Foto: © Monika Rittershaus
Petrenko zieht die dritte Karte
Philharmonie Berlin, 21. April 2022
Peter Tschaikowsky
Pique Dame, Oper in drei Akten op. 68 (konzertante Aufführung)
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko Dirigent
Slowakischer Philharmonischer Chor
Cantus Juvenum Karlsruhe Kinder- und Jugendchor
von Peter Sommeregger
Das Geheimnis um drei Spielkarten ist das Hauptmotiv von Tschaikowskys großer Oper nach Puschkin. Kirill Petrenko hat in dieser Saison drei Opern des russischen Komponisten konzertant mit den Philharmonikern aufgeführt, „Mazeppa“ und „Jolanthe“ trafen auf ein wenig vorbereitetes Publikum, mit der „Pique Dame“ zog Petrenko eindeutig die Trumpfkarte.
Nach szenischen Aufführungen bei den Osterfestspielen in Baden-Baden kam nun auch das Berliner Publikum in den Genuss dieser optimal besetzten Aufführung. Soviel russische Seele und Hochkultur gab es gefühlt noch nie. Die vorletzte Oper des Komponisten ist ein großer Wurf und ist nach dem Muster der Pariser Grand Opéra gestrickt, Chöre und musikalische Einlagen verdichten sich zu einem farbigen Bild des zaristischen Russlands von Katharina der Großen.
Die Berliner Philharmoniker geben ein großartiges Opernorchester ab, Kirill Petrenko hat sie in dieser Spielzeit auch in ein russisches Opernorchester verwandelt. Dieser Tschaikowsky klingt so, als hätte das Orchester nie etwas Anderes gespielt. Die zahlreichen Chöre, die ein wichtiges, begleitendes Element der Handlung sind, werden vom Slowakischen Philharmonischen Chor und den Kindern des Cantus Juvenum Karlsruhe mit großer Präzision und der erforderlichen Wucht gesungen. Die Solisten finden also einen Klangteppich edelster Güte vor, der ihnen den nötigen Unterbau für ihre höchst schwierigen Rollen liefert.
Im Sturm erobert der armenische Tenor Arsen Soghornonyan als Hermann nicht nur Lisa, sondern auch das Publikum. Der Sänger besitzt einen blendend fokussierten, baritonal grundierten Heldentenor, der wie mit Samt ummantelter Stahl klingt. Von den großen dramatischen Ausbrüchen bis zu den lyrischen Passagen liefert er ein packendes Porträt einer verlorenen Seele.
Er findet eine ebenbürtige Partnerin in Elena Stikhina, die der Lisa ein sehr differenziertes Porträt verleiht. Anfangs noch von mädchenhafter Zurückhaltung, entwickelt sie sich zur Liebenden, die auch den eigenen Untergang in Kauf nimmt. Ihr großer, kräftiger Sopran verfügt über ein interessantes Timbre, das sich ideal mit dem von Soghornonyan verbindet, die Duette der beiden bilden die vokalen Höhepunkte der Aufführung.
Interessant wird der um seine Liebe betrogene Fürst Jeletzki von Boris Pinkhasovich angelegt, er bildet den zurückhaltenden Gegenpol zum leidenschaftlichen Hermann. Für die moderate Figur des Grafen Tomski hat Vladislav Sulimsky geradezu dröhnende Basstiefen zur Verfügung, die er souverän ausspielt.
Die dramaturgisch wichtige Partie der alten Gräfin gibt Doris Soffel einmal mehr Gelegenheit, als Grande Dame zu reüssieren. Sie trifft genau den Ton der lebenssatten, aber immer noch dominanten alten Frau, die Hermann zum Verhängnis wird.
Aigul Akhmetshina ist als Polina die ideale Duettpartnerin für Lisa, Margarita Nekrasova überzeugt abermals als Urtyp der sonoren Amme. Bis in die kleinsten Rollen ist die Besetzung homogen und authentisch.
Zu erleben war ein Fest der russischen Oper, in genau dieser Zeit vielleicht eine gute Gelegenheit, ein Stück russischer Hochkultur dem Wüten eines entmenschten Diktators im Kreml entgegen zu setzen.
Das Publikum reagierte mit Begeisterungsstürmen auf die vokalen und orchestralen Spitzenleistungen, am Ende Jubel, Blumen und endloser, dankbarer Applaus.
Peter Sommeregger, 22.April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Arsen Soghomonyan, Tenor (Hermann)
Vladislav Sulimsky, Bariton (Graf Tomski)
Boris Pinkhasovich, Bariton (Fürst Jeletzki)
Doris Soffel, Alt (Gräfin)
Elena Stikhina, Sopran (Lisa)
Aigul Akhmetshina, Mezzosopran (Polina)
Margarita Nekrasova, Alt (Gouvernante)
Kirill Petrenko zum 50. Geburtstag, 11. Februar 2022, klassik-begeistert.de