphonischen Tänze“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ spielte.
Danach wurden Edward Elgars „Salut d’amour“ und der 1. Satz (Intermezzo moderato) aus Jean Sibelius „Karelia-Suite“ brillant und packend dargeboten. Dann ging es von den USA über Großbritannien und Finnland nach Frankreich zu Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“, wo die impressionistischen Klänge das Publikum verzauberten. Phantastisch hier der Soloflötist, die großartige Harfenistin Charlotte Balzereit und der ebenso großartige Hornist Ronald Janezic.
Zum offiziellen Abschluss ging es wieder nach Großbritannien, dem Heimatland von Maestro Harding, wo Gustav Holsts „Die Planeten“ op. 32 entstanden. Daraus hörte man exzellent den vierten Satz („Jupiter, der Bringer der Fröhlichkeit“). Und als Zugabe gab es letztlich Johann Strauß’ (Sohn) Walzer „Wiener Blut“, womit man beim Schloss Schönbrunn wieder am richtigen Ort war.
Chapeau vor Maestro Harding, der nicht nur Dirigent ist, sondern auch ein ausgebildeter Pilot. Er flog ja sogar einmal für die „Air France“. Als Dirigent hat sich Harding endlich „freigespielt“. Das muss man extra betonen, da er die ersten Jahre fast nur seinen Mentor Claudio Abbado kopierte. Da gab es eine Zeit, wo man sehr an seiner Karriere zweifelte. Mittlerweile ist er komplett eigenständig und seine Interpretationen faszinieren immer mehr. Gerade noch bei seiner Schlagtechnik erkennt man öfters noch seinen Lehrmeister Abbado – das ist auch schon alles.
Fazit: Zwei äußerst gelungene Veranstaltungen in Wien, die ausgesprochen bemerkenswert waren. Für Konzertliebhaber ist Wien momentan wirklich ein Hot-Spot geworden; man kann nur hoffen, dass es auch so bleibt.
Herbert Hiess, 19. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at