Polina Seminova überwindet die Schwerkraft: Schwanensee in der Deutschen Oper Berlin

Peter I. Tschaikowsky, Schwanensee,  Deutsche Oper Berlin

photography by Yan Revazov (c)
Peter I. Tschaikowsky, Schwanensee
Staatsballett Berlin,  20. September 2018
Choreographie und Inszenierung, Patrice Bart nach Iwanow und Petipa
Musik, Peter I. Tschaikowsky
Bühne / Kostüme, Luisa Spinatelli
Musikalische Leitung, Robert Reimer
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Odette/Odile, Polina Semionova
Prinz Siegfried, Alejandro Virelles
Benno,Murilo de Oliveira
Königin, Sarah Brodbeck
Rotbart, Alexej Orlenco

von Gabriel Pech

Peter I. Tschaikowskys Schwanensee ist der Inbegriff des klassischen Balletts. Für das intellektuell anspruchsvolle Berliner Publikum stattet es der Choreograph Patrice Bart noch mit einer gehörigen Portion psychologischem Tiefgang aus. Das Staatsballett Berlin tanzt perfekt und sehr musikalisch – der Abend ist ein magisches Schauspiel der Extraklasse.

Der Star des Abends ist Polina Seminova als Odette/Odile. Wenn sie tanzt, ist das ansonsten leicht abzulenkende Publikum gebannt. Jede ihrer Bewegungen ist von einer beispiellosen Verbindlichkeit, sie schwebt über die Tanzfläche, lässt sich federgleich in die Lüfte heben. Ihre Anmut und Zerbrechlichkeit als weißer Schwan verschwinden rückstandslos, wenn sie im zweiten Akt als schwarzer Schwan auftritt. Als Odile ist sie verführerisch, skrupellos, böse. Nach ihren ungezählten perfekt ausgeführten Pirouetten gibt es im Publikum kein Halten mehr. Beide Rollen scheinen ihr auf den Leib geschneidert zu sein.

Ihren Geliebten Prinz Siegfried tanzt Alejandro Virelles überzeugend. In dieser Inszenierung ist er wie Ödipus, der sich mit seiner Liebe zu dem schönen Schwan von seiner Mutter lösen möchte. Seine Bewegungen sind fehlerfrei und formschön. Seine Grand jetés sind gerade gesprungen und sehr hoch. Er verleiht der Rolle eine Tiefe, die auch durch schauspielerische Leistungen untermauert wird.

Sarah Brodbeck als die Mutter des Prinzen rahmt den Abend ein, sie ist die erste und die letzte Person auf der Bühne. Ihr kommt hier erheblich mehr Bedeutung zu als sonst. Sie bindet ihren Sohn emotional an sich und spinnt eine Intrige, als dieser sich in eine andere verliebt. Ihre tänzerische Leistung ist durchwachsen. Während sie in Soloszenen mit ihrer emotionalen Reife berührt und im Pas de Deux mit Rotbart herrschaftlich auftritt, ist im Pas de Deux mit ihrem eigenen Sohn häufig eine gewisse Unsicherheit sichtbar, die sich durch ein verkrampftes Zittern bei den Hebungen kennzeichnet.

Ihr Partner in der Intrige ist der Premierminister von Rotbart, ihn tanzt Alexej Orlenco. Dieser will den Prinzen mit seiner Tochter Odile von seiner Liebe zum Schwan abbringen. Außerdem tritt er als Rivale des Prinzen in der Liebe zur Königin auf. Sein Tanz ist energetisch und dominant, er weiß die Königin im Pas de Deux zu führen.

Auch Benno von Sommerstein, Murilo de Oliveira, ist Teil der Intrige. Hier sind es nämlich nicht nur freundschaftliche Gefühle der Zuneigung, die er für den Prinzen hegt. Deswegen packt ihn beim Anblick des verliebten Prinzen die Eifersucht, und er lässt sich mit der Königin auf den Plan ein. Leider kommt diese psychologische Arbeit nicht gut genug durch, seine Mimik wirkt wie festgefroren. Auch tänzerisch kann er nicht nur glänzen, viele seiner Drehungen in der Luft springt er schief an. Er überzeugt jedoch mit einer funkensprühenden Energie.

Aus dem Ensemble verdienen vor allem die beiden Tänzerinnen eine gesonderte Nennung, die das Pas de Trois mit Benno von Sommerstein im ersten Akt tanzen: Luciana Voltolini besticht mit einer glänzenden Exaktheit, mit Witz und Charme. Krasina Pavlova fällt dagegen etwas ab, zeichnet sich aber vor allem durch ihre Weichheit in der Bewegung aus.

Natürlich begeistert sich das Publikum auch für die berühmten kleinen Schwäne. Iana BalovaLuciana VoltoliniMarina Kanno und Yuka Matsumoto tanzen die bekannte Choreographie mit einer außergewöhnlichen Musikalität und Synchronität.

Die Inszenierung von Patrice Bart arbeitet gut mit der Psychologie der Charaktere. Dadurch stehen vermehrt einzelne Personen im Vordergrund, was leider die Ensembleszenen verringert. Insgesamt ist die Handlung dadurch organischer und begründeter, ohne zu sehr von dem Ballett abzulenken.

Die Bühne und die Kostüme von Luisa Spinatelli passen sich perfekt ein. Das Gesamtbild ist ein Gemälde Russlands des 19. Jahrhunderts.

Leider wirken Alevtina Ioffe und das Orchester der Deutschen Oper Berlin nicht immer ganz eingespielt. Die Dirigentin Ioffe möchte häufig flexiblere Tempi, als es das Orchester gewöhnt ist. Dadurch klappert es bereits in der Ouvertüre, was das Vertrauen des Publikums direkt zu Anfang auf die Probe stellt. Am Ende empfängt die sympathische Dirigentin trotzdem überbordenden Applaus, was wahrscheinlich zu einem Großteil auch einfach Tschaikowskys brillianter Musik geschuldet ist.

Gabriel Pech, Berlin, 21. September 2018, für
klassik-begeistert.de

 

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